Einer ist gefasst, bleiben noch drei. So lässt sich die neueste Entwicklung im Fall des spektakulären Ausbruchs von vier Straftätern aus dem Bezirkskrankenhaus (BKH) Straubing in Niederbayern zusammenfassen. Der erste der vier Geflüchteten wurde laut dem Polizeipräsidium Niederbayern von österreichischen Einsatzkräften am Donnerstagabend in der Steiermark festgenommen. Der 28-Jährige soll keinen Widerstand geleistet haben. Die Staatsanwaltschaft Regensburg habe bereits eine Überstellung nach Deutschland beantragt.
Nach den verbleibenden drei Straftätern werde weiterhin „mit hoher Intensität“ gefahndet. Man prüfe Hinweise aus der Bevölkerung über Bayern hinaus. Wie der Mann den österreichischen Behörden genau ins Netz ging, will das Polizeipräsidium nicht sagen, um die weiteren Ermittlungen nicht zu gefährden. Man mache aber an den Staatsgrenzen nicht Halt, heißt es auf Nachfrage.
Die vier Männer im Alter von 21, 28 und 31 Jahren hatten am Samstagabend mit den Scherben eines Handspiegels einen BKH-Mitarbeiter als Geisel genommen. Sie drohten, ihn zu töten und gingen mit ihm in den Eingangsbereich der Klinik, wo der Mitarbeiter schließlich die Schleusen öffnete. Der Mann blieb mit Schnittwunden im Gesicht zurück, während die Straftäter zu Fuß flüchteten. Sie waren wegen Diebstahls- und Betäubungsmitteldelikten oder Körperverletzung im Drogenmilieu verurteilt und wurden in dem Krankenhaus behandelt. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf Geiselnahme und Körperverletzung.
Straubing ähnelt Günzburger Fall von 2019
Die Geiselnahme, der spitze Gegenstand und das Profil der Männer – Kriminalität im Drogenmilieu –, alles ähnelt sehr einem Ausbruch vor fünf Jahren im BKH Günzburg. Im September 2019 nahmen ebenfalls zwei Männer eine junge Klinikangestellte als Geisel, bedrohten sie mit einem selbst gebastelten Messer und zwangen einen weiteren Mitarbeiter, ihnen die Türen zu öffnen.
Die Spuren der 23- und 28-Jährigen verloren sich in Schwäbisch Gmünd, später kamen aus der Schweiz letzte Hinweise. Die Staatsanwaltschaft schrieb 3000 Euro Belohnung aus, die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ berichtete über den Fall. Vier Monate später wurde der 28-Jährige im spanischen Malaga gefasst. Sein Gefährte konnte hingegen jahrelang nicht gefunden werden. Im Jahr 2020 hatten ihn ukrainische Behörden kurz in Haft, die Spur verlor sich aber erneut. Nach einer Anfrage unserer Redaktion gibt es nun Neues zu dem Fall. Seit Oktober 2023 ist offenbar auch der zweite Mann in Haft. Moldauische Behörden hatten ihn auf einen europäischen Haftbefehl hin gefasst. „Es ist noch kein Datum bekannt, zu welchem er nach Deutschland ausgeliefert werden soll“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Memmingen, Markus Eberhard. So ein Auslieferungsverfahren könne sich hinziehen. Zwischen Moldau und Deutschland besteht kein Auslieferungsabkommen.
Ärztliche Direktorin: In den Kliniken landen die falschen Straftäter
Manuela Dudeck leitet seit mehreren Jahren die Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Günzburg, aus der damals die zwei Männer türmten. Für sie sind die Parallelen zum aktuellen Fall in Straubing nicht zufällig. „Wir sehen immer wieder, dass Männer zwischen 18 und 30 Jahren, die im kriminellen Milieu tätig waren, von den Gerichten zu uns in die Krankenhäuser geschickt werden“, erzählt sie. Dabei seien ihre Abteilungen trotz der Nähe zum Strafvollzug keine Gefängnisse, die Behandlung stehe im Vordergrund. Dementsprechend halte man die Freiheit hoch.
Bei Suchterkrankungen werde da aber oft etwas verwechselt: Statt suchtkrank zu sein und daher straffällig zu werden, seien viele dieser Männer oft schon vor ihrer Sucht kriminell gewesen. Die Sucht sei praktisch als Teil des Lifestyles dazu gekommen, sagt Dudeck. Solche Menschen seien nur schwer zu behandeln. Und tatsächlich hatten zuständige Mediziner bei drei der vier aus Straubing Entflohenen ein Abbruch der Therapie geplant, genauso wie einst bei den zwei Männern aus Günzburg.
Bezirksklinikum Günzburg hat aus der Flucht gelernt
Als Reaktion auf den Ausbruch hätten sie damals in Günzburg die Qualifikation des Sicherheitspersonals erhöht und die Sicherung von Schleusen und Türen verbessert, sagt Dudeck. Auch das Personal werde nun regelmäßiger geschult. „Eine Geiselnahme kann in diesem Job immer passieren“, sagt sie. Dudeck spricht aus Erfahrung. 1998 sei sie auch selbst einmal als Geisel genommen worden. Damals habe sie sich noch anhören müssen: „Wie konntest du das zulassen?“ Heute sei man da weiter.
Eine Gesetzesreform der Ampel, die seit Oktober 2023 gilt, sollte dafür sorgen, dass tatsächlich nur noch diejenigen in die Krankenhäuser und Entziehungsanstalten kommen, die aufgrund ihrer Sucht kriminell geworden sind. Seit Januar würden nun tatsächlich weniger Menschen zu ihnen ins BKH Günzburg verlegt, sagt Dudeck. „Leider sind es aber immer noch die Falschen.“
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