Lesen lernen ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft
Kinder greifen wieder häufiger zu Büchern, heißt es. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Viele Schüler werden durch Corona noch weiter abgehängt.
Die gute Nachricht passt zum Bücherfrühling, der gerade mit vielen Neuerscheinungen Lust aufs Lesen macht: "Jugendliche lesen mehr", meldete die Stiftung Lesen und bezog sich damit auf Untersuchungsergebnisse, dass 12- bis 19-Jährige im Corona-Jahr 2020 rund 20 Minuten pro Tag mehr gelesen hatten als im Jahr davor. Entsprechend verzeichnete die Kinder- und Jugendliteratur auf dem Buchmarkt deutliche Zuwächse.
Wird also wieder mehr gelesen in deutschen Kinderzimmern? Schrillen die Alarmglocken nicht mehr so laut wie vor einigen Jahren noch, als diese Zahlen aufschreckten: Nahezu 20 Prozent der Viertklässler in Deutschland konnten laut IGLU-Studie von 2016 nicht flüssig lesen. Wie die Pisa-Studie 2019 herausfand, setzte sich dies auch fort, wenn sie älter wurden, denn ebenfalls 20 Prozent der 15-Jährigen konnten den Sinn von Texten nicht erfassen.
Die alarmierenden Zahlen beziehen sich auf die Lesekompetenz der Kinder
Nein, Entwarnung kann man nicht geben, denn es handelt sich bei der Meldung von erhöhter Lesezeit und den besorgniserregenden Studien-Ergebnissen um zwei unterschiedliche Phänomene. Wer beklagt, dass Teenager keine Bücher mehr lesen, dass sie immer weniger die Erfahrung machen, in Geschichten einzutauchen, mitzufühlen mit den Figuren, Trost zu finden und sich das Wissen über die Welt anzueignen, spricht über Lesemotivation.
Die alarmierenden Zahlen hingegen beziehen sich auf die Lesekompetenz, die Fähigkeit, Buchstaben nicht nur zu einzelnen Worten zusammenzuziehen, sondern diese in ihrem Zusammenhang zu begreifen. Gemeint ist das Lesen als Schlüssel für Schulbildung, Beruf und Teilhabe an der Gesellschaft. Diesen jungen Leuten, die nicht in der Lage sind, sinnentnehmend Texte zu lesen, kann man mit Bücherrallyes und Lesenächten nicht helfen, weil sie wenig Freude daran haben, mühsam Buchstabe für Buchstabe aneinanderzureihen. Ihre Leseschwäche dürfte sich im vergangenen Jahr mit geschlossenen Schulen und Distanzunterricht verschlechtert haben.
Die Lesekompetenz ist auch wichtig für den Wohlstand einer Gesellschaft
Da lässt der "Nationale Lesepakt" aufhorchen, der in der vergangenen Woche von der Stiftung Lesen und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels ins Leben gerufen wurde. Rund 150 Partner unterstützen diesen Pakt, darunter Verlage und Medien, die Kirchen, Verbände, Unternehmen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat die Schirmherrschaft übernommen. Damit könnte der Pakt für dieses "leise Thema", wie es die Initiatorin der Hamburger Erklärung "Jedes Kind muss lesen lernen", Kirsten Boie, nennt, eine breite Debatte anstoßen.
Denn die Erkenntnis, dass Lesekompetenz ein gesamtgesellschaftliches Interesse ist, weil sie eben nicht nur bereichernd für die persönliche Entwicklung ist, sondern auch für Entwicklung und Wohlstand einer Gesellschaft, hat sich noch zu wenig durchgesetzt. Bisher hängt Leseförderung größtenteils am Elternhaus und verdienstvollen ehrenamtlichen Initiativen – hat also viel zu tun mit Herkunft und Gelegenheit. Wirksam entgegentreten kann man fehlender Lesekompetenz in der Breite nur mit gezielten Differenzierungs- und Intensivierungsmaßnahmen in den Grundschulen. Dort erreicht man alle Kinder und dort sitzen die Experten dafür, Techniken für flüssiges Lesen zu vermitteln. Das erfordert aber auch eine personelle Ausstattung, die dies ermöglicht. Eine "starke Allianz für das Lesen" kann der "Nationale Lesepakt" nur dann sein, wenn er sich nicht, wie das jetzt der Fall ist, mit vagen Ideen und Projekten zufriedengibt, sondern bildungspolitische Maßnahmen – vor allem auch in finanzieller Hinsicht ähnlich dem Digitalpakt – einfordert.
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Die Diskussion ist geschlossen.
Lesen ist sehr wichtig. Die Vermittlung von Kultur und Wissen ist sehr wichtig und bedarf des Lesens. Ohne all das droht Bildungsferne, Aggression, Krawall und Terror. Ungebildetheit ist ein Nährboden für Kriminalität, Gewalt, Extremismus.
Und wieder wird mit diesem Kommentar versucht, die Eltern zu entschuldigen und den schwarzen Peter auf die Schulen abzuschieben, wenn ein Kind nicht lesen und schreiben kann.
Dazu gibt es nur einen Satz von mir:
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm !
Ein Kind ahmt in der Regel nur das nach, was es von den Eltern vorgelebt bekommt.
Sind die Eltern selbst der deutschen Sprache nicht mächtig, obwohl sie einen deutschen Pass besitzen, was will ich von einem Kind erwarten?
Und da sind selbst Schulen machtlos, wenn die Kinder in der Freizeit sich nur mit Tik Tok oder Hartz4-TV beschäftigen und die Eltern dies tolerieren oder sogar unterstützen.
Nein, ich nehme die Eltern da nicht aus der Verantwortung. Sie haben diese Kinder in die Welt gesetzt und sie haben mit ihrer Erziehung dafür Sorge zu tragen, dass aus ihren Sprösslingen etwas wird.
Und mit Erziehung meine ich nicht, dem Kind keine Grenzen aufzuzeigen oder ihm/ihr jedem Wunsch von den Lippen abzulesen und zu erfüllen oder sämtliche Steine aus dem Weg zu räumen.
Ein Kind muss lernen, dass es nicht alles haben kann, was es möchte. Und wenn es mehr möchte, dass es selbst etwas dafür tun muss. Außerdem muss ein Kind lernen, dass jede Tat Konsequenzen mit sich bringt.
Aber diese Grundtugenden der Erziehung sind vielen Eltern wohl abhanden gekommen, weil sie anscheinend den Weg des geringsten Widerstandes gehen.
Ist deren gutes Recht, aber dann dürfen sie die Schulen nicht zu Sündenböcke erklären, wenn aus ihren Kindern nichts wird.
In diesem Sinne