Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten
Feuilleton regional
Icon Pfeil nach unten

Wie Brecht und seine Freunde Marieluise Fleißers „Pioniere in Ingolstadt“ prägten

Literaturgeschichte

Wie Brecht und seine Freunde in ein Drama von Marieluise Fleißer fanden

    • |
    • |
    • |
    Bertolt Brecht in einer Aufnahme aus den 1920er Jahren.
    Bertolt Brecht in einer Aufnahme aus den 1920er Jahren. Foto: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg

    Brechts Leben und Wirken im Augsburger Freundeskreis – die hier herrschende ekstatische Stimmung, das Gefühl des Besondersseins in braver bürgerlicher Umgebung, aber auch das gegenseitige Inspirieren, Anstacheln zu künstlerischer Produktion, ist hinreichend beschrieben. Es ist kein Wunder, dass Brecht seinen Freunden im Frühwerk immer wieder kleine literarische Denkmäler setzt, z.B. in seiner Lyrik der „Hauspostille“, sie offen beim Namen nennt, wertschätzend parodiert, an der Bedeutung, die sie für ihn hatten, keinen Zweifel lässt.

    Doch es gibt auch etliche Reminiszenzen, die weniger deutlich daherkommen und meist auch nur von dieser verschworenen Gemeinschaft des Freundeskreises nachvollzogen werden konnten. Einige Beispiele: Eine Nebenfigur des frühen Dramas Baal heißt „Mech“. Dahinter steckt Alois Mech, etwas jünger als Brecht, Schulkamerad und Freund. Im selben Theaterstück ist Paula Banholzer, Brechts erste große Liebe, die hin und wieder in die Unternehmungen des Freundeskreises eingebunden war, in Form eines Akrostichons präsent, also ohne die explizite Nennung ihres Namens. Ebenso wie mit „Mech“ kann der Leser, der der Clique nicht nähersteht, mit solchen Verweisen nichts anfangen; auch nicht mit dem Geburtsdatum 11. April 1897, das der berühmten „Legende vom toten Soldaten“ mitgegeben ist. Es entspricht demjenigen des wohl bekanntesten Augsburger Freundes Brechts, Caspar Nehers, des später berühmten Bühnenbildners. Der ein knappes Jahr jüngere, am 10. Februar 1898 geborene Brecht spielt mit dem Gedicht auf das Kriegsschicksal Nehers an, um dann zu einer grotesken Abrechnung mit dem Wilhelminischen Kriegswahn und der drohenden Räterevolution gleichermaßen zu kommen.

    Brecht als Inspirationsgeber für die „Pioniere“

    Es existiert noch eine weitergehende Ebene dieser Reminiszenzen an Brechts Augsburger Kosmos und an die Freunde. Denn er deutet mit derartigen klar zu dekodierenden Hinweisen auch in einem Theaterstück, dessen Autor er nicht ist, das aber auf seine Inspiration zurückgeht, auf sich selbst. Man könnte auch sagen: Brecht drückt ihm seinen Stempel auf.

    Gemeint ist Marieluise Fleißers „Pioniere in Ingolstadt“. Brecht, 1926 gerade in Augsburg, nutzte, dass seine Frau Marianne Zoff und seine Lebensgefährtin Helene Weigel fern waren und lud Fleißer, mit der er ein Verhältnis hatte, zu sich nach Augsburg ein. Sie kam und wohnte mit ihm in seiner Mansarde in der Bleichstraße. Von Fleißer selbst dokumentiert: Sie ging mit Brecht in nächster Umgebung spazieren, am Oblatterwall, am Unteren Graben, und erzählte dabei, dass in Ingolstadt Pioniere einmarschiert seien, um eine Brücke zu bauen. Brecht, der mit „Fatzer“ gerade selbst ein Soldaten-Drama in Arbeit hatte, war geradezu getriggert und spornte Fleißer mit sehr konkreten Vorgaben zu ihrem Stück an, das sie dann tatsächlich schrieb.

    Am Ende steht die Frau alleine da

    Es geht um das Aufeinandertreffen dieser Pioniere und jungen Frauen aus dem kleinbürgerlichen Milieu Ingolstadts. Eine von ihnen, Berta, sucht Liebe, die andere, Alma, ist eher sexuell orientiert und auf ihre finanziellen Vorteile bedacht. Alma arrangiert sich, Berta verliebt sich in einen der Pioniere, von dem sie gedemütigt und ausgenutzt wird. Am Ende ziehen die Pioniere so schnell ab, wie sie gekommen sind, und Berta steht traumatisiert da.

    Die Ingolstädter Schriftstellerin Marieluise Fleißer besuchte Brecht in Augsburg
    Die Ingolstädter Schriftstellerin Marieluise Fleißer besuchte Brecht in Augsburg Foto: Marieluise-Fleißer-Haus Ingolstadt

    Der Soldat, der Berta dies antut, heißt Karl Lettner. Dies ist eine Anspielung auf Oscar Lettner, der zum frühesten Freundeskreis um Brecht gehörte, vieles gemeinsam mit ihm unternahm, Schach spielte, zur Lechhauser Kirchweih ging. Lettner wohnte in einer Querstraße zur Bleichstraße, also in Brechts engster Nachbarschaft. Lettner war, wie Karl aus Fleißers Drama, im Krieg Soldat.

    Die Spur führt an den Unteren Graben

    Das ist noch nicht alles. Bertas Freundin, die lebenstüchtige Alma, wohnt im „unteren Graben“, also gleichfalls in Brechts engster Peripherie. Raffiniert dabei ist, dass es einen „Unteren Graben“ auch in Ingolstadt gibt. Die Straße gehört somit zum Handlungsort des Dramas, gleichzeitig ist sie Reminiszenz an die früheste Phase seiner Entstehung, an die „Werkstatt Bleichstraße 2“ und deren nächste idyllische Umgebung.

    Eine weitere Spur stammt nicht von Brecht selbst. Fleißer legte sie posthum, ein gutes Jahrzehnt nach seinem Tod, als sie ihr Stück überarbeitete. Karl Lettner blieb. Er nennt sich jetzt Korl Lettner, der jetzt, nach eigenen Aussagen Fleißers, hinsichtlich seiner herabwürdigen Behandlung Bertas Züge Brechts trägt. Ein Kamerad Korls heißt in dieser Fassung „Münsterer“, im Umgang mit Berta kaum anders oder besser.

    Ein Name aus dem näheren Umfeld Brechts

    Dieser Name führt mitten in den Augsburger Freundeskreis, der Brechts literarischen Aufstieg sekundierte. Es handelt ich um Hanns Otto Münsterer. Die Freundschaft war eher einseitig, für Münsterer bedeutsamer als für Brecht. 1920 kühlte sie ab; gleichfalls einseitig. Brecht begann, Münsterer für eigene Zwecke einzusetzen, als Vermittler in Frauenangelegenheiten, als Fürsprecher bei Verlagen. Münsterer legte als erster ein Buch über den jungen Brecht vor.

    Fleißer kannte Münsterer. Fest steht, dass er nach dem Zweiten Weltkrieg Kontakt zu ihr aufnahm und sie dessen Buch über Brecht weiterempfahl. Warum aber erscheint er in der späten Bearbeitung von „Pioniere in Ingolstadt“? Ist es eine Reminiszenz an Brecht, an ihre Besuche in Augsburg? Wollte sie also mit Pionier Münsterer einen weiteren Hinweis auf den Freundeskreis geben, den Augsburg-Bezug des Dramas mehr hervorheben? Oder ist dieser Fingerzeig auf Brechts einstiges Umfeld eher Teil ihrer Traumabewältigung? Man weiß es nicht. Marieluise Fleißers Beziehung zu Brecht war eben komplex und schwierig; bis zum Schluss.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden