Premierenkritik: Bayreuth führt Lohengrin ins Transformatorenhäuschen
Der international angesehene Maler Neo Rauch setzt mit seiner Weltsicht die Wagner-Oper in Szene. Die Musik ist mitreißend dirigiert, die Regie enttäuscht.
Des Merkens würdige Duplizität der Ereignisse: zwei namhafte bayerische Opernhäuser, zwei Festspielpremieren, zwei Opern von Wagner, für die zwei international gefeierte Maler als Bühnenbildner verpflichtet sind. Konkret: Georg Baselitz für „Parsifal“ in München Ende Juni, jetzt Neo Rauch für „Lohengrin“ in Bayreuth. Und in beiden Fällen, so unterschiedlich auch Stoff und künstlerische Handschrift liegen, bleibt am Ende die Frage offen, warum speziell diese zwei Künstler genau die richtigen für eine schlüssige Neuinterpretation von „Parsifal“ respektive „Lohengrin“ gewesen sein sollen.
Gewiss, „Lohengrin“ ist eine Oper voll Wunder, Rätsel und Geheimnis – und Neo Rauch ist ein Maler des Enigmatischen, schwer Durchschaubaren, auch des surreal Übernatürlichen. Es gibt also Verbindungen. Doch gleichzeitig darf vom Theater erwartet werden, dass es mehr tut als künstlerischen Rätseln mit künstlerischen Rätseln zu begegnen. Dass es vielmehr neue Interpretation, neue Aussage, neue Erklärung sucht, gerade dort, wo ein Werk nicht auf den ersten Blick verrät, was es zu sagen hat. Wie in „Lohengrin“, wo auch verhandelt wird, wie groß das Unbedingte von Liebe sein darf, sein sollte.
Ein Blitzschlag, dann erscheint der edle Ritter
Zwei durchaus magische Szenenbilder sind Neo Rauch in Bayreuth gelungen: Wenn im ersten Aufzug der Ritter Lohengrin in einem Blaumann-Dress quasi als elektrizitätsgezeugtes Homunculus-Wunder unter Blitzschlag und Funkengarbe in einem E- oder Umspannwerk erscheint, sozusagen als Vision Elsas herbeizitiert; und wenn im dritten Aufzug das Volk und die Edlen von Brabant gerufen werden, um das Outing Lohengrins in einem zwielichtigen Erwartungs- und Verwandlungsbild zu verfolgen. Wie gerne wüsste man in einem solchen Spannungsmoment, was Angela Merkel durch den Schädel rauscht! Da sich hier doch drei illustre Figuren aus dem Osten Deutschlands ein Stelldichein geben: Rauch, Merkel – und Richie W. himself.
Zwei magische Momente, und sonst? Sonst ist dieser „Lohengrin“ in der Hauptsache ausstaffiert mit den frühindustriellen bis spätsozialistischen Bilderfindungen Neo Rauchs (und seiner Frau Rosa Loy): Flügelwesen, Fackelträger, Arbeiter und Bauern inmitten einer Elektro-Energiewirtschaft im Aufbau. Die Kathedrale von Antwerpen: das E-Werk von hinten. Das Brautgemach: ein enges Transformatorenhäuschen mit glühenden Drähten und spießigem Ehebett, wo Telramund durch Spannungsüberschlag hinscheidet. Farben des einst volkseigenen Betriebs dominieren: fahles Blau, Rostschutzrot, mattes Gelb-Orange fürs Brautgemach – und Gottfried schlussendlich in Ganzkörper-Chemiegiftgrün. Man kann das so machen. Die Szene ist mehr oder weniger attraktiv – märchengestützt hier, historienbildverhaftet dort –, aber zwingend hinsichtlich einer neuen, überzeugend argumentierenden Lesart des Werks ist sie nicht. Das Gewand der Weltsicht Neo Rauchs wurde dem „Lohengrin“ übergeworfen. Die alte Ratten-Inszenierung von Hans Neuenfels, so wunderlich-surreal auch sie war, besaß mehr Hintersinn, mehr Doppelbödigkeit, mehr Abgrund.
Auch Yuval Sharon hatte als Regisseur einen Einfall: das Binden und Fesseln. Im ersten Aufzug erscheint Elsa – wenig überraschend – als Gefangene Telramunds; im zweiten umgarnt Ortrud regelrecht Telramund, ebenfalls leicht nachvollziehbar als Metapher; im dritten Aufzug würde Lohengrin am liebsten Elsa auch noch knebeln. Das jedenfalls ist originell hinsichtlich seines berühmt-berüchtigten Frageverbots. Dass schlussendlich Elsa und Ortrud gestärkt aus der Geschichte herauskommen, während das Volk mit seinen vielen Spitzenkragen à la van Dyck (entseelt?) zu Boden sinkt, ist so zeitgemäß, wie es in Ordnung geht. Aber es ist zu dünn angesichts des knapp vierstündigen Werks, das in Chor- und Personenregie viele Unarten eigentlich überkommener Bühnendarstellung kumulieren: Betulichkeit, falsches Pathos, das Schinden von Zeit, eingefrorenes Herumstehen im Halbkreis. Dazu hätte man keinen US-Regissseur einfliegen müssen, das hatte der Münchner „Parsifal“-Regisseur auch abgeliefert. In Bayreuth schien Yuval Sharon keine Chance zu haben zwischen den stärkeren künstlerischen Handschriften von Neo Rauch – und Christian Thielemann am Pult.
Kritik zu "Lohengrin": Der Einspringer in der Titelrolle triumphiert
Letzterer blieb die eigentlich bestimmende und mitreißende Kraft des Abends, so feinnervig einerseits, so musikdramatisch wirksam andererseits die Aufführung geriet. Eine Extra-Betrachtung darüber wäre zu schreiben, in wie vielen aktuellen Wagner-Opernproduktionen das im Prinzip langsamere Ohr (gegenüber dem im Prinzip schnelleren Auge) wesentlich reicher gefüttert wird – und zwar erstaunlicherweise mithilfe eines enorm schlanken Klanggewands. Thielemann triumphierte, und mit ihm Piotr Beczala in der Titelrolle mit einem so standhaften wie geradezu belcantistisch geführten Heldentenor. So präsent, so extrovertiert-stark, so südlich angehaucht hat man das selten gehört. Im Nachhinein stellt sich die Frage, wieso Beczala erst nur zweite Wahl war.
Als Elsa kann Anja Harteros herrlich jugendlich und introvertiert leuchten, doch wenn sie voll aussingt, bekommt ihr Sopran eine leichte Schärfe. Waltraud Meier, zu ihrem Weltkarriere-Abschied zurückgekehrt auf den Hügel, packt als Ortrud durch das Entscheidende: unbedingte seelische Entäußerung und Verausgabung. Ihr gegenüber bleibt der Telramund von Tomasz Konieczny zwar urgewaltig, aber auch ein wenig berechnend hingetrimmt. Abermals eine Wucht: Georg Zeppenfeld als König Heinrich und der geballte Bayreuther Festspielchor. Ovationen für die Musiker. Doch hat nun die Werkstatt Bayreuth vor allem in der Personenregie stark nachzubearbeiten.
Der TV-Sender 3sat hat die „Lohengrin“-Premiere mitgeschnitten und sendet sie am 28. Juli um 20.15 Uhr.
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Sehr geehrter Herr Heinz,
ich bin ganz Ihrer Meinung, was Musik, Bühnenbild usw. betrifft. Das Hinscheiden des Herrn Telramund konnte ich von meinem billigen Galerieplatz leider nicht sehen. Ich habe schon gerätselt, wie er wohl zu Tode gekommen sei. Danke, jetzt weiß ich es. Und meinen Freunden nah und fern brauche ich auch nichts Selbstgebasteltes schreiben. Ihre Premierenkritik ist total richtig und ausführlich. Auch ich fand Anja Harteros ein wenig schrill und den Telramund nicht so toll wie unseren Jaco Venter aus Karlsruhe. Beczala war zum Niederknien schön und gut, die Stimme erinnert an Sandor Konya.
Nebenbei: Beczala ist auch ein begnadeter Operetten-Tenor. Finden Sie nicht, dass man uns in Augsburg mit Operetten verdammt kurz hält? Eine Inszenierung pro Saison wäre sicher kein finanzieller Schaden!