Zahlreiche Gäste, nicht nur Sozialdemokraten, sind am Freitagabend der Einladung des SPD-Ortsvereins in die Gaststätte „Traube“ in Dillingen gefolgt. Dessen Vorsitzende Gudrun Hübner und Hubert Probst hatten zum Wahlkampf-Endspurt eine außergewöhnliche Politikerin eingeladen: Heike Heubach. Ihre erste Rede im Bundestag im Oktober 2024 machte die Sozialdemokratin bundesweit bekannt. Denn es war die erste Rede im deutschen Parlament, die in Gebärdensprache gehalten wurde. Spätestens seit diesem Zeitpunkt kennen viele Menschen in Deutschland, wie auch die Zuhörer in der Traube, zumindest die Gebärde für Applaus: hochgestreckte, winkende Hände.
Heike Heubach ist seit frühester Kindheit gehörlos. Wenn jemand weiß, wie es um die Inklusion im Lande steht, dann die gelernte Industriekauffrau und Mutter von zwei erwachsenen Töchtern. Zeitlebens habe sie sich durchboxen müssen. Die Barrieren seien nach wie vor hoch. Zudem wüssten die meisten Menschen gar nicht, wie sie im Alltag mit Gehörlosen umgehen sollen, räumt Heubach ein. Deshalb müssten möglichst frühzeitig, schon in den Kindergärten, Begegnungen mit Gehörlosen und anderen Menschen mit Behinderungen überhaupt stattfinden. Nur durch Aufklärung könne mehr Verständnis aufgebaut werden. „Kinder fragen mich, ob ich lesen, schreiben, schwimmen oder fahrradfahren kann“, berichtet die Parlamentarierin. Dabei sei sie doch nur gehörlos. „Aber woher sollen sie es denn wissen?“
Auch für vertrauliche Gespräche benötigt die SPD-Abgeordnete Dolmetscherinnen
Den ganzen Tag ist die SPD-Direktkandidatin an diesem Freitag schon in ihrem Wahlkreis, Augsburg-Land, auf Wahlkampftour. Deshalb kommt sie verspätet in den Wahlkreis Donau-Ries, der die Landkreise Dillingen und Donau-Ries umfasst. Dort ist Christoph Schmid SPD-Direktkandidat. Er sei in engem Kontakt mit seiner Parteikollegin und „lerne jeden Tag neu dazu“, betont er. So müssten selbst bei vertraulichen Gesprächen oft mehr als vier Augen dabei sein, sagt Schmid mit Verweis auf die fast immer notwendigen Dolmetscherinnen.
Auch an diesem Abend kommt Heike Heubach nicht allein. Drei Gebärden-Dolmetscherinnen begleiten die Abgeordnete und übersetzen abwechselnd ihre Gebärden in Hochsprache und umgekehrt. Das erfordert höchste Konzentration – von Heubach, von den Dolmetscherinnen und auch vom Publikum.
Gäste in der Dillinger „Traube“ zeigen viel Empathie
Doch die Bundestagsabgeordnete will auf keinen Fall „nur als gehörlose Person wahrgenommen werden“. Da sich Fragen allzu oft um ihre Gehörlosigkeit drehten, macht sie ihre Prioritäten immer wieder deutlich: „Für mich geht in erster Linie um mich als Mensch, in zweiter Linie um meine Arbeit als Abgeordnete und dann erst um mich als taube oder gehörlose Person.“ Als Parlamentarierin sitzt sie im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauen und Kommunalpolitik. Sie ist dort vor allem für die Bereiche Mehrgenerationenhäuser, klimaresilientes Bauen und Prävention von Naturkatastrophen verantwortlich. Doch auch an diesem Abend hat sie ein Déjà-vu, selbst wenn Vertreter und Mitarbeiter der Dillinger Regens-Wagner-Stiftung oder Helmut Vogel, der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Gehörlosenbundes, unter den Gästen sind.
Die meisten Teilnehmenden sind erstmals direkt mit einem gehörlosen Menschen konfrontiert. Sie wollen mit viel Empathie mehr wissen. Über Heubachs Erfahrungen, die Probleme und den Stand der Inklusion überhaupt. Und sie bedanken sich immer wieder mit hochgestreckten, winkenden Händen für die Nachhilfe in Sachen Inklusion. Die SPD-Parlamentarierin rangiert auf Platz 14 der Bayernliste der Sozialdemokraten. Es könnte knapp werden. Doch die 45-Jährige geht mit einem Motto des Augsburgers Bertolt Brecht in die letzten Wahlkampftage: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
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