Im Jahr 2012 war es soweit: Leonhard Keller aus Opferstetten hat mit all seinen Ehrenämtern aufgehört. „Man muss rechtzeitig aufhören und den Jungen Platz machen“, sagt er heute zu dem Beschluss, den er im Alter von 60 Jahren umgesetzt hat. Außerdem wollte er seine mittlerweile zehn Enkel aufwachsen sehen. Mit seinen vier Kindern habe das nicht ganz geklappt, blickt er zurück. Spätestens, als er 1992 Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) im Landkreis Günzburg wurde, und daraufhin Präsident des BBV-Bezirksverbandes Schwaben, sei er eigentlich nicht mehr zu Hause gewesen.
Die heimische Landwirtschaft in Opferstetten (Gemeinde Bibertal) hätten sein Sohn Andreas und seine Frau Ingrid geführt. Er habe lediglich telefonisch beraten.
Geboren am 10. August 1952, absolvierte Keller nach der Schule eine dreijährige Lehre als Landwirt. 1974 legte er die Landwirtschaftsmeisterprüfung ab, übernahm 1977 den elterlichen Hof. 1982 wurde er Ortsobmann des Bauernverbandes und zeitgleich Mitglied des Kreisvorstandes. „Ich habe gern Verantwortung übernommen“, erklärt er sein Engagement im Ehrenamt, das schon früh begann. Klassensprecher, zweiter Kommandant der Feuerwehr, Mitglied der Kirchenverwaltung, zählt er erste Ämter auf. An seinem 30. Geburtstag habe er dann überlegt, ob das denn schon alles gewesen sei. Und so ging es bald los, von 1987 bis 1992 war er zunächst stellvertretender Kreisobmann des BBV, dann Kreisobmann.

Zur Kandidatur um das Präsidenten-Amt beim BBV-Berzirksverband Schwaben sei er überredet worden. Er habe nicht gewusst, was auf ihn zukommen würde. Gegen drei Gegenkandidaten hat er sich durchgesetzt. Er, der Ackerbauer, hat gewonnen, obwohl die Allgäuer Landwirte einen Milchviehbauer als Präsident wollten, sagt er. Das sei nicht immer leicht gewesen. Was er aber als Erstes merkte: „Ich war nicht mehr daheim.“ Allein die Vorstellung in zehn Landkreisen, bei zehn Kreisbäuerinnen, zehn Kreisobmännern und Vorstandschaften musste erledigt werden. Außerdem war er bei zahlreichen Veranstaltungen gefragt. Neben seinem Präsidentenamt war Keller von 1992 bis 1999 Mitglied des Bayerischen Senats, der zum 1. Januar 2000 aufgelöst wurde. „Dort wurde viel im persönlichen Gespräch gelöst“, urteilt er über die zweite Kammer der Volksvertretung, die neben dem Landtag existierte und im Zuge der Bürokratiediskussion in den 90-er Jahren in die Kritik kam. Von 1996 an war Keller auch Vorstandsmitglied der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau Niederbayern/Oberpfalz und Schwaben und Mitglied im Landesausschuss der Tierseuchenkasse. Von 1998 bis 2012 war er außerdem im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Schwäbisches Donau-Moos. Ab 1991 war er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Firma Schwabenstärke sowie unter anderem Mitglied des Gehilfenprüfungsausschusses und Mitglied des Wirtschafts- und Strukturbeirats im Landkreis Günzburg. 2014 wurde er dann für sein Engagement von Landwirtschaftsminister Helmut Brunner mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Tierseuchen als Herausforderung: Ganze Bestände mussten in Schwaben getötet werden.
Die Zeit in seinen Ämtern hat körperliche Spuren hinterlassen, aber Leonhard Keller möchte sie nicht missen, „keinen einzigen Tag“, wie er betont. Es gab gute, aber auch sehr schwierige Zeiten. So wurde der erste Fall der Rinderseuche BSE in Bayern im Oberallgäu bestätigt, das zu seinem Bezirk gehörte. „Du fährst zu dem Betrieb, aber was willst du sagen?“, erinnert er sich. Man habe zu wenig gewusst, konnte nicht helfen, denkt er zurück an den Jahrtausendwechsel. Auch die Schweinepest im Kreis Donau-Ries in den 90-er Jahren gehörte zu den schwierigen Dingen. „Betroffene Betriebe wussten nicht, wie es weitergehen soll, erwachsene Bauern heulten“, erzählt er im Rückblick. Ist ein Tier von der ansteckenden Seuche befallen, muss der gesamte Bestand getötet werden.
Im Allgäu entbrannte in den 2000-ern der „Milchkrieg“. Die 1984 eingeführte Milchquote (bis 2015) hatte nichts am Preisverfall der Milch geändert. Weil sich die Milchviehhalter vom Bauernverband unverstanden fühlten, gründeten sie 1998 den Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM). Vorgänger war der Krisenstab Allgäu. „Sie haben uns als Gegner gesehen“, urteilt Keller über diese Zeit. „Und sie waren radikaler“, denkt er an einen Aufmarsch der Milchviehhalter beim Bauernverband in Günzburg zurück. An eine große Demo im Jahr 1997 in Bad Wörishofen erinnert er sich noch genau. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl war zum 100. Todestag von Pfarrer Sebastian Kneipp nach Bad Wörishofen gekommen. Weil 3000 Allgäuer Landwirte zum Protest angereist waren, wurde bundesweit in den Medien berichtet. Und Leonhard Keller hatte Gelegenheit, eine Stunde mit dem Bundeskanzler zu sprechen. Dieser zeigte Verständnis für die Landwirte, lud Keller und Vertreter der vier Allgäuer Kreisverbände ins Kanzleramt ein. Es entstand ein Arbeitskreis, das Pilotprojekt Allgäu wurde damals gegründet.

Leonhard Keller ist Landwirt, hat viele Entwicklungen hautnah erlebt. Den Hof in Opferstetten hat er 1977 übernommen, mit 25 Milchkühen, Kälbern, Schweinen und Hennen. In der Zeit der Milchkontingentierung hat er 1984 die Milchviehhaltung aufgegeben und startete mit der Bullenmast. „Man setzte auf Spezialisierung“, erläutert er, was jedoch in vielen Fällen mit hohen Investitionen verbunden gewesen sei. Und dann kam BSE. 2003 hat er seinen Hof an einen seiner Söhne übergeben, um ihm mit der rechtzeitigen und klaren Nachfolgeregelung „Sicherheit zu geben“. Der Sohn, der in mehreren Bereichen ausgebildet war, entschied sich für Puten. Davon mussten Vater und Mutter überzeugt werden. Jetzt sind sie es, bei den Puten ist es geblieben. Zusätzlich werden 90 Hektar Ackerfläche bewirtschaftet.

In der Landwirtschaft hat es einen „Riesensprung“ gegeben, fasst Keller die Entwicklung zusammen. In der Geschichte der Menschheit habe es wohl noch nie zuvor so viel Wandel innerhalb eines Menschenlebens gegeben wie jetzt. „Ich weiß noch, wie man mit Pferden gearbeitet hat“, denkt er zurück. „Ich war sechs Jahre alt, als die letzten beiden Pferde verkauft wurden“. Heute könne ein Roboter das Unkraut auf dem Acker selbstständig hacken.

Leonhard Keller hat mit allen Ämtern aufgehört, als er noch fit genug war, etwas anderes anzufangen. Der Krippenbau ist nur eines seiner Hobbys, die Ahnenforschung ein weiteres zeitintensives Projekt. Ausflüge mit den Enkeln zählen ebenso dazu. Und hier gibt es einiges nachzuholen: In seiner aktiven Zeit hat es schließlich nur einen Urlaub - der war in Bibione - gegeben. Dennoch würde er alles noch einmal so machen. „Ich möchte die Zeit nicht missen“, sagt er. Auf dem Tisch liegen Fotoalben, die ihn bei Treffen mit Politikern und Funktionären zeigen. Bald müssen sie weichen, denn dann kommen wieder die vier Kinder mit Partnern und Partnerinnen und zehn Enkel zum gemeinsamen Essen.



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