Herr Oldman, Paolo Sorrentino gilt als Regie-Genie. Aber Sie können ihm 40 Jahre Erfahrung mit Regisseuren entgegen setzen und haben auch selbst schon auf dem Regiesessel gesessen. Was reizte Sie genau an ihm?
GARY OLDMAN: Seine oft wilden Visionen. Ich habe alle seine Filme gesehen und liebe sie. Sobald ich höre, dass ein neuer Sorrentino in die Kinos kommt, kann ich es nicht abwarten, ihn zu sehen. Auf einem Filmfestival an der Amalfi-Küste fragte mich mal ein Journalist, mit wem ich nach Oliver Stone, Christopher Nolan, David Fincher noch unbedingt mal drehen würde, und ich sagte: „Paolo Sorrentino. Ich bewundere seine Filme.“ Davon hat Paolo Wind bekommen.
Und er hat Sie dann kontaktiert?
OLDMAN: Ich bekam eine E-Mail von ihm, die besagte: „Ich drehe demnächst einen Film, darin gäbe es eine kleine Rolle...“ - Und so kam es! Ich hätte alles für ihn gespielt und schrieb ihm das auch, auch einen Schatten an der Wand. Ich war begeistert.
In seinem neuen Film „Parthenope“ spielen Sie den trinkenden Dichter John Cheever. War die Rolle mehr als ein Schatten?
OLDMAN: Ich weiß wenig über John Cheever, ich hatte vor Jahren mal „Den Schwimmer“ von ihm gelesen und vor dem Dreh einige Interviews von ihm gesehen, um ein Gefühl für ihn zu bekommen. Für mich ist der Romancier eine Art melancholische, romantische, dauerbetrunkene Version von Regisseur Paolo Sorrentino. Denn alles, was ich in dem Film sage, ist von Paolo, nicht etwa von Cheever. Es war nicht wirklich eine biografische Figur.

Ist es für einen bekennenden Alkoholiker keine Unmöglichkeit, einen Alkoholiker zu spielen?
OLDMAN: Ich bin schon lange nüchtern. Seit bald 29 Jahren. Und das ist eine große Sache. Seitdem hat sich in meinem Leben einiges getan: Ich lebe das beste Leben, das ich mir vorstellen kann. Ich habe eine Familie, die mich sehr unterstützt, meine Frau ist Fotografin und sie begleitet mich überall hin. Ich reise meistens mit ihr oder einem der Kinder, und so bin ich nicht mehr der einsame, betrunkene Mann in einem Hotelzimmer, der aus einem Koffer lebt - und der Minibar. Ich habe etliche Jahre erlebt, die ziemlich düster waren. Und sehr selbstzerstörerisch.
Jetzt scheinen Sie sehr glücklich mit den Entscheidungen, die Sie getroffen haben. Sind Sie so ausgeglichen, wie es nach außen wirkt?
OLDMAN: Ich bin vielleicht nicht der allerglücklichste Mensch, den es je gab - aber, wenn ich nicht aufgehört hätte zu trinken, würde ich heute nicht hier sitzen. Dann wäre ich tot, wirklich. Das weiß ich ganz genau.
Oft wird das Trinken bei Schriftstellern romantisiert, als sei der Rausch für die Kreativität legitim. Hatten Sie je das Gefühl, dass der Alkohol Ihnen mehr Inspiration gab?
OLDMAN: Nö. Man bildet sich nur ein, es würde Dir eine Kante, eine Ecke geben, und Tiefe.
Wie schafften Sie es aus dieser dunklen Phase heraus? War es Ihre Arbeit mit Christopher Nolan 2004 für „Batman Begins“? Zu ihm haben Sie seitdem eine enge Beziehung.
OLDMAN: Ich habe bewusst aufgehört, Schurken zu spielen. Das half. Keine Schurken. Das hat eine Zeit lang Spaß gemacht, aber dann kam es mir vor, als sei ich Hauptfigur im Spiel „Wähle einen Schurken“. Sobald eine Produktion einen Bösewicht brauchte, hieß es: „Holt Gary!“ Es tat mir gut, mit den Bösewichten aufzuhören und in kleinen unabhängigen Filmen mitzuspielen. Wenn es ging, habe ich versucht, meine Filmrollen vom Material und dem Regisseur abhängig zu machen.
Warum?
OLDMAN: Für jeden Künstler ist es schwer zu überleben. Ich weiß, wie schwer es ist, seine Würde als Schauspieler zu behalten. Ich kenne nicht nur Höhen, sondern auch tiefe Tiefen. Und trotzdem musst du das Schulgeld für die Kinder aufbringen und die Hypothek fürs Haus bezahlen und all das.
Vermeiden Sie es, alten Filme aus der Zeit anzusehen, als Sie alkoholabhängig waren? Oder war die Arbeit in jenen Jahren genauso gut wie die heute?
OLDMAN: Vielleicht ist sie das sogar. Ich habe ja nicht jeden Tag am Set getrunken. Aber das Trinken wird einfach ein Teil deines Lebens. Du gehst zur Arbeit und wenn du Feierabend hast, dann trinkst du, oder wenn du nicht arbeitest, oder am Wochenende, dann trinkst du mehr als normalerweise in der Woche. Es war aber nicht so, dass ich einen Flachmann im Kostüm hatte und in einer unbeobachteten Ecke Wodka trank.
Alkohol wird noch immer als soziale Droge zelebriert, ist es nicht immens schwer zu widerstehen?
OLDMAN: Oft werde ich von der Familie oder Freunden gefragt: „Macht es Dir nichts aus, wenn ich was trinke?“ Nö. Trink‘ ruhig, keine Sorge. Ich kann Wein sogar öffnen, aber ich habe kein bisschen Lust, auch nur einen Schluck zu nehmen. Ich meine, ich erwarte doch nicht, nur weil ich nüchtern geworden bin, dass man nun die Schnapsregale im Supermarkt räumt!? Die Welt ist nicht daran schuld. Ich habe das Problem. Es liegt nicht an der Wodka-Werbung.

Sie spielen in der TV-Serie „Slow Horses“ den rüden, aber brillanten Agenten Jackson Lamb. Was bedeutet Ihnen dieser Erfolg?
OLDMAN: Jackson Lamb ist meine Rente. Ich bin überglücklich über diesen Schicksalsstreich, mir ist bewußt, wie privilegiert ich bin. Ich bin jetzt 66 Jahre alt und da fliegt dir so ein fantastisches Projekt ins Haus: Das Drehbuch ist toll geschrieben, diese Figur ist einfach Wahnsinn. Während wir die fünfte Staffel drehen, wird schon überlegt, die sechste auf die Beine zu stellen.
Und dann ist Schluß?
OLDMAN: Soweit ich weiß, sind es insgesamt neun Bücher. (grinst)
Wie entscheiden Sie heute, was Sie machen, was nicht? Strategisch, intuitiv?
OLDMAN: Ich lasse Rollen auf mich zukommen. Man liest Skripts und denkt sich, nee, das ist nichts, oder aber es klickt irgendwie wie bei Paolo Sorrentino. Jetzt wissen die meisten, dass ich nicht verfügbar bin. Im Grunde bin ich wegen der Serie vom Markt verschwunden. Aber mir gefällt es. Weil ich die Serie sehr, sehr mag.
Zur Person:
Gary Oldman gehört zu den begnadetesten Charakterdarstellern Hollywoods. Der Brite schlüpft gern in die Rolle des Bösewichts, doch den Oscar gewann er 2018 für seine Darstellung von Winston Churchill im Film „Die dunkelste Stunde“. Oldman wuchs in London auf, versuchte sich als Musiker, wechselte dann aber zur Schauspielerei. Er hielt sich mit Nebenjobs über Wasser, bis er 1979 am Londoner Royal Court Theatre abeitete. 1986 stand er das erste Mal für den Kinofilm „Sid und Nancy“ über den Sex-Pistols-Bassisten Sid Vicious vor der Kamera. Er spielte in Klassikern wie „Léon – Der Profi“, „Hannibal und „Batman“ mit. Harry-Potter-Fans feierten ihn für seine Darstellung als Sirius Black. Oldman war mehrfach verheiratet, unter anderem mit Schauspielerin Uma Thurman. In den 1990er Jahren machte er einen Entzug, um vom Alkohol loszukommen. Nach der erfolgreichen Serie „„Slow Horses“ ist der 67-Jährige jetzt in Paolo Sorrentinos „Parthenope“ zu sehen. Darin spielt Oldman den geistreichen, aber meist betrunkenen Dichter John Cheever.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden