Frau Threapleton, „Der Phönizische Meisterstreich“ wurde in Deutschland gedreht, in Babelsberg. Wie gefiel es Ihnen bei uns?
MIA THREAPLETON: (lacht) Ich hatte hier viel Spaß, sehr viel Spaß sogar. Ich bin zwar kein großer Bierliebhaber, diese Erfahrung habe ich ausgelassen, aber es war wunderbar, am Nikolassee zu sein und die Umgebung zu erkunden. Allein die Wälder um Potsdam herum waren wunderschön - und ich war zuvor noch nie in Potsdam. Außerdem wohnten alle Schauspieler zusammen im selben Hotel. Das fühlte sich dann an wie ein Feriencamp. Wir nannten es intern „WMCA“ - Wes‘ Marvellous Cinema Association.
Benicio del Toro und Michael Cera waren begeistert von Ihnen: Sie seien für Ihr Alter sehr fokussiert und in diesem Beruf genau richtig. Wie war die Erfahrung, mit Kollegen zu arbeiten, die so viel mehr Erfahrung haben als Sie?
THREAPLETON: Dass ich die Möglichkeit bekam, diese Welt von unglaublich talentierten Menschen zu betreten, war eine großartige Chance. Es waren ja nicht nur exzellente Darsteller, sondern auch Crewmitglieder, ob Kameraleute, Kostümdesigner, Haar- und Make-up-Designer - jeder einzelne war herausragend. Für mich als junge Schauspielerin, die noch so viel zu lernen hat und auch lernen möchte, war das sensationell. Ich saugte alles wie ein Schwamm auf, was am Set vor sich ging. Ich hatte nur fünf oder sechs Tage frei während des Shootings, und bin auch dann zur Arbeit geradelt, in ganz normaler Kleidung. Wes sah mich beim ersten Mal fragend an: „Was machst du hier, in normaler Kleidung? Das ist doch dein freier Tag.“ Ich sagte „Kann ich nur zuschauen? Wäre es in Ordnung, wenn ich mich irgendwo verstecke und einfach nur dabei bin?“ Er sagte: „Ja klar, versteck‘ dich hinter dem Blumentopf da hinten.“ Fortan versteckte ich mich unter Tischen und hinter Absperrungen, um alles aufzusaugen, was dort vor sich ging. Ich fühlte mich wie ein Kind, hatte das Kinn auf die Hände gelegt und schaute stundenlang zu. Man wird süchtig nach dieser Atmosphäre, wenn man von so viel Kreativität umgeben ist.
Hatten Sie Zweifel, ob der Beruf Sie glücklich machen kann - gerade, weil Sie mit Ihrer Mutter verglichen werden würden?
THREAPLETON: Ich habe schon sehr früh gemerkt, dass ich schauspielern wollte. Ich war zehn Jahre alt, als ich es zum ersten Mal laut sagte, und bekam meinen ersten Job, als ich 18 war - ich feierte meinen 19. Geburtstag am Set. Der erste Drehtag fand sogar noch zwei Monate vor meinem Schulabschluss in Großbritannien statt.
Sie standen direkt vor der Kamera, ohne Schauspielschule, und äußerten Ihren Berufswunsch, ohne je gespielt zu haben?
THREAPLETON: Ich wollte es einfach. Es ist eine unerklärliche Sache, auch für mich selbst. Ich wurde nicht beeinflusst, nichts, habe es selbst über Filme entdeckt. Ich fühlte einfach, dass es das war, was ich tun wollte. Ich hoffe stark, dass ich das auch weiterhin tun kann, weil ich es sehr liebe.
Erinnern Sie sich, wie Ihre Mutter reagierte, als Sie ihr sagten, dass Sie Schauspielerin werden wollen?
THREAPLETON: Ja, sie sagte: „Wunderbar! Mach‘ das. Es ist harte Arbeit.“ Bis dahin wollte ich immer Meeresbiologin werden... Das ist auch so ziemlich das Einzige, was sie mir je sagte oder riet - dass es harte Arbeit ist. Und das stimmt auch. Aber für mich ist es der Grund, warum ich es mag: weil es harte Arbeit ist und auch so viel Spaß macht.
Im Film „Der Phönizische Meisterstreich“ von Regisseur Wes Anderson spielen Sie die Tochter eines Oligarchen. Es ist Ihre größte Rolle bisher, wie wurden Sie gecastet?
THREAPLETON: Ich bekam eine E-Mail von meinem Agenten, der mich bat, ein Tape aufzunehmen, für ein Casting von Wes Andersons nächstem Projekt. Als ich das las, dachte ich: „Nee, nee, das ist bestimmt ein Scherz. Das kann doch gar nicht sein, dass ich dazu aufgefordert werde.“ Ganz unten, am Ende der E-Mail, stand die Rollenbeschreibung - und die bestand nur aus drei Worten: ein junges Mädchen. Sonst gab es nichts, keine Informationen, wer sie war, was ihre Geschichte war... das war alles unter Verschluss. Ich nahm also dieses Tape auf, und nach einigen Meetings mit dem Castingdirektor traf ich Wes Anderson zum ersten Mal.
Und, „klickten“ Sie gleich?
THREAPLETON: Wir haben uns fantastisch verstanden, fühlten uns beide in der Gesellschaft des anderen sehr wohl und haben uns toll unterhalten. Dann wurde ich gebeten, den eigentlichen Screen-Test zu machen, und dazu bekam ich zum ersten Mal auch das Skript zu lesen, in einem ganz begrenzten Zeitfenster aber nur. Ich kam mir vor wie ein Spion. Und am direkt nächsten Tag nach dem Test bekam ich die Zusage.
Wie haben Sie reagiert?
THREAPLETON: Ich saß gerade im Zug, als meine Agentin mich anrief. Sie sagte, dass ich den Job hätte - und ich glaubte ihr nicht. Ich nötigte sie, sofort aufzulegen und Wes‘ Castingbüro noch mal anzurufen, um sicherzugehen, dass es kein Irrtum war. Derweil habe ich mich in ein Fahrradabteil eingeschlossen, saß auf dem Boden, bis ihr Rückruf kam: Sie sei ausgelacht worden, und nein, das sei kein Fehler. Ich sollte die Rolle spielen. Dann weinte ich erstmal richtig lange. (lacht herzlich)
Wann haben Sie erfahren, dass Sie nicht nur ein junges Mädchen spielen, sondern die zweite Hauptrolle?
THREAPLETON: Erst, als ich das gesamte Drehbuch las, eine Stunde vor dem entscheidenden Casting.
Also erst am Vortag?
THREAPLETON: Genau. Ich hielt zum ersten Mal das vollständige Skript in der Hand, blätterte die Seiten um und dachte: „Oh, da kommt sie ja schon wieder vor! Und wieder! Und wieder... Oh mein Gott, sie ist ja dauernd da!“ Das hatte Wes mir gar nicht verraten, als ich ihn kennenlernte. Und da ich bis dahin nur ein, zwei Szenen des Drehbuchs kannte, ahnte ich es auch nicht. Er hatte mir nichts über den Umfang der Rolle erzählt, wer sie war und wie ihre Geschichte verläuft. Ich hatte also vor dem Kameratest nicht viel Zeit, um diese Erkenntnis zu verdauen. Aber ich weiß noch, wie ich dachte: „Himmel, und dafür spreche ich jetzt vor?!“
Wie haben Sie sich das erste Mal vor der Kamera gemacht? Wie ein Naturtalent?
THREAPLETON: Bei diesem ersten Job, einem kleinen Film namens „Shadows“ im Jahr 2019, war ich bestimmt total nervig, weil ich so viel fragen musste. Ich kannte die ganze Terminologie gar nicht, die ganzen Fachbegriffe - was bedeutet es, „ein Objektiv umzudrehen“? Der gesamte Jargon war mir fremd, weil ich nicht an Sets aufgewachsen bin.
Ihre Mutter nahm Sie nicht mit an Filmsets? Für viele Schauspieler-Kinder ist das ihr natürliches Habitat. Oder zumindest eine Art Abenteuerspielplatz.
THREAPLETON: Ich war vielleicht drei-, viermal an Sets, kann mich aber kaum daran erinnern. Ich verstehe heute sogar sehr gut, warum meine Mutter uns Kinder dort nicht haben wollte. Nehmen wir ein Äquivalent: ein Anwalt bringt sein Kind auch nicht mit in einen Gerichtssaal. Das ist eben ein Ort der Arbeit. Und es ist wirklich harte Arbeit!
Ihre Mutter hat Sie als winziges Baby sogar mal mit nach Berlin genommen, Sie waren gerade ein paar Wochen alt: Kate trug sie lässig auf dem Arm, dann wurden Sie kurz vor Beginn des Gesprächs Ihrem Vater Jim Threapleton übergeben und verschwanden nebenan, während Kate sich eine selbstgedrehte Zigarette ansteckte.
THREAPLETON: Ach, echt? Nein, das wusste ich nicht! (lacht schallend)
Der Ruhm Ihrer Mutter wurde Ihnen erst bewusst, als Sie auf eine Premiere mit durften und Fans ihren Namen riefen, heißt es.
THREAPLETON: Ja, ich war total erstaunt und sagte: „Mom, die kennen dich alle!“ Und sie meinte nur: „Ach, nur ein bisschen.“
Im TV-Drama „I Am Ruth“ standen Sie 2022 mit Ihrer Mutter vor der Kamera. Wie war das?
THREAPLETON: Das war eine wilde Erfahrung, unglaublich intensiv: Wir drehten in nur zweieinhalb Wochen, in einem einzigen Haus, mit nur einer Mini-Crew, vielleicht 20 Leuten. Der Regisseur Dominic Savage inszenierte meine Mutter und mich in verschiedenen Räumen. Wir wussten also gar nicht, was der andere sagt, weil die ganze Geschichte improvisiert war, nichts von dem, was wir sagen, stand geschrieben. Ich wusste gar nicht, dass man Filme so machen kann. Dagegen war dieses Set wie ein riesiges, ruhiges Schiff, und Wes Anderson war der Kapitän am Steuer. Selbst wenn er vielleicht mal unter Beschuss geriet, war er so ruhig! Es gab keine einzige stressigen Situation. Er hält die Zügel am Set sehr sanft in seiner Hand und wickelt dich in eine Decke des Wohlwollens ein. Man muss bei ihm Szenen irre oft wiederholen, aber dennoch suggeriert er: „Es läuft alles bestens, und ich weiß, was ich tue.“
Wes Anderson gilt als detailbesessener Perfektionist. Wie oft ließ er Sie Szenen wiederholen?
THREAPLETON: Unsere niedrigste Wiederholungsrate waren um die 20 Takes. Aber an unserem ersten Drehtag hatten wir gleich mal 69 Takes auf dem Zettel.
Ist man da nicht irgendwann genervt?
THREAPLETON: Gar nicht. (lacht) Neulich ging ich meine alten Tagebücher durch, die ich vor kurzem in einer Kiste gefunden habe. Da fand ich einen Eintrag aus dem Jahr 2013: ‚Habe gerade „Moonrise Kingdom“ wieder gesehen - ich LIEBE den Film. Ich wünschte, ich könnte eines Tages mal mit Wes Anderson arbeiten.‘ - Das ist wirklich wahr. „Moonrise Kingdom“ habe ich das erste Mal mit zwölf Jahren gesehen und „ Fantastic Mr Fox“ als ich acht oder neun war. Ich kannte ihn, liebte seine Filme - und plötzlich bin ich als Nonne verkleidet und betrete einen Marmorpalast. Das Ganze habe ich noch immer nicht wirklich begriffen, es ist bis jetzt nicht richtig bei mir angekommen. Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich träume. Das Spannendste war das Gefühl, jeden einzelnen Tag etwas Neues zu lernen. Morgens aufzuwachen und sich zu sagen: „Herrlich, ich darf wieder ans Set zur Arbeit gehen!“
Zur Person:
Mia Threapleton, Tochter von Kate Winslet und Regisseur Jim Threapleton, ist in London aufgewachsen. Nach ihrem Schulabschluss übernahm sie im Thriller „Shadows“ ihre erste Hauptrolle. Danach war sie in verschiedenen TV-Serien zu sehen, jetzt spielt die 24-Jährige im neuen Film "Der Phönizische Meisterstreich" von Kultregisseur Wes Anderson mit. Sie verkörpert darin die Nonne und Tochter des Oligarchen Zsa-Zsa Korda, gespielt von Benicio del Toro.
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