DJ Koze, von woher melden Sie sich?
DJ KOZE: Aus dem Hotel Château Royal in Berlin-Mitte.
Interessanter Name. Klingt wie eine Satiresendung.
DJ KOZE: Und wie ein Ort, an dem man seine romantische Ader ausleben kann. Ohne die allzu große Angst, sich der Wirklichkeit stellen zu müssen.
„Musik ist etwas Wundervolles. Die Beschäftigung mit ihr ein Privileg und ein Segen.“
Eskapismus also. Ist es das, worum es Ihnen in Ihrer Musik geht?
DJ KOZE: Ja. Aber geht es nicht allen Künstlern so? Ich habe neulich ein Interview angeschaut mit dem leider verstorbenen großen Schriftsteller Paul Auster. Er sprach davon, dass es für die Kunst geradezu immanent ist, aus der Wirklichkeit zu flüchten, um sozusagen ein Ersatzangebot zu liefern. Unter dem Vorwand, der Welt etwas Gutes tun zu wollen, entfernen wir uns aus ihr.
Was für einen Betrag wollen Sie mit Ihrer Kunst für die Welt leisten?
DJ KOZE: Das frage ich mich auch manchmal. Und ob es überhaupt wichtig ist für die Leute, was ich mache. Ob es vielleicht gerade jetzt noch wichtiger ist. Man taucht ja ab in irgendeine Welt, in die es sich die meisten Menschen, die einen herkömmlichen Beruf haben, gar nicht leisten können, abzutauchen. Schon zeitlich nicht. Unsereins gönnt sich den Luxus, sich abzuarbeiten an irgendwelchen Ideen, die erstmal nur für einen selbst von Bedeutung sind.
War dieses Abtauchen für Sie als Musiker schon immer eine große Motivation?
DJ KOZE: Ich denke schon. Musik ist etwas Wundervolles, die Beschäftigung mit ihr ein Privileg und ein Segen. Musik ist eine universelle Sprache, die jeder Mensch auf dieser Erde verstehen kann.
Und „Music Can Hear Us“ ist der aktuelle Soundtrack dieser Weltflucht?
DJ KOZE: Ja, definitiv. Oder wie Pippi Langstrumpf sagt: Ich baue mir die Welt, wie sie mir gefällt. Ich habe sieben Jahre lang Ideen für diese Platte gesammelt, die Arbeit hat ein Stück weit mein Erwachsenwerden begleitet. Die meisten Lieder sind wie Tagebucheinträge auf einer Reise ohne festen Ablauf, ohne Ziel. Ich will gar nicht so tun, als hätte ich den großen Masterplan gehabt, die Reihenfolge der Lieder auf dem Album zum Beispiel ist im Großen und Ganzen willkürlich.
„Früher waren auf einem Album immer auch schlechte Lieder. Die hat man halt mitgehört.“
Die Hörgewohnheiten haben sich sowieso stark verändert, oder?
DJ KOZE: Klar. Durch Spotify und Konsorten sind sie sehr stark zerfasert worden. Heute höre ich hintereinander Tocotronic, Public Enemy, Shirin David und Patrick Pulsinger – und niemand findet das verwunderlich. Ich habe mir diese Entwicklung insofern zu Nutze gemacht, als dass mein Album eigentlich auch wie eine Playlist wirkt. Es hat diese gewisse Zufälligkeit.
Ist es für Sie in Ordnung, dass es dieses traditionelle, bewusste Musikhören kaum noch gibt?
DJ KOZE: Irgendwo ist das schade. Vor allem, weil auf jedem Album immer auch schlechte Lieder waren. Die hat man dann halt mitgehört. Heute funktioniert Musikhören so ähnlich als wenn du dir einen Hollywood-Trailer nach dem anderen anschaust. Es muss knallen, sonst taugt es nichts.
Wie hören Sie selbst Musik?
DJ KOZE: Ich bin zum Beispiel Fan von Gilles Peterson und seiner wöchentlichen Radiosendung auf BBC6. Ich möchte ihn immer umarmen, so geil ist der. Er spielt Bossa Nova, dann kommt ein Breakbeat-Stück, dann ein schräger Reggae, dann Jazz, und ich denke immer: „Genauso muss es sein“. Die Welt ist bunt. Und anstrengend. Ich höre dann irgendein abgedrehtes Jazz-Gedudel und freue mich, dass endlich mal was noch stressiger und nerviger ist als ich selbst. Und ist das nicht sowieso die tiefenpsychologische Begründung dafür, irgendwelches Free-Jazz-Gedudel zu hören? Dass man denkt: Es läuft es richtig gut. Ich bin aufgeräumt. Bei mir herrscht Marie Kondō im Kopf (lacht).
So einen gestressten Eindruck machen Sie gar nicht.
DJ KOZE: Doch, doch, bin ich. Ich habe viel zu viele Sachen im Kopf. Wahrscheinlich beruhigt es mich, dass ich gerade nur auf eine Sache konzentrieren muss, nämlich auf unser Gespräch.
Sie leben seit Jahren teilweise in Spanien. Kommen Sie dort runter?
DJ KOZE: Die Verbindung mit der Natur dort ist Balsam für meine Seele. Je älter ich werde, desto weniger habe ich das Gefühl, dass die Großstadt der Ort ist, an dem ich gedeihe. Und gerade Hamburg ist sieben Monate im Jahr einfach grau.
Sie haben, zusammen mit der österreichischen Kollegin Anja Plaschg alias Soap&Skin, den 1983er-Sommerhit „Vamos a la Playa“ von der Band Righeira neu interpretiert. Sind Sie ein Strandmensch?
DJ KOZE: Nein, überhaupt nicht. Ich wohne zwar nicht weit weg vom Meer, aber es gibt dort keinen Strand. Strand ist auch total überbewertet. Nichts ist langweiliger als ein Strand. Ich halte es drei Minuten aus, dann weiß ich nicht mehr, was ich dort soll.
Sie könnten ins Wasser gehen, schwimmen, Bötchen fahren.
DJ KOZE: Bei uns ist das Ufer sehr felsig. Da muss man sehr vorsichtig sein mit dem Boot. Aber manchmal mache ich das. Die Felsküste finde ich spannend. Da gibt es viel mehr zu sehen als an einem Sandstand, der einfach nur öde ist. Vielleicht bin ich für den Strand auch einfach nicht tiefenentspannt genug.
Was hat Sie ausgerechnet an „Vamos a la Playa“ gereizt?
DJ KOZE: Der Text ist ein Trojanisches Pferd. Das hat damals nur niemand geschnallt. Das ist ein Ibiza-Ballermann-Schunkel-Song darüber, wie Umweltverschmutzung und Radioaktivität alles Leben im Meer auslöschen. Eigentlich ein Wahnsinn, dass das trotzdem so ein Hit wurde. Auf jeden Fall finde ich es super, dass ich das Stück zusammen mit Anja, die es sowieso gern etwas dunkler mag, nochmal neu interpretiert habe.
Das Dunkle und das Unbeschwerte – gehören diese beiden Seiten, gerade auf dem neuen Album, für Sie zusammen?
DJ KOZE: Ja! Ganz bestimmt. Ich suche immer nach Schönheit. Auch nach Schönheit, die mit Unbehagen unterfüttert ist. Ein schönes Lied auf irgendeine Art musikalisch oder produktionsmäßig sozusagen kaputtzumachen, ist einfach. Umgekehrt ist es schwierig. Wenn du nur Krach hast und ihn mit was Schönem überpinseln willst, bleibt es doch Krach.
Auf zwei Songs singt die in Hamburg lebende US-Amerikanerin Sophia Kennedy. „Der Fall“ und „Die Gondel“ haben beide etwas …
DJ KOZE: … Abgründiges. Ich liebe es, wenn Sophia auf Deutsch singt. Das ist toll. Wunderschön und irgendwie psycho, sehr düster. Das, was Sophia kann, können nur wenige. In Deutschland fällt mir vielleicht noch Dirk von Lowtzow ein.
„Meine eigenen Ideen kenne ich ja, die langweilen mich tendenziell“
Die Liste der Gesangsgäste auf Ihrem Album ist ohnehin faszinierend. Nach welchen Kriterien haben Sie Leute wie Sophia, Soap&Skin, Damon Albarn, Markus Acher von The Notwist oder Arnim Teutoburg-Weiss von den Beatsteaks ausgesucht?
DJ KOZE: Ich versuche beim Musikmachen immer, weit weg von mir selbst zu kommen. Der Anspruch an mich selbst ist es, die eigene Formel zu durchbrechen. Meine eigenen Ideen kenne ich ja schon, die langweilen mich tendenziell. Lasse ich aber die Ideen von anderen einfließen, kommt die Inspiration, und ich fange wieder an zu feilen und zu basteln.
Sind ein Markus Acher oder ein Damon Albarn, die beide künstlerisch sehr breit aufgestellt sind, für Sie Brüder im Geiste?
DJ KOZE: Ich liebe die beiden, weil sie ihr Leben in den Dienst der Musik stellen und wahnsinnig offen für alles sind. Vor allem schaffen sie mit ihren entspannten und leicht unanständig klingenden Stimmen einen starken Wiedererkennungswert. Gerade Damon macht glaube ich jeden Tag Musik. Der braucht das, das hält ihn am Leben.
Und warum machen Sie Musik?
DJ KOZE: Um nicht verrückt zu werden.
Funktioniert es?
DJ KOZE: Ich weiß nicht. Irgendwie sind wir doch alle verrückt. Vielleicht ist das der Punkt: Du musst verrückt sein, um nicht verrückt zu werden.
Zur Person DJ Koze, der Name spricht sich „cosy“ aus, also „gemütlich“, „warm“, „behaglich“. Und so klingt auch die Musik des Mannes, der 1972 als Stefan Kozalla in Flensburg zur Welt kam, heute in Hamburg und Spanien lebt und live sowie auf seinem aktuellen Album „Music Can Hear Us“ genreübergreifende, elegante, schräge, emotionale, komplexe und zutiefst tanzbare Musik macht. Vor seiner Solokarriere, die 2013 mit dem Debüt „Amygdala“ begann, war Kozalla unter anderem Mitglied der Hip-Hop-Anarchos Fischmob und der Electroband International Pony. Auch als Produzent ist er gefragt. Zuletzt betreute er die Erfolgsplatte „Hitparade“ von Roisin Murphy.
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