Gigantische Fahrradtour um die Welt: Diese beiden Frauen radeln von Memmingen in den Iran
Ana und Ida Lutzenberger sind seit einem Jahr mit ihren Fahrrädern in der Welt unterwegs. In den vergangenen Monaten waren die beiden Frauen im Iran und Irak.
Schon im Flieger in den Iran muss das Kopftuch angezogen werden. Kurze Hose und T-Shirt sind verboten, auch bei sengender Hitze. In dieser langärmeligen Vollmontur sind Ana und Ida Lutzenberger drei Monate mit ihren Fahrrädern durch den Iran geradelt.
Iran: Alkohol ist verboten und die Frauen müssen sich verhüllen
Dort ist Alkohol verboten, soziale Netzwerke sind teilweise gesperrt und die Einhaltung der Regeln wird streng von der Regierung überwacht. Die beiden Fahrrad-Nomadinnen aus Schwaighausen erzählen von ihren Erfahrungen.
Regeln und Religion: „Das Interessante ist, dass es im Land eigentlich einen hohen Atheistenanteil gibt. Viele Menschen dort sind sehr weltoffen und westlich“, sagt Ida. Die Regierung drücke vielen Iranis das enge Regel-Korsett auf. „Wir haben einige mutige Leute getroffen, die ihren Weg gefunden haben, damit umzugehen.“ Sie erzählen von Frauen, die ihre Rebellion in kleinen Schritten vorantreibe – indem sie ihre Knöchel zeigen, den Hijab zuhause lassen und nur noch eine Käppi tragen.
Die Gleichstellung der Geschlechter – ein geheimer Wunsch
Aber auch von einem Mann, der den beiden erzählte, dass er die Gleichstellung der Geschlechter befürworte. Eine Meinung, die er für sich behalten muss, weil sie ihn ins Gefängnis bringen könnte. „Alles, was das Leben ausmacht – wie zum Beispiel gemeinsam feiern, ist auch im Iran möglich“, fasst Ana zusammen. Aber es finde sehr versteckt und im Privaten statt – immer mit der Angst im Nacken, dass der Regierungsapparat dahinter kommt.
Gastfreundschaft: „Wir wurden in vielen Ländern bereits mit einer Flut an Freundlichkeit empfangen“, sagt Ida. Doch im Iran sei das noch einmal auf die Spitze getrieben worden. „In der Religion und in der Kultur ist tief verankert, dass der Gast das höchste Gut ist – egal, woher er kommt und welcher Religion er oder sie angehört. Und so wurden wir auch behandelt.“ Beinahe jeder Autofahrer, der an den beiden vorbeigefahren sei, habe angehalten und sie zu sich eingeladen. „Deswegen sind wir manchmal sehr langsam vorangekommen“, erzählt Ida und lacht.
Die (über-) fürsorgliche Polizei: Besonders hilfsbereit und fürsorglich sei die iranische Polizei gewesen. „Im Iran dürfen Frauen nicht alleine reisen“, erklärt Ana. Deswegen hätten die Beamten sich in der Pflicht der Beschützer gesehen. „Das war einerseits sehr süß und andererseits sehr anstrengend“, sagt Ida.
Denn die Polizeiautos seien oft stundenlang gemütlich neben den beiden hergetuckert. „Wir haben oft lange mit den Polizisten diskutiert und erklärt, dass wir auch gut alleine zurechtkommen.“ Genützt habe das allerdings nur selten.
Zelten mit Polizeischutz und ein ungewöhnliches Abschiedsgeschenk
„Einmal haben wir unser Zelt in der Nähe eines Dorfes aufgestellt. Die Bewohner waren sehr besorgt um uns und luden uns zu sich ein. Wir wollten aber lieber in unserem Zelt schlafen.“ Nachdem die „sturen deutschen Frauen“ nicht von ihrem Entschluss abwichen, entschieden sich die örtlichen Beamten kurzerhand, Nachtwache zu halten.
Kurz vor der Grenze in den Irak sahen die Polizisten wohl ein, dass sie die beiden Abenteuerinnen nicht weiter behüten konnten. Deswegen gab es ein Geschenk zum Abschluss: zwei Säbel zur Selbstverteidigung.
Kurdistan: Ein Zufluchtsort für verschiedene Völker und Religionen
Kopftuch runter, T-Shirt an: Diese Freiheit bekommen Ana und Ida zurück, als sie die Grenze vom Iran in den Irak, genauer gesagt in die Autonome Region Kurdistan, passieren. Das Gebiet ist ein unabhängiger Teil des Iraks. Er ist für viele Angehörige religiöser Minderheiten eine Art Zufluchtsort, erzählen die Frauen. Etwa ein Achtel der Bevölkerung in Kurdistan besteht aus geflüchteten Menschen.
Der Tempel der Jesiden: Die Jesiden sind eine der Bevölkerungsgruppen, die vor Unterdrückung und Terror geflohen sind. 2014 griff der Islamische Staat eine jesidische Region im Nordirak an, massakrierte rund 10.000 Menschen und zwang die Jesidinnen und Jesiden zur Flucht.
Lalisch: eine neue Heimat für Jesidinnen und Jesiden
Viele fanden eine neue Heimat in Kurdistan, genauer gesagt in Lalisch. „Dieser Ort ist für Jesiden das, was Mekka für Moslems ist“, erklärt Ana. Dort steht ihr Tempel, den die beiden als Ort der Begegnung beschreiben, wo gemeinsam gegessen und gebetet werde. „Ein Riesenpicknick gewissermaßen“, bei dem jeder willkommen sei.
Die Anhänger der jesidischen Religion seien überall auf der Welt verstreut, die meisten lebten aber in Deutschland. „Das war ganz schön für uns, denn viele Menschen in Lalisch konnten Deutsch sprechen oder hatten Verwandte in Deutschland“, sagt Ana.
Die unverhoffte Fernsehkarriere: „Wir sind jetzt kurdische Promis“, sagt Ida lachend. An der Grenze zum Irak sei ein Reporter auf die beiden aufmerksam geworden. „Er meinte, wir sollen uns melden, wenn wir mit den Rädern in Sulaimaniyya (Stadt in der Autonomen Region Kurdistan) ankommen“, erzählt Ana. Das taten die beiden – und wurden unverhofft von einem ganzen Kamerateam abgefangen. Diese drehten dann einen Beitrag über die beiden Radlerinnen.
Die beiden geben Interviews für mehrere kurdische Fernsehsender
„Und das hat wohl etwas losgetreten“, sagt Ida, denn daraufhin wurden die beiden von zwei weiteren Kamerateams interviewt. „In Kurdistan gibt es nicht so viele Fernsehsender, deswegen haben auch vielen Menschen diesen Beitrag gesehen“. Und das machte die beiden schlagartig berühmt: „Egal wo wir hingefahren sind, die Leute haben uns erkannt und wollten Fotos mit uns machen“, erzählt Ida.
Der Ukraine-Krieg: „Als wir vom Kriegsausbruchs erfahren haben, waren wir geschockt“, sagt Ana. Die beiden kennen das Land: Der Auslöser für ihre aktuelle Tour sei eine längere Rad-Reise in die Ukraine gewesen. „Das hat uns sehr fertig gemacht.“
Im Moment befinden sich die beiden Nomadinnen wieder in der Türkei. Dort sei die Problematik im Moment sehr präsent. „Es gibt hier viele Proteste, weil wegen des Krieges alles sehr teuer wird“, sagt Ida. Auch flüchteten aktuell Russen, die sich gegen den Krieg aussprechen in die Türkei. Aber auch viele Geflüchtete aus Syrien seien im Land mehr oder weniger gestrandet. „Diese Menschen warten teilweise seit Jahren in Lagern darauf, dass sie ein Visum bekommen oder weiterziehen können.“
Wie es weiter geht: In den kommenden Monaten wollen sie über Albanien, Griechenland und Italien zurück nach Deutschland fahren und etwa im Juli wieder zuhause ankommen.
Auf die Frage, wie es den Fahrrädern Eddy und Shauny geht, sagt Ana trocken: „Die müssen eigentlich ins Krankenhaus.“ In Istanbul wollen die beiden ihre treuen Gefährte auf Vordermann bringen und dann die letzte Etappen in Angriff nehmen.
Das macht die Spenden-Aktion "Rette rette Fahrradkette" aus:
- Das ist der Name, den Ana und Ida Lutzenberger aus Schwaighausen ihrer Radel-Aktion gegeben haben.
- Die beiden wollen damit für die Organisation seawatch.org Spenden sammeln.
- Sie tauschten vor einem Jahr ein Dach über dem Kopf gegen ihre Fahrräder und ziehen seitdem durch verschiedenen Länder.
- Der ursprüngliche Plan war, von Memmingen nach Peking zu radeln, doch vor der chinesischen Landesgrenze war für die beiden Endstation.
- Bisher haben die beiden etwa 13.000 Kilometer auf der Kette.
- Im Juli kommen die Radlerinnen zurück nach Memmingen.
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