Montags um 8.45 Uhr sind der elfjährige Engiell und sein Freund Marwan hellwach. Barbara und Gerhard Kugelmann holen die beiden Jungen in der vierten Klasse der Grundschule Göggingen-West ab, um sich von ihnen vorlesen zu lassen. Die beiden sprechen leise, bewältigen aber recht wacker die Geschichte von ein paar Kindern, die ihre neuen Frisuren unter einem Baseball-Cap verstecken. „Das müssen schlimme Frisuren sein“, meint Barbara Kugelmann. Sie freut sich über das Grinsen der beiden Viertklässler und darüber, dass Marwan ihr das Verb „flunkern“ erklären kann. „Das ist so was wie Ausrede“, sagt er. Bereits seit zwei Jahren bilden die Kugelmanns, 66 und 69 Jahre alt, mit den Gögginger Schülern ein besonderes Gespann. Als Lesepaten unterstützen sie die Kindern auf dem Weg zu einem flüssigeren Lesen. „Ich kann jetzt leichter lesen“, bestätigt Engiell. Und auch Marwan möchte die Zeit mit den Eheleuten nicht missen. „Sie sind so nett. Wenn ich etwas nicht verstehe, erklären sie es mir.“
Die Lesepaten sind in fast allen Augsburger Grundschulen aktiv
Seit 20 Jahren sind Lesepaten wie Barbara und Gerhard Kugelmann im Einsatz. Was in Kriegshaber begann, wird heute nahezu flächendeckend an den Augsburger Grundschulen (sowie im Umland) und teilweise in Kindertagesstätten angeboten. Laut Stefanie Wachter-Fischer, die das Projekt im Freiwilligen-Zentrum zusammen mit Claudia Seitz koordiniert, sind aktuell 220 Frauen und Männer vom jungen Erwachsenen bis zur Mittachtzigerin ein bis zweimal wöchentlich im Sinne der Leseförderung aktiv. Auch wenn dies eine beachtliche Zahl sei, gebe es noch immer Bedarf, sagt Wachter-Fischer.
Die Kugelmanns kamen vor ein paar Jahren eher zufällig über ein Nachbarskind zu dem Lesepaten-Projekt, nahmen dann an der Einführungsveranstaltung teil und beantragten das obligatorische Führungszeugnis, das ihnen eine weiße Weste im Vorstrafenregister bescheinigt. Das Freiwilligen-Zentrum legt Wert auf dieses Papier, auch um einen „einschlägigen Personenkreis“ von vornherein abzuschrecken.
Augsburger Lesepaten verhelfen zu mehr Selbstbewusstsein
Die Grundschule Göggingen-West jedenfalls ist sehr froh, das engagierte Ehepaar und noch rund 20 weitere Lesepaten in ihrem Haus zu haben. Für Konrektorin Stefanie Gauß ist „die 1:1 Betreuung ein wichtiger Baustein in der Grundschule“. Und Lesebeauftragte Sophie Illige hat festgestellt, dass sich die beteiligten Kinder nicht nur mit dem Lesen leichter tun, sondern sich auch generell „mehr zutrauen“, weil sie ein Erfolgserlebnis hätten. Anders als in der Klasse mit 20 oder mehr Kindern könnten sie sich vor ihren Lesepaten nicht verstecken.
Die Arbeitsweise der Lesepaten ist so unterschiedlich wie die Ehrenamtlichen selbst. Laut Freiwilligen-Zentrum bringen manche eigenen Lesestoff mit, andere werden von Lehrkräften mit Material versorgt. Ein Großteil der Förderung findet am Vormittag statt, teilweise kommen die Paten aber auch am Nachmittag in die Schule. In der Regel stünden Mädchen und Jungen im Fokus, die sich mit dem Lesen schwer tun, etwa, weil sie die deutsche Sprache noch nicht so gut beherrschen, so Wachter-Fischer. Die Koordinatorin würde aber auch mehr Patenschaften mit sehr guten Schülern begrüßen - als „zusätzlichen Motivationsschub“.
Eine pädagogische Ausbildung müssen potenzielle Paten nicht mitbringen, dafür aber Freude am Lesen und im Umgang mit Kindern. Die Kugelmanns etwa, die selbst kinderlos sind, haben schon in der Vereinsarbeit gemerkt, dass sie einen guten Draht zur jungen Generation haben. Gerhard Kugelmann, der früher als Ingenieur tätig war, fühlt sich auch noch aus einem anderen Grund berufen. „Ich habe Glück gehabt im Leben und will jetzt etwas zurückgeben.“
Zum neuen Schuljahr im September, wenn Engiell und Marwan die Schule wechseln, wollen Barbara und Gerhard Kugelmann bei anderen Kindern die Freude am Lesen wecken. Auf neue Lesepaten, die gegebenenfalls noch vor den Sommerferien aktiv werden könnten, hofft das Freiwilligen-Zentrum. Insbesondere in Schulen in Oberhausen, Lechhausen und der Stadtmitte sei die Nachfrage wesentlich höher als das Angebot. Mit einer Mail an wachter@freiwilligen-zentrum-augsburg.de können sich Interessierte jederzeit melden.
Infoveranstaltung findet im Oktober statt
Gefeiert wird das 20-jährige Bestehen des Lesepaten-Projekts mit einem Lesetag am 16. Juli und einem Festakt im Oktober. Auf den 24. Oktober ist die nächste Infoveranstaltung für angehende Paten terminiert. Neben den Ehrenamtlichen dürfen sich gerne Sponsoren melden, betont Wachter-Fischer - auch um die für die Paten kostenlosen Fortbildungs- und Austausch-Veranstaltungen zu finanzieren.
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