Frau Sraier, Sie sind unabhängige Patientenberaterin für ganz Schwaben. Wer kommt zu Ihnen?
CAROLA SRAIER: Es sind überwiegend Seniorinnen und Senioren.
Und welche Probleme haben sie?
SRAIER: Vor allem die Digitalisierung im Gesundheitswesen führt aktuell zu enormen Ängsten und verunsichert gerade viele ältere Menschen ganz massiv. Ältere Patientinnen und Patienten fürchten oft die Apps, die beispielsweise bedient werden müssen, um online einen Arzttermin zu buchen. Denn anders als häufig von der Politik angenommen, haben die meisten Rentnerinnen und Rentner heute zwar ein Handy und oft auch ein Smartphone, mit dem wird aber in der Regel nur telefoniert. Oft ist noch WhatsApp installiert, damit mit den Kindern und Enkeln kommuniziert werden kann und vielleicht noch eine App für den ÖPNV, mehr aber meist nicht. Alles, was darüber hinaus geht, bereitet vielen Älteren Angst. Die Verunsicherung fängt beispielsweise schon damit an, dass bei immer mehr Fachärzten die Anamnese, also die Krankengeschichte, an einem Tablet ausgefüllt werden muss. Viele haben da im Wartezimmer zum ersten Mal ein Tablet in der Hand und sind dementsprechend ungeübt im Umgang damit. Ganz schlimm ist auch, dass in immer mehr Arztpraxen kein medizinisches Fachpersonal mehr ans Telefon geht, sondern ein KI-gestütztes System. Ich weiß, das ist meist dem Fachkräftemangel geschuldet. Doch damit kommen gerade viele ältere Patientinnen und Patienten nicht zurecht, sie wollen mit einem Menschen sprechen. Viele schaffen es auch nicht, sich online einen Arzttermin zu buchen, das überfordert sie.
Was raten Sie denn dann?
SRAIER: Wer mobil genug ist, fährt oft zum Arzt oder zur Ärztin und bittet vor Ort um einen Termin. Manchmal organisieren auch Hausärzte nötige Facharzttermine für ihre Patientinnen und Patienten. Aber ich erlebe es immer öfter, dass es einfach keine analoge Möglichkeit mehr gibt. Beispielsweise bei Spezialambulanzen in Kliniken muss schon jetzt häufig ein Online-Termin gebucht werden, anders haben sie keine Chance mehr.
Nicht wenige sprechen von einer Altersdiskriminierung gerade auch im Gesundheitsbereich, würden Sie dem zustimmen?
SRAIER: Ja, aktuell haben wir eine Altersdiskriminierung in der Gesundheitsversorgung, weil viele Ältere mit der rasanten digitalen Entwicklung nicht Schritt halten können. Und ganz viele haben auch niemanden, der sie unterstützt. Den Tipp: Lassen Sie sich helfen, hören die Patientinnen und Patienten oft, die zu uns kommen. Aber gerade in Großstädten wie München leben so viele hochbetagte Menschen allein und sind den Umgang mit E-Mail, Smartphone, App & Co. einfach nicht gewöhnt. Sie haben Angst, etwas falsch zu machen oder, dass ihre sensiblen Daten in falsche Hände geraten. Für große Ängste sorgt aktuell auch die ePA, also die elektronische Patientenakte.
Welche konkreten Sorgen plagen die Menschen bei der elektronischen Patientenakte?
SRAIER: Auch hier wurde wieder einfach davon ausgegangen, dass alle auf einen Link gehen können und sich online informieren und gegebenenfalls auch widersprechen können. Dass viele Menschen ein Link überfordert, das wurde zunächst gar nicht berücksichtigt. Erst auf unsere Initiative hin wurde ermöglicht, dass man auch schriftlich und telefonisch der automatischen Einrichtung der ePA widersprechen kann. Auch bei den Ombudsstellen der Krankenkassen, wo man auch anrufen kann, ist Widerspruch möglich – allerdings braucht man hier oft viel Zeit und Geduld bis man durchkommt. Denn auch beispielsweise Krankenkassen sind ja immer weniger vor Ort und niederschwellig zu erreichen, auch hier wird für alles der elektronische Weg bevorzugt. Der Aufklärungsbedarf über die ePA ist riesig, seit zwei Jahren arbeiten wir intensiv da schon vor und noch immer sind die Wissenslücken enorm.
Was muss ich vor allem bei der ePA aus Ihrer Sicht wissen?
SRAIER: Ich muss wissen, was die ePA kann und was nicht. Viele glauben, dass beispielsweise alle alten Röntgenbilder, alle MRT-Aufnahmen automatisch gleich auf der ePA eingepflegt werden. Das stimmt aber nicht. Erst nach der Einführung werden künftig die Aufnahmen dort abrufbar sein. Und auch nur dann, wenn ich mich als Patient bei meiner Kasse mit einer App registriert habe. Jede Krankenkasse hat eine eigene App. Niederschwellig ist das alles nicht, sondern kompliziert – und ich muss mich wirklich kümmern. Ein großes Problem beobachten wir bei Menschen, die psychisch krank sind. Denn hier gibt es viele Vorbehalte, was die ePA angeht. Schließlich wollen viele, die in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung sind, nicht, dass beispielsweise der Zahn- oder Hautarzt das über die ePA erfährt. Will man das nicht, müsste man der ePA widersprechen, aktiv Dokumente verschatten oder die Einsicht auf die ePA für Behandler untersagen.
Das heißt, man kommt einfach nicht drumherum auch im höheren Alter sich mit der Digitalisierung vertraut zu machen, oder?
SRAIER: Wir raten in der Tat dazu, sich nach Möglichkeit für die wichtigsten digitalen Wege schulen zu lassen. Es gibt ja viele Angebote auch speziell für Seniorinnen und Senioren. Denn ansonsten bleibt nur der Weg, jemanden anderen so zu vertrauen, dass der- oder diejenige die ganze Organisation beispielsweise im Gesundheitsbereich übernimmt.
Mit welchen Problemen kommen Patienten noch zu Ihnen?
SRAIER: Zu mir kommen immer öfter Patientinnen und Patienten, die mit der Organisation von Operationen überfordert sind. Zum einen gestaltet sich die Nachsorge oft schwierig, weil sich Chirurgen nur um die OP kümmern, für die Nachsorge aber nicht mehr zuständig fühlen. Zum anderen führt auch die Entwicklung, dass immer mehr chirurgische Eingriffe ambulant in Tageskliniken vorgenommen werden, zu Herausforderungen. An sich ist das ja eine positive Entwicklung, denn viele Menschen wollen möglichst früh wieder nach Hause und nicht in einer Klinik übernachten. Für viele Alleinstehende ist dies aber ein kaum lösbares Problem, denn meist werde ich nur mit der Auflage entlassen, dass jemand die nächsten 24 Stunden für mich da ist, viele haben aber wirklich niemanden.

Beratung: Für eine persönliche Beratung ist bei der unabhängigen Patientenberatung Schwaben eine vorherige Terminvereinbarung unter Telefon 0821 – 209 203 71 notwendig. Eine telefonische Beratung ist immer Montag von 9 bis 12 Uhr und Mittwoch von 13 bis 16 Uhr möglich; E-Mail: schwaben@gl-m.de
Zur Person: Carola Sraier, 47, ist Gesundheitswissenschaftlerin. Sie arbeitet seit 2006 als unabhängige Patientenberaterin in München und Augsburg und ist die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen.
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