Er hat keine Angst. Auch nicht an diesem Dienstagabend, an dem die Welt wieder einmal aus den Fugen zu geraten droht. Während im Nahen Osten der Hass regiert und sein Volk mit der ganzen Welt stündlich auf die angekündigten Gegenschläge aus dem Libanon oder dem Iran wartet, spielt der Israeli Omer Klein zum Abschluss des Augsburger Jazzsommers im Botanischen Garten. Lachend. Gut gelaunt. Nicht weil es ihm egal wäre, sondern gerade um ein Zeichen dagegenzusetzen.
Jazzsommer-Finale: Omer Klein spielt im Botanischen Garten
Viele Gedanken gehen einem durch den Kopf, als der Pianist seinen Opener „Hookup“ intoniert. Dass Menschen bei herrlichem Sommerwetter in diesem immer noch einzigartigen Ambiente zum sechsten Mal in diesem Jahr Musik wie diese genießen dürfen, von einem Künstler, den sie nicht nur in Deutschland als Hoffnungsträger des gesamten Genres feiern, ausgerechnet in einem Format, das Tausende andere beharrlich in Richtung Beliebigkeit zerren, nämlich das Pianotrio. Dass Klein und seine Landsleute, der Bassist Haggai Cohen-Milo und der Schlagzeuger Amir Bresler, sich schlicht trauen, in Zeiten, in denen der Antisemitismus wieder salonfähig geworden ist, mit offenen Armen auf die Leute zuzugehen. Dass hier Vögel zwitschern und keine anderen aggressiven, lauten Geräusche die Harmonie und das temporäre Glück stören. Und dass alles friedlich bleibt – was man mittlerweile schätzen lernen sollte.
Was macht das mit dem in Frankfurt wohnenden 42-Jährigen, seinen Gefährten und dem gebannt lauschenden Publikum? Es sorgt für eine seltene Symbiose aus Einvernehmen und Nähe. Denn ein Konzert wie das von Omer Klein just zu diesem Zeitpunkt kann tatsächlich heilen und böse Gedanken vertreiben. Abgesehen davon, dass es das perfekte Finale eines programmlich exzellenten Jazzsommers darstellt, der einmal mehr nicht dem Reiz erlag, mit populistischem „Mode-Jazz“ zu punkten, sondern der es schaffte, mit zeitloser Qualität und Klasse Interessenten in Scharen in den Botanischen Garten zu locken.
Klein, Cohen-Milo und Bresler erreichen ihr Publikum
Diesmal erleben sie einen ausgewiesenen Tastenwühler bei seiner Arbeit. Einen, der auf den 88 schwarzweißen Elfenbein-Feldern hörbar nach unerprobten Optionen sucht, den Schwierigkeitsgrad seiner Kompositionen zu verändern und zu erhöhen, Harmonien anders zusammenzusetzen, Kreuze durcheinanderzuwirbeln und mithilfe überraschender Pausen neue dramatische Schwerpunkte zu setzen. Inzwischen gilt Klein als eine in jeder Hinsicht furchtlose Erscheinung, hat längst seine eigene Tonsprache gefunden und ist schlau genug, um zu wissen: Schubladen sind wie Fettnäpfchen, in die man nicht unbedingt hineintreten muss. Und das Schönste dabei: Er, Cohen-Milo und Bresler stülpen im Laufe ihres 90-minütigen Konzertes keine intellektuelle Blase über ihre Darbietung. Vielmehr erreichen sie mit ihrer besonderen programmatischen Buntheit wirklich jede und jeden im Auditorium. Vielleicht ist Omer Klein gerade deshalb so gut, so souverän, so unabhängig von allen Klischees, Erwartungshaltungen und dem ganzen traditionellem Ballast seines Genres. Denn er vertraut sich, seinen Mitmusikern und seiner Musik.
Sein Spiel setzt sich – analytisch gesprochen – aus drei Komponenten zusammen: verhangene, mitunter bittersüße Melodien, balladeske Kraft und treibender Groove. Omer Klein ist der Boss und Namensgeber, nur er komponiert; ausdrucksstarke Stücke, die bis auf ganz wenige Ausnahmen nichts mehr von dem besitzen, was man früher lächelnd als „Falafel-Jazz“ abtat (wieder so eine Schublade). „Tzuri“ etwa, eine Reminiszenz an seinen Großvater und eine Bluesform, bei der das Thema wie eine lange Stange aus dem dichten Nebel herausragt, während unten das Wasser allmählich zu brodeln beginnt. Oder das modern swingende „Song No. 2“. Viele Fragen stellt „The Ravens“ – die Antworten liefert das Trio auf unerwartet gleichberechtigte Weise. Denn selten bekam ein Bassist mehr Features als Haggai Cohen-Milo, weshalb bei Unbedarften durchaus der Eindruck entstehen könnte, er wäre der heimliche Leader. Ein jeder sendet und empfängt Botschaften. Verblüffend wirken ihre gegenseitige Einfühlung, der Sinn für Nuancen, das Aufgreifen melodischer Partikel im Hin und Her zwischen Klavier und Bass, Bass und Schlagzeug, Schlagzeug und Klavier, das Unisono komplexer rhythmischer Passagen und im Kontrast dazu die inszenierten Aussetzer und falschen Schlüsse. Die drei ziehen verdammt viele Register. Dabei ist ihre Musik in jedem Moment transparent. Man weiß immer, wo man ist, aber nie, wohin es geht.
Omer Klein und seine Freunde fächern die Emotionen auf
Der kollektive Schlussakkord des 32. Augsburger Jazzsommers gerät zum Rausch: „Cantando“ rumort fast zehn Minuten lang mit diesem fein bohrenden, hypnotischen Groove. Handwerklich vielleicht kein Hexenwerk, ab in seiner Wirkung und als i-Tüpfelchen auf dieses wunderbare Konzert unerreicht. Omer Klein und seine Freunde fächern die komplette emotionale Bandbreite der Musik auf, von vergnüglich, über leidenschaftlich, traurig, hitzig bis hin zu versöhnlich, und hinterlassen restlos begeisterte, stehend applaudierende Augsburger. Und ihnen ist noch etwas gelungen: Ein großer Akkord für ein Leben ohne Angst.
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