Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

Themenwoche Macht: Die Macht der Natur: Wenn der Klimawandel krank macht

Hitzeextreme werden in Folge des Klimawandels immer häufiger. Diese Veränderung wirkt sich auch auf die Gesundheit aus.
Themenwoche Macht

Die Macht der Natur: Wenn der Klimawandel krank macht

    • |

    Das Thermometer knackt die 40-Grad-Marke und mehr. Die heiße Sommerluft flirrt über den schwarzen Asphalt. Blow-ups auf den Straßen sorgen für Verkehrschaos. Solche Hitzetage werden laut der Wissenschaft in Folge des Klimawandels immer häufiger. Darunter leiden: Mensch und Tier.

    Der aktuelle Jahresreport der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet warnt vor den gesundheitlichen Folgen dieser Hitzeextreme. Vor allem die Gesundheit von älteren Menschen sei durch ein solches Wetter enorm gefährdet, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ein Blick in die Sterberate bestätigt dies. Laut der Lancet-Studie war das Jahr 2019 ein negatives Rekordjahr: Allein 345.000 Menschen über 65 Jahren starben weltweit an den Folgen von Hitze. „Der Klimawandel macht den Planeten und den Menschen krank“, sagt die Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann. Die Professorin leitet das Klimaresilienzzentrum in Augsburg. Sie zählt zu den wichtigsten Forscherinnen, die die Auswirkungen von Klimaveränderungen auf die Gesundheit untersuchen.

    Fast 50 Grad Celsius: Rekordhitze in den USA und in Kanada

    Der Sommer 2021 war zumindest in Deutschland nicht außergewöhnlich, eine große Hitzewelle blieb aus. In Kanada und in den USA litten hingegen die Menschen unter einer Rekordhitze. Das Thermometer erreichte Temperaturen von bis zu 49,5 Grad Celsius. Jedes Extremwetterereignis, egal ob in Nordamerika oder Europa, wirkt sich nicht nur direkt oder indirekt auf die Gesundheit der Menschen aus, sondern hinterlässt auch ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit.

    Wer sich die Bilder aus den USA und Kanada ins Gedächtnis ruft, erahnt die scheinbare Machtlosigkeit gegenüber der Naturgewalt. Menschen flüchteten sich in gekühlte Innenräume. Klimaanlagen und Ventilatoren waren Mangelware. Vielerorts sogar ausverkauft. Für die extreme Hitze in Nordamerika war das Phänomen einer sogenannten Hitzekuppel verantwortlich. Dabei hielt der Hochdruck in der Atmosphäre die heiße Luft in der Region. Laut den Wetterexperten der Washington Post war die Intensität dieses Wetterphänomens „statistisch gesehen so selten, dass sie im Durchschnitt nur einmal alle paar tausend Jahre zu erwarten“ ist. Der vom Menschen verursachte Klimawandel hat allerdings „diese Art von außergewöhnlichen Ereignissen wahrscheinlicher gemacht“.

    Bundesärztekammer warnt vor den Folgen des Klimawandels

    Vor den gesundheitlichen Folgen der verändernden Ökosysteme warnt auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt: „Ein Hitzestress und hohe bodennahe Ozonkonzentrationen können schwerwiegende Folgen für die menschliche Gesundheit haben.“ Dazu zählten Hitzschlag, Herzinfarkt und akutes Nierenversagen wegen Flüssigkeitsmangels. Vor allem Kranke, Säuglinge und Ältere sind von den gesundheitlichen Folgen betroffen. Die Liste der Krankheiten, die durch klimatische Veränderungen begünstigt werden, lässt sich problemlos verlängern: Allergien, Lungenerkrankungen, aber auch Alzheimer. Oftmals enden diese Krankheiten sogar tödlich.

    Auf dem Totenschein stehe nur die Todesursache, aber nicht der Grund für die Erkrankung, sagt Traidl-Hoffmann. Zumindest auf dem Papier ist der Mensch dann an einem Herzinfarkt gestorben und nicht an der Hitze.

    Neuer Erreger: West-Nil-Virus verbreitet sich auch in Deutschland

    Zu den neueren gesundheitlichen Bedrohungen zählen auch Erreger wie das West-Nil-Virus, die nun auch in Deutschland vorkommen können, erklärt Traidl-Hoffmann. In den vergangenen drei Jahren wurden in Europa mehr als 400 Infektionen mit dem West-Nil-Virus verzeichnet. Im September 2019 erkrankte erstmals ein Mensch in Deutschland. Das Gefährliche an diesem Virus ist, dass es in seltenen Fällen zu Entzündungen des Gehirns und der Gehirnhäute kommen kann. Das Risiko eines schweren Verlaufs ist bei Vorerkrankten und älteren Menschen besonders hoch.

    In ihrem Vortrag widmete sich Claudia Traidl-Hoffmann, Professorin an der Universität Augsburg, den gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Abgasemissionen.
    In ihrem Vortrag widmete sich Claudia Traidl-Hoffmann, Professorin an der Universität Augsburg, den gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Abgasemissionen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Traidl-Hoffmann und ihr interdisziplinäres Team lassen sich angesichts des fortschreitenden Klimawandels nicht entmutigen. Ihre gemeinsame Forschung ist vielmehr eine Antwort auf die scheinbare Machtlosigkeit gegen die klimatischen Veränderungen. Die Hauptaufgabe des Forschungszentrums ist, Möglichkeiten zur Anpassung und zur Abmilderung der klimatischen Veränderungen zu entwickeln, erklärt die Leiterin.

    Mensch ist gegenüber dem Klimawandel nicht machtlos

    Mediziner, Juristinnen, Wirtschaftswissenschaftler und Geografinnen suchen gemeinsam nach Anpassungsstrategien für eine erfolgreiche Transformation der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Finanzmärkte. „Wir müssen uns bewusst sein, welche Macht wir haben.“ Denn der Mensch möge zwar machtlos gegenüber der Naturgewalt sein, aber nicht gegenüber dem Klimawandel. „Wir unterschätzen uns“, sagt Traidl-Hoffmann optimistisch. Jeder und jede könne etwas gegen den Klimawandel tun. Das Spannende daran sei, dass die größte Macht darin liege, einfach weniger zu tun. Ein T-Shirt weniger kaufen, eine Flugreise weniger buchen, ein Steak weniger essen oder statt mit dem Auto mit dem Rad fahren. Das alles wirke sich bereits positiv auf den Klimawandel und auf die persönliche Gesundheit aus. Verzicht sei das Gebot der Stunde.

    Die Uniklinik Augsburg und Neusäß sind in unmittelbarer Nachbarschaft.
    Die Uniklinik Augsburg und Neusäß sind in unmittelbarer Nachbarschaft. Foto: Marcus Merk

    Selbst der medizinische Bereich steht hier in der Pflicht. Auch jenseits des Augsburger Klimaresilienzzentrums ist diese Einsicht verbreitet. Wie sich Klimaschutz und Gesundheitsversorgung in Zukunft vereinen lassen, war deshalb Thema des Deutschen Ärztetags. „Wir dürfen vom Klimaschutz nicht nur sprechen, sondern müssen ihn auch praktizieren“, sagt Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, Peter Bobbert, auf der Tagung Anfang November. Bis zum Jahr 2030 soll im deutschen Gesundheitswesen eine Klimaneutralität erreicht werden.

    Gesundheitsbereich muss Emissionen einsparen

    Der CO²-Abdruck des Gesundheitswesens sei relevant, sagt auch die Vorsitzende des Marburger Bunds, Susanne Johna. „Wir brauchen in den Einrichtungen des Gesundheitswesens größere Bemühungen um den Klimaschutz, beispielsweise indem Verbrauchsmaterialien und auch der Energieverbrauch reduziert werden.“ Traidl-Hoffmann stimmt ihren Kolleginnen und Kollegen zu: „Wir müssen unsere Aufgaben erfüllen.“ Sie fordert im Gesundheitswesen ein vernünftiges Energiemanagement, ein nachhaltiges Versorgungssystem und eine klimafreundliche Verpflegung von Patientinnen und Patienten.

    Wie die UN-Klimakonferenz in Glasgow zeigt, können und wollen sich nicht alle Länder den Verzicht von Energien leisten. Die Argumentation, Deutschland allein könne den Klimawandel nicht aufhalten, lässt Traidl-Hoffmann nicht gelten. „Damit machen wir uns machtlos.“ Statt nichts zu tun, setzt die Umweltmedizinerin auf niederschwellige Netzwerke. „Wenn ich bei einem Patienten eine Krankheit diagnostiziere, dann beginne ich schnellstens mit der Therapie und warte nicht ab.“ Das gilt auch für den Klimawandel, denn Patient Erde ist krank.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden