Gerhard Polt: "Ich glaube nicht, dass Humor ein Handwerk ist"
Der große bayerische Kabarettist Gerhard Polt wird bald 80 Jahre alt. Ein Gespräch über den Glauben, das Altern und darüber, ob Markus Söder zur Geburtstagsfeier eingeladen ist.
Herr Polt, wann haben Sie zuletzt herzhaft gelacht?
Gerhard Polt: Heute im Auto auf dem Weg zum Interview, als ich mit meinem Sohn gesprochen habe. Er hat meiner Enkelin etwas beigebracht. Die ist ein Jahr und sieben Monate alt und bildet schon erste Sätze. Mein Sohn kann sie jetzt fragen: „Was ist das Wesentliche beim Immobilienkauf?“ Sie sagt dann: „Lage, Lage, Lage.“ Da habe ich halt lachen müssen im Auto.
Die Enkelin kommt ganz nach ihrem Großvater.
Polt: Das weiß ich nicht. Aber wenn sie Humor hat, wäre das kein Schaden. Was auch immer man über Humor denken mag.
Kann man Humor lernen?
Polt: Schwierige Frage. Ich glaube nicht, dass Humor ein Handwerk ist. Wenn man etwas Lustiges schreibt, ist es eine Art Komposition. Woher hat Mozart seine Komposition? Wo hat’s der Beethoven her? Er hockt sich hin und schreibt das. Manchmal streicht er es durch und macht es noch mal. Das nennt man ja gemeinhin Kreativität.
Sie wurden während des Zweiten Weltkriegs in München geboren, haben aber Ihre frühen Kindheitsjahre in Altötting verbracht. Ein durch und durch katholischer Ort.
Polt: Wenn man so groß geworden ist wie ich, hat man den Weihrauch mit der Muttermilch aufgesogen. Ich habe einmal versucht, das so zu erklären: Als ich später in Schweden war und Familien mich eingeladen haben, habe ich gesagt, ich komme aus einem katholischen Wallfahrtsort. Aber ich merkte schnell, der Schwede hat davon keine Ahnung.
Er kennt das Konzept nicht?
Polt: Genau. Es kann nicht sein, dass er’s versteht. Für einen Protestanten, einen eingefleischten Protestanten wie einen Schweden gibt es da keinen Aha-Moment. Die haben den Schwedentrunk erfunden und die Katholiken schikaniert, das wissen wir, und sie hinter schwedische Gardinen gebracht und sie einen Schwedentrunk trinken lassen, aber das verstehen sie nicht.
Einige Jahre nach dem Krieg zog Ihre Familie zurück nach München.
Polt: Als Kind war München als Ruinenstadt, das sage ich ganz bewusst, der beste und schönste Spielplatz der Welt. Wir Kinder haben Banden gebildet und Krieg gegeneinander geführt. Wahnsinn, was wir beim Spielen gefunden haben: Waffen, Gasmasken, unglaubliche Dinger – was halt die Zivilisation damals zu bieten hatte. Natürlich gab es auch grausame Geschichten. In der Adalbertstraße ist einmal eine Wand umgefallen und da war einer weg. Der andere war schwer verletzt.
Heute leben Sie am idyllischen Schliersee und mehrere Monate im Jahr verbringen Sie in Italien am Meer. Sie sind ja durchgängig im Paradies.
Polt: Ja, richtig. Aber Altötting war auch ein Paradies. Ein katholisches Paradies.
Welches Verhältnis haben Sie zum Katholizismus?
Polt: Die Entwicklung des Katholizismus in den vergangenen gut 2000 Jahren ist hochinteressant. Ich habe ja innerhalb von zwei Jahren die Geschichte aller Päpste gelesen. Zwei Mal. Da gibt es Geschichten, die wären filmreif. Unvorstellbares Material.
Da wäre jetzt natürlich ein Beispiel sehr schön.
Polt: Der Papst Formosus, Mittelalter. Dessen Skelett hat man aus dem Grab genommen und es angezogen. Der wurde hingesetzt und angeklagt. Er hat auch einen Verteidiger bekommen. Dann wurde der verurteilt. Man hat ihm die Finger weggenommen und gesagt, alles was er gesegnet hat, gilt nicht mehr. Der Segen ist weg, im Gegenteil, das ist nun eher verflucht. Später wurde der Papst, der dafür verantwortlich war, stranguliert. Da war der weg. Der Nachfolger hat den Formosus dann wieder freigesprochen. Das ist so irre. Also ich wollte nur sagen, mein Verhältnis zum Katholizismus ist, sagen wir mal, umfangreich.
Wann waren Sie denn zum letzten Mal in der Kirche?
Polt: Im Oktober. Bei der Taufe meiner Enkelin.
Die mit den Immobilien.
Polt: Genau. „Lage, Lage, Lage.“ Die ist getauft worden. Die ist jetzt Christin. Eine christliche Immobiliensachverständige.
Glauben Sie, dass Religion in der Geschichte eher Gutes oder eher Schlechtes bewirkt hat?
Polt: Ich müsste ein Weiser sein, um diese Frage beantworten zu können. Der Kölner Dom ist eine Sache. Aber Werte wie die Erfindung des Individuums sind gegen die Kirchen erkämpft worden. Die Emanzipation der Frau ist nicht unbedingt ein Verdienst der katholischen Kirche.
Sie werden nächstes Jahr 80 Jahre alt. Kürzlich hat Markus Söder Ihnen den Bayerischen Verdienstorden verliehen. Ist Herr Söder bei der Geburtstagsfeier eingeladen?
Polt: Nein, also ich glaube nicht (lacht).
Sicher?
Polt: Das ist eine berechtigte Frage. Mir ist nichts bekannt.
Die Süddeutsche Zeitung hat Sie in einer Glosse als „bayerisches Nationaldenkmal“ beschrieben.
Polt: Um Gottes willen.
Trotz Ihres hohen Alters treten Sie weiterhin auf. Warum tun Sie sich das an?
Polt: Ich tu’s mir eben nicht an. Es ist eine Freude, eine Gnade. Ich bin schon ein paar Mal gefragt worden: „Warum wollen Sie nicht aufhören?“ Dann denke ich immer: Warum soll ein Maler, ein Künstler aufhören? Stellen Sie sich vor, der Picasso hätte gesagt: Ich bin jetzt 62, jetzt muss ich aufhören. Ich will sagen: Es ist eine Gnade, wenn man die Chance hat, das zu machen, was einem Spaß macht und was einen auch irgendwie erfüllt.
Was ist es, was Sie an Ihrem Beruf erfüllt?
Polt: Dieter Hildebrandt, der Kabarettist, hat mal gesagt: „Gerhard, machen wir uns nichts vor. Wir sind Triebtäter. Wir lieben das. Und wenn die Musik da ist, sprich der Beifall, dann geht der Lipizzaner in die Höhe.“ Da ist was dran. Es ist schön, wenn man etwas erzählen kann und merkt, dass die Leute gut darauf reagieren. Das freut einen. Das ist ein Gemeinschaftserlebnis.
Fehlte Ihnen das Publikum während der Corona-Pandemie?
Polt: Es war schade, dass ich nicht spielen konnte. Aber ich bin privilegiert. Ich habe ein Haus und einen Garten. Ich verhungere nicht, bin finanziell nicht so schlecht dran. Ich kenne in meinem Umfeld aber viele Leute, die buchstäblich auf die Gant kamen. Nichts mehr da. Musiker oder Freunde in Neapel, tolle Leute. Veranstalter, die Geld zurückgeben und Saalmiete zahlen mussten. Pleite. Das hat meine Frau und mich schon beschäftigt.
Sie sind 50 Jahre mit Ihrer Frau verheiratet. Wie schafft man das?
Polt: Ich würde nie jemandem einen Tipp geben, wie er seine Ehe durchbringt. Ich glaube, dazu bin ich nicht in der Lage.
Sind Sie gläubig?
Polt: Ja, ich bin gläubig. Aber vielleicht ganz anders als gedacht.
Inwiefern?
Polt: Glauben hat für mich etwas mit sich binden zu tun. Jemand, der sich bindet, ist religiös. Ich glaube an etwas Festes. Ich habe neulich eine wunderbare Formulierung gehört. Jemand hat gesagt: Wir sind eigentlich alle Gläubige im wahrsten Sinne des Wortes. Ich glaube, wenn ich etwas nicht weiß oder wissen kann. Warum gehe ich so aus dem Haus (Polt stellt sich aufrecht hin) und nicht so (zieht seinen Kopf ein)? Weil ich glaube, mir wird kein Ziegelstein auf den Kopf fallen. Wissen tu ich’s nicht. Ich hoffe, mir wird nichts passieren. Das hat mit Gewissheit nichts zu tun. Und es ist doch Glaube.
Ist das Ihr persönlicher Glaube?
Polt: In gewisser Weise, ja. Es gibt doch den berühmten Satz der Bremer Stadtmusikanten: Etwas Besseres als den Tod findest du überall.
Wie wollen Sie alt werden?
Polt: Darüber denke ich nicht so viel nach. Es gibt diesen Witz: Was will ein 99-Jähriger unbedingt? 100 werden. Ich kann nur sagen: Natürlich hoffe ich, dass ich morgen frühstücke. Und wenn ich mir schwere Gedanken mache, dann überlege ich mir höchstens, wann ich mal wieder ein Weißwurstfrühstück mache.
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Kabarettist Gerhard Polt beweist in beeindruckender Art und Weise, dass man Humor nicht lernen kann, aber auch die Fähigkeiten haben muss ihn anderen mitzuteilen.