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Trompeter Nils Petter Molvær über Musik, Natur und den Einfluss auf die eigene Stimme.

Interview

Nils Petter Molvaer: Wir Norweger sind sehr offen für Einflüsse

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    Nils Petter Molvaer.
    Nils Petter Molvaer. Foto: Roberto Cifarelli

    Der norwegische Trompeter Nils Petter Molvær sitzt bestens gelaunt in seinem Studio nördlich von Oslo. Er bittet um eine Minute, um sich noch schnell eine Tasse Kaffee zu holen, dann fängt er sofort an zu erzählen:


    NILS PETTER MOLVAER: Ich hatte gestern Abend ein wunderbares Konzert mit Alim Qasimov, ein Sufi-Sänger aus Aserbaidschan, und der Münchner Cellistin Anja Lechner. Wir haben uns gerade mal eineinhalb Stunden vor dem Konzert zum ersten Mal getroffen und sofort mit dem Spielen losgelegt. Es war von Beginn an pure Magie, diese Gefühl, völlig im Moment versunken zu sein, mit anderen Menschen zu interagieren und gemeinsam etwas Schönes zu erschaffen. Diese Magie entsteht eigentlich immer durch Improvisation. Klar, es gibt unglaublich tolle notierte Musik, die vom schönsten Instrument der Welt, dem Orchester, gespielt wird, aber die Interaktion zwischen Menschen, die gemeinsam Musik spielen, ist etwas ganz Besonderes.
    Sie spielten mit dem Reggae-Duo Sly & Robbie, mit dem Norwegian Radio Orchestra, mit dem deutschen Techno-Produzenten Moritz von Oswald. Haben Sie vorher schon eine Idee, wie Ihre Trompete in diesen verschiedensten Kontexten klingen wird?
    MOLVAER: Nicht im Detail. Ich weiß natürlich vorher, was sie machen, aber dann lässt du die Musik einfach passieren, egal ob da ein Dub-Bassist oder ein indischer Tabla-Spieler sitzt. Genres interessieren mich nicht sonderlich, mich interessiert nur, ob es für mich gut oder nicht gut ist. Ich sage meinen Mitmusikern auch nie, was sie spielen sollen. Das ist eher so ein Trump-Ding, das liegt mir nicht so.
    Auf der Pressekonferenz zum Augsburger Jazzsommer sagte der Kulturreferent der Stadt, Jazz werde nie so gebraucht wie heute. Jazz bedeutet Zuhören, Offenheit, Verbundenheit. Wie sehen Sie die Rolle der Musik in der heutigen Welt?
    MOLVAER: Der Wert der Musik ist unermesslich. Wir können als Musiker nicht die Kriege in Gaza, in der Ukraine oder im Sudan beenden. Ich habe erst auf einem Festival im Opernhaus in Oslo gespielt, die Besucher kamen aus allen Ecken der Welt. Menschen mit Kunst, mit Musik zu verbinden, ist etwas ganz Besonderes. Ich hab ein Interview mit diesem Typen Elon Musk gesehen, in dem er sagte, Empathie sei die größte Schwäche der Menschheit. Ich aber denke, Empathie ist unsere beste Seite. Wir erschaffen etwas Verbindendes auf der Bühne und teilen es mit dem Publikum. Das schafft in dieser Form nur die Kunst.
    Sie werden in Augsburg im Botanischen Garten auftreten. Dort hört man den Klang der Natur, das Rauschen des Waldes, das Summen der Insekten. Wird das Ihre Performance beeinflussen?
    MOLVAER: Mit Sicherheit. Ich hoffe, das Wetter ist gut, ein bisschen Wind und Vogelgezwitscher wäre schön. Die Umgebung hat immer einen Einfluss auf die Musik. Gut, wenn ein Handy klingelt, vielleicht in negativer Weise ... Aber die Natur inspiriert mich als Mensch, sie erinnert mich daran, wer ich bin. Das ist wichtig, denn ich möchte mit meiner Musik ausdrücken, wer ich bin. Die Natur beruhigt mich und erinnert mich daran, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen.
    Wie haben Sie eigentlich die Trompete für sich entdeckt?
    MOLVAER: Wir hatten einen alten Plattenspieler zuhause, darauf habe ich immer die zwei gleichen Platten gehört, Billie Holiday und Louis Armstrong. Billie mochte ich lieber, aber ich konnte natürlich keine Sängerin werden, also sagte ich meinem Vater, der auch Musiker war, dass ich Trompete spielen möchte, wie Armstrong. Aber ich habe als Kind viele verschiedene Dinge gemacht, Skispringen und solche Sachen. Ich war vielleicht ein wenig hyperaktiv, die Trompete lief eher so nebenher. In der Schule habe ich dann Gitarre gespielt, weil ich Rockmusik mochte. Und dann kam dieser eine fantastische Lehrer, der mich dazu gebracht hat, jeden Tag acht Stunden Trompete zu üben. In Trondheim habe ich klassische Trompete studiert, aber ich hatte die Möglichkeit, in Oslo Jazz zu spielen. Das Konservatorium hat mir erlaubt, für ein Jahr nach Oslo zu gehen. Von da kam ich nie mehr zurück. Ich habe mich dann darauf konzentriert, nicht nur das Instrument Trompete zu spielen, sondern meine Stimme darauf zu finden.
    Wie merkt man, dass man seine Stimme gefunden hat?
    MOLVAER: Es ist ein sehr organischer Prozess. Wenn du dich im Sound wohlfühlst, wenn man versteht, wie man Dinge tut, entwickelt man eine Sprache. Dann kannst du improvisieren, aber du benutzt dein eigenes Vokabular. Schau, David Gilmour von Pink Floyd ist das beste Beispiel. Der muss nur einen Ton spielen und du weißt sofort: Das ist er!
    Hat auch die Region, in der man musikalisch sozialisiert wird, Einfluss auf dieses Vokabular? Der künstlerischer Leiter des Jazzsommers, Tilman Herpichböhm, kündigte sie an als einen der „bekanntesten Künstler des skandinavischen Jazz – was auch immer das heißen mag.“ Was macht den skandinavischen Klang aus?
    MOLVAER: Diese Frage höre ich nicht zum ersten Mal ... Also, aus der norwegischen Perspektive: Wir sind eine kleine Gesellschaft, aber es gibt viele Musiker. Die Genres vermischen sich leichter, weil die Musiker mehr zusammenspielen. Und viele sind von traditioneller norwegischer Musik beeinflusst. In Dänemark zum Beispiel, da kamen viele große Musiker hin, die dann Mentoren wurden, wie Dexter Gordon (US-Saxophonist, Anm. d. Red.). Das gibt es in Norwegen nicht so sehr. Dafür sind die Menschen sehr offen anderen Einflüssen gegenüber. Es geht darum, Genres zu mischen und transparent zu halten.
    Ich nehme an, so kam auch die elektronische Komponente in Ihre Musik.
    MOLVAER: Genau. Übrigens haben wir erst gerade wieder „Khmer“ (Debut-LP von 1997, Anm. d. Red.) gespielt, das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Deswegen gibt es im September ein Livealbum, das wir in Bergen aufgenommen haben. Aber ich freue mich erst einmal auf unser Konzert im Botanischen Garten in Augsburg. Und jetzt hole ich meine Tochter ab.

    Zur Person

    Nils Petter Molvaer wurde mit seinem Album „Khmer“ über seine norwegische Heimat hinaus bekannt. Seither zählt der inzwischen 64-jährige Trompeter zu einem der herausragenden Jazzmusiker seines Landes. Mit seinem Trio tritt er am 30. Juli beim Augsburger Jazzsommer auf (augsburger-jazzsommer.de).

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