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Streit um den Karenztag: Ein Arzt aus Aichach ist zwiegespalten

Aichach-Friedberg

Streit um den Karenztag: Ein Arzt ist zwiegespalten

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    Die Zahl der Krankmeldungen ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen.
    Die Zahl der Krankmeldungen ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Foto: Jens Büttner, dpa (Symbolbild)

    Für Torsten Falke ist die Sache klar. „Dieser Vorschlag ist aus unserer Sicht rein populistisch und wenig fundamentiert“, sagt er. Falke ist Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IGBCE) in Augsburg und damit auch zuständig für den Landkreis Aichach-Friedberg. Der Vorschlag, den er meint, ist dieser: Arbeitnehmer sollen am ersten Krankheitstag kein Gehalt mehr bekommen. Hintergrund ist, dass die Zahlen der Krankmeldungen in den vergangenen Jahren stark angestiegen sind. Anders als Falke halten sich große Unternehmen aus der Region zur Diskussion bedeckt.

    Unsere Redaktion hat für das Thema bei mehreren Unternehmen im Wittelsbacher Land angefragt. Beim Möbelhersteller Segmüller in Friedberg, beim Bauunternehmen Züblin Timber oder beim Medizintechnikhersteller Julius Zorn in Aichach etwa. Von fast allen kam die Rückmeldung, dass sich das Unternehmen an der Diskussion nicht beteiligen möchte.

    Eine Ausnahme ist die Mediengruppe Forum aus Merching. „Der Vorschlag ist etwas provokant“, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Aus wirtschaftlicher Sicht könne man die gestiegenen Krankheitszahlen diskutieren. „Aber ob das die Idee ist, die alles zum Besseren wendet, darf bezweifelt werden.“ Das Unternehmen beschäftigt in Merching etwa 300 Mitarbeitende. Die Zahl der Krankmeldungen sei in den vergangenen Jahren leicht gestiegen. „Das hatte sicher auch mit der Pandemie und den Nachwirkungen zu tun.“

    Das Landratsamt Aichach-Friedberg und die Kliniken an der Paar teilen mit, sich zur Diskussion nicht äußern zu wollen. Beide Arbeitgeber beobachten aber ebenfalls, dass in den vergangenen Jahren mehr Beschäftigte krankheitsbedingt ausgefallen sind als zuvor.

    Arzt erklärt die Gründe für die gestiegene Krankheitsquote

    Anhand der Zahlen würde man davon ausgehen, dass sich heute deutlich mehr Menschen krankmelden als früher. Dieser Eindruck täusche allerdings etwas, sagt Andreas Ullmann, Facharzt für Allgemeinmedizin und Geschäftsführer des Zentrums für Allgemeinmedizin in Aichach. Seit 2021 werden nämlich alle Krankschreibungen den Krankenkassen elektronisch übermittelt, erklärt Ullmann. Vorher seien nicht alle Krankheitsfälle erfasst worden.

    Andreas Ullmann, Facharzt für Allgemeinmedizin und Geschäftsführer des Zentrums für Allgemeinmedizin in Aichach, ist bei der Diskussion um den Karenztag hin- und hergerissen.
    Andreas Ullmann, Facharzt für Allgemeinmedizin und Geschäftsführer des Zentrums für Allgemeinmedizin in Aichach, ist bei der Diskussion um den Karenztag hin- und hergerissen. Foto: Wolfgang Müller (Archivbild)

    Ein weiterer Grund für die gestiegene Krankheitsquote sei die Coronapandemie, erklärt der Arzt. Seitdem gebe es bei vielen Unternehmen eine höhere Sensibilität bei Erkrankungen. „Viele Arbeitgeber wollen nicht, dass ihre Beschäftigten kränklich in die Arbeit kommen und dann vielleicht andere anstecken“, sagt Ullmann. Ihm ist bei der Diskussion eines wichtig zu betonen: „Man kann nicht behaupten, dass alle, die einen Tag krankgeschrieben sind, blau machen.“

    Diese Unterstellung steckt hinter der Diskussion. Angestoßen hatte sie der Chef der Allianz-Versicherungsgesellschaft, Oliver Bäte. Ziel sei es, Arbeitgeberinnen und -geber zu entlasten. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes fehlten in Deutschland im Jahr 2023 Beschäftigte durchschnittlich rund 15 Arbeitstage wegen Krankheit. Der Schnitt in anderen Ländern ist deutlich geringer. Bis 1970 gab es in Deutschland noch einen sogenannten Karenztag. Beschäftigte, die sich krankmeldeten, erhielten für den ersten Krankheitstag keinen Lohn.

    Einführung des Karenztages wäre rein rechtlich schwierig

    Falke von der IGBCE befürchtet, dass bei einer Wiedereinführung des Karenztages viele Arbeitnehmer krank in die Arbeit gehen würden. „Wer krank ist, gehört nicht in den Betrieb“, betont der Gewerkschafter. Zudem sei es in vielen Fällen rein rechtlich nicht möglich, die Lohnfortzahlung einfach auszusetzen. In Tarifverträgen sei oft eine Regelung enthalten, die eine Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag vorschreibe. Diese könne nicht ohne Weiteres aufgelöst werden.

    Torsten Falke, Bezirksleiter der IGBCE Augsburg, verweist auf die Tarifverträge. Die schreiben oft eine Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag vor.
    Torsten Falke, Bezirksleiter der IGBCE Augsburg, verweist auf die Tarifverträge. Die schreiben oft eine Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag vor. Foto: Klaus Rainer Krieger (Archivbild)

    Arzt Ullmann ist bei der Diskussion um den Karenztag hin- und hergerissen. „Als Arbeitgeber wäre es mir recht, als Mensch oder Arzt nicht“, sagt er. Für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen wäre es eine Entlastung, wenn weniger Menschen in die Praxis kämen, um sich für einen Tag krankschreiben zu lassen. Manche Arbeitgeber verlangen schon für den ersten Krankheitstag einen Nachweis. „Diese Patienten blockieren teilweise schon den Betrieb“, sagt Ullmann. Viele haben Kopfschmerzen, Grippe oder Kreislaufprobleme. „Dahintersteckt oft wenig Behandlung.“ Daher findet der Arzt es wichtig, dass über das Thema gesprochen wird.

    Bei einer Wiedereinführung des Karenztages würde die Zahl der Krankmeldungen wohl wieder sinken, glaubt er – allerdings nicht, weil weniger Menschen krank sind. „Gerade Menschen, die wenig Geld haben, gehen dann eher krank in die Arbeit“, sagt Ullmann. „Dort stecken sie dann andere an und werden nicht so schnell gesund. Das wäre die Kehrseite.“

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