Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

„Die Weltbühne“, neu aufgelegt: ein Magazin für Wutbürger und provokante Thesen

Die neue „Weltbühne“

Grundsätzlich: dagegen! Die „Weltbühne“ erscheint wieder – als Magazin für Wutbürger

    • |
    • |
    • |
    Aufruf zur Revolution? Das Magazin „Die Weltbühne“ erscheint in einer Neuauflage.
    Aufruf zur Revolution? Das Magazin „Die Weltbühne“ erscheint in einer Neuauflage. Foto: Rene Ruprecht, dpa

    Ein Satz, ein Urteil: „Soldaten sind Mörder.“ Die Redaktion hätte sich genauso gut für ein anderes Zitat von Kurt Tucholsky entscheiden können. Für Tucholsky, aber in lustig zum Beispiel, der Schriftsteller aus Berlin schrieb Sätze wie: „Deutsche, kauft deutsche Zitronen!“ – sein Ratschlag für Nationalsozialisten, weil in Bottrop-Kirchhellen nun mal keine Zitrusplantagen wachsen. Oder sie hätten den lyrischen Tucholsky zitieren können, den Poeten, der wusste: „Es gibt vielerlei Lärme, aber es gibt nur eine Stille.“ Aber nein, im frisch erschienenen Magazin „Die Weltbühne“ steht da: „Soldaten sind Mörder.“

    Thomas Mann und Kurt Tucholsky schrieben einmal in der „Weltbühne“

    Ein Satz aus dem Jahr 1931, der in die Gegenwart platzt: Im Kopfkino verschwimmen Weltkriegsbilder in SchwarzWeiß mit Tagesschau-Bildern von gestern Abend. „Wehrdienst für alle!“, fordert der Wehrbeauftragte bei Maischberger, „Kriegstreiber!“, schreit der Friedenschor auf Facebook. Als damals Tucholsky den Satz in die Welt setzte, stand er da als Artikelüberschrift – und schon damals in einem Magazin namens „Die Weltbühne“. Der Journalist Siegfried Jacobson hatte das Blatt 1905 gegründet als Bühne für renitente Denker. Hier schrieben Thomas Mann, Erich Kästner, Erich Mühsam. Ein Klub von Literaten, Friedensaktivisten, Nazigegnern und Staatskritikern. Bis die Nazis 1933, kaum einen Augenblick an der Macht, das Blatt verboten.

    Und jetzt? Die Wiederauferstehung 2025? Geboren aus der Not der Zeit, gegen Krieg und Trump und andere Katastrophen? Das ganze Magazin bietet einen Gemischtwarenladen an Titeln, Thesen, Temperamenten. Der erste Text liest sich wie ein ausformulierter Ostermarsch mit Friedensfahne, der nächste Artikel aber schon wie der Aufruf mit der Faust zum feministischen Frauenkampftag. Gegen den Krieg, gegen das Patriarchat, gegen westdeutsche Hochnäsigkeit, gegen weil dagegen. Grundsätzlich. Das ganze Magazin liest sich wie ein Zeichen der Zeit, in der die Wut nach einer Form sucht.

    Wie steht die neue „Weltbühne“ zu Russland und dem Krieg?

    Schon die Farbe ein Warnhinweis: Signalrot. Retro-Einband, 30 Seiten, publiziert im Berliner Verlag – in dem auch die Berliner Zeitung gedruckt wird. Deren Verleger Holger Friedrich eckt an: Wirbel um seine Stasi-Akte als Ex-IM, um seinen Hang zur russischen Sicht auf die Welt, dazu Vorwürfe der Vermischung von Journalismus und Privatbusiness. Die Nachfahren von Jacobson, dem Gründer des Magazins, streiten deshalb um den Titel. Sie fürchten, dass die neue „Weltbühne“ zur Schaubühne für russische Propaganda verkommt. Auf die Angst folgt die Bestätigung: Die Journalistin Daniela Dahn schreibt im Heft vom „russischen Bär“, der „in Kürze zähnefletschend vor der westlichen Tür stehen wird. Und das, obwohl es diesbezüglich keine Drohung gibt.“ Durch die Zeilen suppt der Sarkasmus wie Borschtsch: Dieser Bär ist doch ein Teddy, nicht aus Stahl, sondern Plüsch. Und Putins Traum vom neuen, zaristischen Großreich? Nie gehört. Der Rest verschwindet im rhetorischen Kanonennebel.

    Das Blatt hat ein Herz für den Osten: Mit Lust stänkert der Historiker Marko Demantowsky gegen einen Monumentalbau, der gerade in Halle an der Saale in die Höhe wächst. Ein Pracht- und Wissenschaftsbauwerk, das an die Vergangenheit der Deutschen Demokratischen Republik in Europa erinnern soll, aber mal wieder – so sieht es der Autor – eines übertüncht: Dass die DDR damals ungefragt eingesackt wurde in die BRD, und niemand hören will, wenn Bürger im Osten von Wunden, Kränkungen, Komplexen erzählen.

    Thomas Fasbender zählt zu den Autoren der neuen „Weltbühne“

    Jetzt aber, steile Kurve: Der Beitrag von Anne Waak lockt mit einer Überschrift, die wie gerappt klingt, „Biologie ist eine Bitch“ – und endet mit dem Knüllerfazit „Es ist und bleibt unverantwortlich, dass Sperma keinen Warnhinweis trägt“. Leiser Gedanke: Was darf Satire? Aber Waak meint es ernst. Ihr Artikel ist ein feministischer, durchargumentierter Text, der mit dem Eifer der Wut erklärt, in welche Falle eine Frau im schlimmsten Fall tritt – wenn sie heute ein Kind in die Welt setzt. Doppelbelastung durch Lohnarbeit und Care-Arbeit, erhöhtes Risiko von Gewalt durch den Partner, später Altersarmut.

    Bis hierhin liest sich das also: querfeldein links, irgendwo zwischen Neu-, Alt- und Uraltlinks mit Fahrtrichtung Moskau, unterhaltsam, weil bockig. Dann aber gibt das Magazin den Experten Stoff, die so gerne vom Hufeisen sprechen – die überzeugt sind, dass sich linke und rechte Positionen am Ende ihrer Ränder wieder treffen. „Die Luft ist raus“, schreibt Thomas Fasbender zur Lage der Nation – und denkt sich im Text in ein anderes Deutschland: Ein bisschen mehr Graf Stauffenberg, ein bisschen Ernst Jünger, das wär’ doch was? Die aktuelle Lage der Nation: verweichlicht. „Provokation nein danke. Und bitte keine Gewalt, nicht in Worten, Taten oder Gesten. Auch nicht im Kopf.“ Das „Wesen der Moderne“ findet er „in der hinterfragenden Provokation“. Dezentes Stahlgewitter zieht übers Blatt. Fasbender gilt manchen als konservativer Hardliner mit Faible für russische Kultur, einigen als Rechter. Ausgerechnet ein junger Linker verteidigt ihn im Blatt, Behzad Karim Khani nennt Fasbender einen Anarchisten. „Der vielleicht letzte seiner Art.“ Vom Aussterben bedrohte Denker? Khani und Fasbender sind Verleger der „Weltbühne“ und feiern Verbrüderung über Gräben hinweg.

    Deborah Feldman hinterfragt die jüdische Identität von Philipp Peyman Engel

    Alles wirr bis widersprüchlich? Deborah Feldman hat sogar einen kleinen Eklat um das dünne Heft mit ihrem Beitrag ausgelöst. Die Autorin zählt zu den jüdischen Stimmen, die mit scharfen Worten den Staat Israel und seine Angriffe in Gaza anklagen. So wie Feldman ihren Blick auf die Welt beschreibt, fühlt sie sich in einem Kampf um Vielfalt, darum, dass möglichst viele, widersprüchliche Stimmen aus dem Judentum gehört werden. Klingt ehrbar, wird aber dann widersprüchlich, wenn sie jüdische Lebensläufe infrage stellt: Sie blättert im Text im Familienalbum von Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen. Sie frage ja nur: Wie jüdisch ist seine Herkunft wirklich?

    Wer jetzt erhöhten Puls spürt, den könnte der Essay von Michael Andrick beruhigen. Er klopft die Welt auf Kants Lehre ab und stellt fest, dass Freiheit vom freien Willen des Menschen kommt. Könnte man so abnicken – bis Andrick zum Abgesang auf die Republik anstimmt: „Deutschland wird nach diesen Maßstäben schon lange von Feinden der Freiheit regiert.“

    Die neue „Weltbühne“ - schreiben hier die Verteidiger der Meinungsfreiheit?

    Hier schreiben sie also, die Wachhunde der Demokratie, im Kampf um Meinungsfreiheit. Aber, ein leiser Gedanke beim Lesen: ... wir streiten doch? Bei Maischberger, in der Kneipe, im Familienchat? Tucholsky schrieb: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“ Aber ist es heute wirklich so schwer? Ist doch alles sagbar.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden