
Missbrauchsskandal: Auch die Justiz schaute lange weg

Seit Bekanntwerden des Riekofener Missbrauchsskandals im Spätsommer 2007 sieht sich die Diözese Regensburg einer Welle der Empörung ausgesetzt. Doch der Prozess gegen den Pfarrer hat auch Versäumnisse des Justizapparats offenbart.
Regensburg (dpa/lby) - Ein wegen Kindesmissbrauch vorbestrafter Pfarrer wird von der Kirche wieder in die Gemeindearbeit geschickt und vergeht sich prompt wieder jahrelang an einem Ministranten.
Seit Bekanntwerden des Riekofener Missbrauchsskandals im Spätsommer 2007 sieht sich die Diözese Regensburg mit Bischof Gerhard Ludwig Müller an der Spitze einer Welle der Empörung ausgesetzt. Doch der Prozess gegen den 40 Jahre alten Priester, der vom Landgericht Regensburg zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe und Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt wurde, hat jetzt auch Versäumnisse des Justizapparats offenbart.
Denn die Richter schauten ebenfalls nicht so genau hin, als der Geistliche schon wenige Monate nach seiner ersten Verurteilung gegen die Bewährungsauflagen verstieß und wieder reichlich Kontakte zu Buben aufbaute. Nach drei Jahren wurde dem Pädophilen sogar vom Amtsgericht bescheinigt, dass er sich tadellos verhalten habe - ihm wurde die auf Bewährung ausgesetzte Haftstrafe erlassen. Bei Gericht wurde der Fall offenbar rein nach Aktenlage abgearbeitet. Niemand kontrollierte, was der ertappte Kinderschänder tatsächlich trieb.
Konsequenz ist nun das Geplänkel zwischen Bistum und Justiz, die sich gegenseitig eine Mitverantwortung für die Riekofener Vorfälle geben. Der Vorsitzende Richter verglich im Urteil den Einsatz des vorbestraften Pädophilen in der Jugendarbeit mit einem verurteilten Betrüger, der von einer Bank als Kassierer eingestellt wird. Bischof Müller konterte einen Tag später: Die Richter hätten die Kirche vor der Gefahr, die von dem Priester ausging, warnen müssen.
Als Kaplan hatte der Ex-Automechaniker, der als "Spätberufener" Priester wurde, im niederbayerischen Viechtach einen Zwölfjährigen unsittlich angefasst. Vom Amtsgericht bekam der Mann im Jahr 2000 die Chance, sich zu bewähren. Er sollte eine ambulante Therapie machen und drei Jahre lang jede Arbeit mit Jugendlichen unterlassen. Doch daran hielt sich der homosexuell-pädophile Priester nicht.
"Bereits ab dem Jahr 2001 organisierte der Angeschuldigte eine Vielzahl von Ausflügen und Veranstaltungen mit überwiegend männlichen Ministranten", heißt es in der jüngsten Anklage. Der geständige 40-Jährige ging mit den Kindern aus Riekofen ins Kino, fuhr mit ihnen in einen Freizeitpark, nach Hamburg und Rom. Er richtete einen "Shisha-Keller" ein, dort rauchten die Messdiener arabische Wasserpfeife und tranken Alkohol - einer der Jungen war das spätere Opfer.
Die zuständigen Richter im 28 Kilometer entfernten Regensburg bekamen von alledem nichts mit, obwohl der Mann ganz offen gegen die Bewährungsanordnung verstieß. In dem 800-Seelen-Dorf war er faktisch der Pfarrer, sogar die Lokalzeitungen berichteten über die Arbeit des Pädophilen mit den Jugendlichen.
Das Bistum will für die damaligen Aktivitäten des 40-Jährigen ebenfalls nicht verantwortlich sein. "Seitens des Bischöflichen Ordinariats gab es keinerlei Beauftragung zu Aushilfseinsätzen in der Gemeinde- und Ministrantenarbeit in der Pfarrei Riekofen", behauptet die Diözese. Wie es in einer solch streng hierarchisch strukturierten Organisation wie der katholischen Kirche sein kann, dass ein Priester angeblich ohne Erlaubnis seines Dienstherren mehrere Jahre lang eine Gemeinde betreut, wurde nicht erklärt. Als der Missbrauchsskandal bekannt wurde, verschwieg die Diözese die heiklen Details: Der Mann habe in der Bewährungszeit in einem Altenheim gearbeitet, hieß es. Erst danach sei er ab 2004 Seelsorger in Riekofen gewesen.
Nicht nur Justiz und Kirche stehen bei dem Fall schlecht da, auch der frühere Therapeut des Pfarrers verdiente sich kein Ruhmesblatt. Der Mediziner hatte nach vierjähriger Behandlung festgestellt, dass der Geistliche nicht pädophil sei und wieder mit Kindern arbeiten könne. Diese Schlussfolgerungen erwiesen sich als komplett falsch.
Der Sachverständige Bernd Ottermann, Ärztlicher Direktor der Straubinger Forensik, zerriss im Prozess die Arbeit seines Kollegen förmlich in der Luft. Ottermann hatte schon vor acht Jahren die Kernpädophilie des Priesters festgestellt. Doch der Therapeut des Pfarrers hielt es nicht für nötig, sich das damalige Gerichtsgutachten Ottermanns auch nur anzuschauen. Der Psychiater habe nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst gehandelt, befand Ottermann daher. "Wenn jemand Kopfschmerzen hat, kann ich ihn nicht auf Fußpilz behandeln", zog der Forensikexperte einen drastischen Vergleich. "Die Therapie konnte nicht zum Erfolg führen!"
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