Liebe Leser und Leserinnen,
als am 27. Januar 1945 sowjetische Truppen der „I. Ukrainischen Front“ den Fluss Soła überqueren, erreichen sie die Lageranlagen. Es tut sich ihnen ein furchtbares Bild des Schreckens auf. 7500 noch lebende, aber völlig entkräftete Häftlinge konnten die Soldaten noch auffinden. Viele von ihnen werden in den folgenden Tagen dennoch sterben, da ihr Magen gehaltvolle Nahrung nicht mehr gewohnt ist. Trotz der Leichenberge ist das Ausmaß des Schreckens von Auschwitz noch nicht ersichtlich. Die Lagerleitung hatte kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee die Gaskammern gesprengt und aussagekräftige Dokumente verbrannt.
Der größte Teil, noch gehfähige Häftlinge, wurde auf Todesmärsche zu anderen Lagern im Westen geschickt. Insgesamt wurden in Auschwitz 1.100.000 Menschen ermordet. Über 90 Prozent waren Juden. Doch auch Zahlen können das Ausmaß des Leids kaum ausdrücken. Auschwitz ist zum Symbol des NS-Terrors geworden. Das Leid war aber nicht nur auf diesen Ort in Polen beschränkt. Im ganzen deutschen Reich gab es Lager, auch in unserem Landkreis. 3000 Insassen sollen es in Lauingen gewesen sein.
Man spricht von einer Theologie nach Auschwitz
Auschwitz ist zum Begriff geworden, auch in der Theologiegeschichte. Die Frage nach einem guten und gleichzeitig allmächtigen Gott hat schon immer Probleme bereitet. Bei jedem persönlichen Leid taucht sie auf und wird bei Katastrophen massiv: „Wie kann Gott so etwas zulassen?“ Antwortversuche wie der von G. W. Leibniz, dass Gott eben „nur“ die beste aller möglichen Welten schaffen konnte, können spätestens seit Auschwitz kaum mehr tragen. Man spricht von einer Theologie nach Auschwitz.
An der Güte Gottes will man nicht rütteln, wohl aber an dem Begriff der Allmacht. Die Theologin Dorothee Sölle wagt einen Versuch: Sie tritt aus der Annahme der Omnipotenz Gottes heraus und stellt das Kreuz und Leid Christi in den Mittelpunkt: Die Bejahung der gewaltfreien Ohnmacht der Liebe, in der Gott nicht mehr „Leidverhänger“ ist, sondern „Mitleidender“. Dennoch kann die Liebe, Gott nicht in der Ohnmacht bleiben. Mit der Auferstehung definiert sie eine Macht von unten. „Gute Macht ist geteilte Macht, solche, die sich austeilt, die andere beteiligt, die durch Verteilung wächst und nicht knapper wird.“
Heute, 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, ist es an uns, diese gute, geteilte, demokratische Macht weiter wachsen zu lassen. Am 23. Februar dürfen wir uns für Menschen entscheiden, die sich für Mitmenschlichkeit und gegen Hass und Hetze engagieren.
Ihr Pfarrer Wolfram Andreas Schrimpf, evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Höchstädt
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