Der Sommer rückt näher und so manch einer möchte noch schnell die Bikini-Figur erreichen. Haben Sie als Wissenschaftlerin einen guten Diät-Tipp?
PROF. KERSTIN STEMMER: Leider nein, denn ein echter und vor allem gesunder Gewichtsverlust braucht Zeit. Wer in nur wenigen Tagen durch eine Crash-Diät an Gewicht verliert, verliert vor allem Wasser – nicht Fett. Das liegt daran, dass zu Beginn einer Diät der Körper auf seine kurzfristigen Energiespeicher zurückgreift – das sogenannte Glykogen, das viel Wasser bindet. Wird es abgebaut, verliert der Körper zwar an Gewicht, aber es ist noch kein echter Fettverlust.
Und was ist mit den verschiedenen Diäten, die in den sozialen Netzwerken als besonders erfolgreich angepriesen werden?
PROF. STEMMER: Man muss differenziert auf die einzelnen Methoden schauen. Von zu radikalen oder auch zu einseitigen Diäten, die sich etwa auf bestimmte Lebensmittel konzentrieren, halte ich aber nichts. Der Körper braucht eine ausgewogene Versorgung mit allen wichtigen Nährstoffen – nicht nur Eiweiß oder Fett. Einseitige Diäten können dagegen schnell zu Mangelerscheinungen führen, und dauerhaft durchhalten lassen sich solch radikalen Methoden ohnehin nicht. Stattdessen ist eine maßvolle, langfristige Umstellung der Ernährung in Kombination mit mehr Bewegung deutlich nachhaltiger – auch wenn die Erfolge langsamer eintreten.
Und dann ist ja da auch noch der Jo-Jo-Effekt....
PROF. STEMMER: Crash-Diäten führen oft zum Jo-Jo-Effekt, weil der Körper den Gewichtsverlust durch Senkung des Grundumsatzes ausgleicht und Heißhungerattacken auslöst. Das Ergebnis: Das Gewicht kehrt meist zurück, manchmal sogar noch höher. Leider hat man durch eine Crash-Diät oft auch Muskelmasse verloren, die nun durch Fettmasse ersetzt wird, was sogar die langfristigen gesundheitlichen Probleme der Adipositas noch verstärken kann
Was ist denn Adipositas genau?
PROF. STEMMER: Adipositas ist seit 2020 als chronische Erkrankung anerkannt. Sie entsteht, wenn der Körper zu viel Fett speichert, diagnostiziert ab einem BMI (Body Mass Index, bewertet Körpergewicht in Bezug auf die Körpergröße) über 30. Die Folge sind erhöhte Risiken für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Gelenkprobleme und psychische Leiden. Weltweit sind 2024 rund 43 Prozent der Erwachsenen übergewichtig, 16 Prozent davon adipös.
Immer wieder hört man von Betroffenen, ihr Übergewicht sei genetisch bedingt. Ist das nur eine Ausrede?
PROF. STEMMER: Genetische Faktoren spielen eine sehr große Rolle, sind aber immer Teil eines komplexen Zusammenspiels aus Umwelt und Verhalten. Es gibt hunderte Genvarianten, die beeinflussen, wie schnell jemand zunimmt. So passiert es, dass manche Menschen trotz ähnlichen Lebensstils schneller zunehmen als andere. Gleiches gilt auch für das Abnehmen. Dennoch können wir durch eine gesunde Lebensweise die genetische Veranlagung beeinflussen. Auf diesem Weg kann eine individuelle Ernährungsberatung sehr hilfreich sein die dabei unterstützt, ein passendes und alltagstaugliches Konzept zu finden. Alte Gewohnheiten sind schwer zu durchbrechen. Genau hier können auch die neuen Medikamente gegen Adipositas ansetzen und diese Änderungen im Lebenswandel erleichtern.

Meinen Sie damit die viel diskutierte Abnehmspritze? Sie forschen ja in Augsburg daran, die Wirkungen und Nebenwirkungen neuer Adipositas- und Diabetes-Medikamente noch besser zu verstehen.
PROF. STEMMER: Ja, genau. Die Abnehmspritze enthält Wirkstoffe wie Semaglutid oder Tirzepatid, die im Gehirn das Hungergefühl senken und auch Heißhungerattacken werden verhindert. Sie verlangsamt die Magenentleerung, was zusätzlich zur Sättigung beiträgt, und sie verbessern die Blutzuckerregulation nach dem Essen. Mit einer wöchentlichen Injektion können Betroffene substanziell an Körpergewicht verlieren, wobei die Wirkung bei einem hohen BMI oft stärker als bei einem niedrigen BMI ausfällt. Mit Semaglutid beträgt die durchschnittliche Gewichtsabnahme etwa 15 Prozent, während Tirzepatid sogar eine durchschnittliche Reduktion von rund 22 Prozent zeigt.
Gibt es Nebenwirkungen?
PROF. STEMMER: Ja, die Abnehmspritze darf deshalb nur unter ärztlicher Verordnung eingenommen werden. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Verdauungsstörungen wie Durchfall, Erbrechen oder Übelkeit. Diese Beschwerden treten meist am Anfang auf und lassen mit der Zeit meist nach. Nach dem Absetzen der Spritze kehrt der Hunger recht schnell zurück. Dann folgt die Gewichtszunahme bis hin zum Jojo-Effekt, und der Kampf gegen das Gewicht beginnt von neuem. Viele Patientinnen und Patienten schaffen es jedoch, durch die initiale Gewichtsabnahme motiviert, einen gesünderen Lebensstil zu entwickeln. Ohne eine nachhaltige Umstellung der Ernährung und Bewegung bleiben langfristige Erfolge – mit oder ohne Abnehmspritze – jedoch aus.
Welche Rolle spielt die Psyche beim Abnehmen?
PROF. STEMMER: Die Psyche spielt eine zentrale Rolle beim Abnehmen. Viele Menschen essen nicht nur, weil sie hungrig sind, sondern auch dann, wenn sie traurig, gestresst oder gelangweilt sind oder sich einsam fühlen. Man isst, um sich von diesen Gefühlen abzulenken, nicht aber, weil der Körper die Energiezufuhr braucht. Solche Muster emotionalen Essens können sich über Jahre entwickeln – oft ganz unbewusst. Wer Verhaltensmuster nicht erkennt und angeht, fällt auch nach einer erfolgreichen Gewichtabnahme leicht in alte Gewohnheiten zurück. Auch hier können Ernährungsberatung, psychologische Unterstützung oder auch Adipositas-Medikamente, die den Drang nach emotionalem Essen stark mindern, helfen.
Zur Person: Prof. Dr. Kerstin Stemmer ist seit 2021 Professorin für Molekulare Zellbiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg. Die Biologin und Toxikologin forscht zur Entstehung, Diagnostik und Therapie metabolischer Erkrankungen wie Adipositas und Typ-2-Diabetes, und deren möglichen Folgeerkrankungen.
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