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Intersexualität
16.01.2021

"Endlich wusste ich, wer ich bin"

Mann, Frau: Nicht alle Menschen passen in dieses starre Schema.
Foto: Peter Steffen (dpa)

Mann oder Frau? Manche Menschen passen nicht in diese Kategorien. Zum Beispiel Jeanne Riedel, die vor ein paar Jahren herausfand, dass sie intersexuell ist. Aber was heißt das eigentlich?

Schulterlange gewellte Haare, weiche Gesichtszüge, pinkfarbene Jacke: Wer Jeanne Riedel das erste Mal sieht, wird kaum daran zweifeln, eine ganz normale Frau vor sich zu haben. Und schon ist die Falle zugeschnappt: Denn was ist schon eine „normale“ Frau? Oder ein „normaler“ Mann? Bei einem ausgiebigen Frühstück macht die 35-jährige Aktivistin aus München klar, warum sich diese Fragen nicht so eindeutig beantworten lassen, wie viele Menschen meinen.

Der Körper weist männliche und weibliche Merkmale auf

Jeanne Riedel erfuhr vor fünf Jahren, dass sie intersexuell ist. Damit ist gemeint, dass ihr Körper männliche und weibliche Merkmale aufweist und sich nach den üblichen Normen nicht klar einordnen lässt. „Die Diagnose war eine große Erleichterung für mich“, erzählt sie. „Endlich wusste ich, wer ich bin und was ich bin.“

Aufgewachsen ist Jeanne als Junge, und zwar in einer Kleinstadt in Sachsen. „Eigentlich habe ich schon immer gespürt, dass ich etwas anderes bin.“ In lebhafter Erinnerung geblieben ist ihr ein Ereignis aus der Grundschulzeit: Bei einer Modenschau in der 2. Klasse führte der kleine Junge, der sie damals war, mit Vergnügen High Heels vor. Während die Lehrerin „cool“ darauf reagierte, ließ die Vorführung die anderen Jungen alles andere als kalt. Sie attackierten Jeanne und drückten ihren Kopf in die Kloschüssel.

"Ich bin ein Demi-Girl", sagt Jeanne Riedel.
Foto: Angela Stoll

Jeanne Riedel erzählt das mit einem Lachen, als würde sie eine amüsante Anekdote zum Besten geben. Viele Jahre liegen zwischen ihrer Kindheit in Sachsen und heute, da sie gelassen in ihrem Lieblingscafé bei der Münchener Uni sitzt. Viele Wendungen hat ihre Geschichte genommen. Wie hieß sie damals eigentlich? „Danach fragt man nicht! Das ist ein Deadname“, entgegnet sie entschieden, fast ein wenig schroff. Sie hat ihn endgültig abgelegt und möchte nicht, dass er noch irgendwo zu lesen ist.

"Mein Vater trichterte mir ein traditionelles Rollenverständnis ein"

Echte Zweifel daran, dass sie ein „richtiger“ Junge war, kamen ihr mit zwölf. Während die Klassenkameraden in die Pubertät kamen, tat sich bei ihr nichts. „Mir wurde klar: Mein Körper sieht anders aus als der der anderen.“ Außerdem fiel ihr an sich eine Besonderheit auf, die sie so beschreibt: „Ich konnte nur im Sitzen pinkeln.“ Doch immer dann, wenn sie Bemerkungen in diese Richtung machte, versicherte ihr der Vater, dass sie ein „richtiger“ Junge wäre. „Er war stolz darauf, einen Sohn zu haben, und trichterte mir ein traditionelles Rollenverständnis ein.“

"Ich konnte mich nie mit ,männlich' identifizieren"

Mit 17 lernte Jeanne viele neue Leute kennen und bekam Kontakt zur Schwulen-, später zur Transsexuellen-Szene. „Ich konnte mich nie mit ‚männlich’ identifizieren“, erzählt sie. Deshalb beschloss sie, weiblich zu werden und eine geschlechtsangleichende Operation vornehmen zu lassen. Von einer Ärztin, die sie wegen des dafür erforderlichen Gutachtens aufsuchte, hörte sie erstmals die Vermutung: „Vielleicht sind Sie intersexuell?“ Daran hatte Jeanne noch nie gedacht: Sie wusste nämlich nicht, dass es so etwas gibt. Bis die seltene Diagnose „Partielle Androgenresistenz“ wirklich stand, musste sie noch etliche Ärzte aufsuchen.

Auch Jeanne D'Arc hatte womöglich männliche Gene

Menschen, die davon betroffen sind, haben zwar die männlichen Geschlechtschromosomen XY. Da bei ihnen der Rezeptor für männliche Sexualhormone aber nur teilweise funktioniert, kann Testosteron seine Wirkung nicht voll entfalten. Das heißt, dass ein Baby mit männlichen Genen, aber meist uneindeutigen Geschlechtsorganen auf die Welt kommt. „Hormone sind wie Briefe mit bestimmten Botschaften, und bei mir ist sozusagen der Briefkasten kaputt“, erklärt Jeanne Riedel das Phänomen bildlich. Ein prominentes Beispiel ist das belgische Topmodel Hanne Gaby Odiele, die ebenfalls von einer Androgenresistenz betroffen ist. Es gibt Vermutungen, dass auch Jeanne D´Arc, nach der sich Riedel benannt hat, männliche Gene hatte.

Jeanne D'Arc - war sie intersexuell?
Foto: dpa

Manche erfahren erst als Erwachsene von ihrer Besonderheit

Androgenresistenz ist eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“, wie man Intersexualität inzwischen neutral nennt. Dazu zählen viele andere, zum Teil sehr seltene Phänomene. Manche betreffen die Hormone, andere die Keimdrüsen, wieder andere die Chromosomen. Je nach Variante und Ausprägung fallen schon bei Babys Normabweichungen auf, manchmal aber auch erst in der Pubertät. Manche erfahren erst als Erwachsene von ihrer Besonderheit, einige wahrscheinlich nie.

Im weiteren Umfeld kennt jeder vermutlich einen intersexuellen Menschen

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 0,05 bis 1,7 Prozent der Bevölkerung betroffen. „Selbst bei niedrigen Schätzungen kann man davon ausgehen, dass jeder in seinem weiteren Umfeld mindestens einen intersexuellen Menschen kennt. Die Tatsache, dass die meisten meinen, keinen zu kennen, zeugt von der gesellschaftlichen Verschleierung dieser Menschen“, schreibt Claudia Lang in ihrem Buch „Intersexualiät“ von 2006.

Noch immer bekennen sich wenige öffentlich als Inter*

In den vergangenen Jahren ist zwar viel geschehen, um den Bereich zu enttabuisieren. Ein großer Schritt war, dass im Personenstandsregister seit 2018 auch der Geschlechtseintrag „divers“ erlaubt ist. Ganz zufrieden sind Betroffenenverbände mit der neuen Regelung aber nicht. Wer seinen Eintrag entsprechend ändern will, muss in der Regel nämlich eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Immerhin: „Die Regelung verbessert die Sichtbarkeit von Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“, sagt Charlotte Wunn vom Verein Intersexuelle Menschen. Dennoch sind es auch heute nur wenige, die sich wie Jeanne Riedel öffentlich als Inter* bekennen. Sie dagegen sitzt entspannt vor ihrem Schokobrot und dem Latte Macchiato und spricht tabulos über Themen, die andere verlegen machen. „Ich habe Hoden“, verkündet sie, worauf ein Passant irritiert zu ihr herüberschaut. Das stört sie nicht. Im Gegenteil: „Ich hoffe, dass ich auch anderen Inter* Mut mache. Meine Botschaft ist: Es ist okay, wie du bist. Lass’ dir nichts einreden!“

Frühere Operationen an Kindern hatten mitunter fatale Folgen

Inzwischen haben Mediziner anerkannt, dass Abweichungen nicht automatisch mit Krankheiten gleichzusetzen sind. Es gebe Betroffene, „die keine Behandlung benötigen oder wünschen“, heißt es in der ärztlichen Leitlinie zum Thema, die zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Kindes stärkt. In der Medizin hat sich in den vergangenen Jahren ein Wandel vollzogen. Nach 1950 wurden in vielen Ländern Genitaloperationen an Kindern durchgeführt, deren Körper nicht den Vorstellungen von eindeutig männlich oder weiblich entsprachen. Damals glaubte man, es sei für das Kind das Beste, ein Geschlecht festzulegen. Die Folgen waren mitunter fatal.

Auch Charlotte Wunn kennt Menschen, die ohne ausreichende Aufklärung operiert wurden und bis heute unter den Auswirkungen leiden: „Manche Leute in unseren Selbsthilfegruppen sind traumatisiert.“ Geht es nach der aktuellen Leitlinie, sind solche zweifelhaften Operationen nicht mehr möglich. Sie sieht vor, Kinder nur zu operieren, wenn es dafür gute medizinische Gründe gibt, und möglichst abzuwarten, bis Minderjährige selbst entscheiden können.

Jeanne Riedel freut es vor allem, dass die Leitlinie betroffenen Familien eine Peer-Beratung, also eine Beratung durch Menschen mit derselben Diagnose, anrät. „Aber das Ganze ist eben nur eine Empfehlung“, sagt sie. Und an die würden sich Ärzte nicht unbedingt halten.

Auch die Hormonexpertin Prof. Nicole Reisch von der Uniklinik München beklagt, dass die Vorgaben der Leitlinie zu wenig umgesetzt werden. So fehlten zum Beispiel die finanziellen Mittel, um eine Betreuung durch spezialisierte Psychologen und geschulte Peers anzubieten. Abgesehen davon sollte laut Reisch „ausschließlich in spezialisierten Zentren behandelt und operiert werden“. Sie geht davon aus, dass dies nicht immer der Fall ist und daher „zu viel ohne die notwendige Expertise oder Evidenz operiert wird und wurde“.

Wegen der Seltenheit gibt es kaum aussagekräftige Studien

Damit spricht sie ein grundsätzliches Problem an: Wegen der Seltenheit der einzelnen Phänomene gibt es kaum aussagekräftige Studien. „Die Datenlage ist dürftig“, betont sie. Zum Beispiel sei in vielen Fällen unklar, wie hoch das Krebsrisiko bei einer Fehlentwicklung der Keimdrüsen sei. Früher diente die Tumorgefahr als Argument dafür, in solchen Fällen grundsätzlich zu operieren. „Jetzt ist man hier zurückhaltend geworden und wählt häufig den Weg der engmaschigen medizinischen Beobachtung“, sagt Reisch.

Gesetzentwurf bei Ärzten in der Kritik

Charlotte Wunn und ihren Mitstreiterinnen reicht das nicht. Sie erhoffen sich mehr Klarheit von einem Gesetzentwurf, der geschlechtsverändernde Eingriffe an Kindern vom Grundsatz her verbietet. Allerdings ist die Vorlage bei mehreren Ärzteverbänden auf Kritik gestoßen. „Man muss das Thema sehr differenziert betrachten“, sagt die Medizinerin Reisch. Das fängt schon damit an, dass es sich bei dem Oberbegriff „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ um eine „sehr heterogene Gruppe“ handele: „Es führt zu großen emotionalen Auseinandersetzungen, wenn man sie alle zusammenfasst.“ So distanziert sich die AGS-Eltern- und Patienteninitiative ausdrücklich von dem Entwurf: Das Adrenogenitale Syndrom (AGS), bei dem der Körper kein oder zu wenig Cortisol bilden kann und stattdessen männliche Geschlechtshormone in der Nebenniere produziert, wird zwar auch zu den „Varianten“ gezählt, doch definieren sich die Betroffenen in der Regel als klar weiblich oder männlich.

Jeanne Riedel sagt: "Ich bin ein Demi-Girl"

Jeanne Riedel denkt nicht in solchen Kategorien. Trotz aller weiblichen Attribute möchte sie bitte nicht mit „Frau Riedel“ angesprochen werden. „Ich bin ein Demi-Girl“, sagt sie und macht damit klar, dass ein Teil in ihr anders ist und es auch immer sein wird. Die Umwelt tut sich mitunter schwer damit, ihre Besonderheit zu akzeptieren. „Der schlimmste Spruch, der mir je begegnet ist, war: ‚Kannst du dich selbst schwängern?’ Das ist natürlich kompletter Nonsens!“

In diesen Tagen führt sie ein sehr aktives Leben, sitzt für die „Grünen“ im Bezirksausschuss München-Bogenhausen und engagiert sich in der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. Obendrein arbeitet sie Vollzeit als Bäckerin. Ihren Beruf mag sie, auch wenn er hart und nicht gut bezahlt ist. „In dem Handwerk können sie sich nicht erlauben, jemanden zu diskriminieren. Die brauchen jeden“, merkt die 35-Jährige trocken an. Das hinderte einen Kollegen aber nicht anzumerken: „Seitdem dein Penis weg ist, arbeitest du schlechter.“

Immerhin: Der Chef ließ ihm den Spruch nicht durchgehen. Das deutet darauf hin, dass sich in der Gesellschaft einiges getan hat. Noch aber gilt Jeanne Riedel für die meisten als Exotin. Wenn sie neuen Bekannten eröffnet, dass sie „Inter“ ist, reagieren die meist verwundert mit: „Was ist das denn?“ Darauf antwortet Jeanne eloquent, dass es kein starres Mann-Frau-Schema gibt. Und Abweichungen normal sind.

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