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Mutiges Kino: „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ – Eine deutsch-iranische Oscar-Chance

Filmkritik

Ein deutsch-iranischer Kandidat für den Oscar? Neu im Kino: „Die Saat des heiligen Feigenbaums“

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    Mutter Najmeh (Soheila Golestani, links) und ihre Töchter Sana (Setareh Maleki, Mitte) und Rezvan (Mahsa Rostami) in einer Szene von „Die Saat des heiligen Feigenbaums“. Der Film des nach Deutschland geflohenen Iraners Mohammad Rasoulof soll für Deutschland ins Rennen um die Oscars gehen.
    Mutter Najmeh (Soheila Golestani, links) und ihre Töchter Sana (Setareh Maleki, Mitte) und Rezvan (Mahsa Rostami) in einer Szene von „Die Saat des heiligen Feigenbaums“. Der Film des nach Deutschland geflohenen Iraners Mohammad Rasoulof soll für Deutschland ins Rennen um die Oscars gehen. Foto: Films Boutique, Alamode Film, dpa

    Filmemacher Mohammad Rasoulof gehört zu den klarsten, politischen Stimmen des iranischen Kinos und war stets Einschüchterungsversuchen durch das fundamentalistische Regime ausgesetzt. 2010 wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt, ohne dass die Strafe vollzogen wurde. 2017 wurde er mit einem Ausreiseverbot belegt und konnte den Goldenen Bären, mit dem sein Film „Doch das Böse gibt es nicht“ bei der Berlinale 2020 ausgezeichnet wurde, nicht persönlich in Empfang nehmen. 2022 wurde Rasoulof erneut verhaftet, verbrachte mehrere Monate im berüchtigten Evin-Gefängnis. Das hielt ihn nicht davon ab, danach weiter unter klandestinen Bedingungen seinen Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ zu drehen.

    Mohammad Rasoulof wurde 2024 erneut im Iran verurteilt

    Als das Regime ihn im Frühjahr 2024 erneut zu acht Jahren Haft samt Peitschenhieben verurteilte, entschied sich der Filmemacher Hals über Kopf zur Flucht – und stand wenige Wochen später auf dem Roten Teppich in Cannes, um seinen Film im Wettbewerb zu präsentieren. All das sollte man wissen, nicht nur um den Mut des Regisseurs und aller an dem Film Beteiligten Respekt zu zollen, sondern auch um den differenzierten Blick zu honorieren, von dem Rasoulof sich in diesem Film trotz aller erlittenen Repressionen nicht abbringen lässt. Denn „Die Saat des heiligen Feigenbaumes“, der als Ko-Produktion für Deutschland ins Oscar-Rennen gehen soll, ist kein wütendes, politisches Pamphlet, sondern ein ungeheuer präzise gezeichnetes Kammerspiel über eine Familiendynamik an der Nahtstelle zwischen Privaten und Politischen.

    „Gott hat deine Gebete erhört“, sagt Najmeh (Soheila Golestani) zu ihrem Mann. Über zwanzig Jahre hat Iman (Missagh Zareh) sich im iranischen Justizsystem nach oben gedient und nun geht es mit der Karriere endlich voran. Der langjährige Ermittler wird zum Untersuchungsrichter befördert. Mit dem neuen Job gibt es auch eine eigene Dienstpistole, die Iman nicht ohne Stolz seiner Frau präsentiert. Denn der Aufstieg in der Hierarchie bringt nicht nur Privilegien wie Gehaltserhöhung und Vierzimmerwohnung. Es lauern auch Gefahren durch mögliche Racheakte. Iman war stets ein rechtschaffener Ermittler. Dass sein Chef jetzt von ihm verlangt, reihenweise Todesurteile ohne Akteneinsicht zu unterschreiben, gefällt ihm nicht. Seine Frau redet ihm die Gewissensbisse aus und erinnert an den Kauf der versprochenen Spülmaschine. Aber dann brechen die Anti-Hijab-Proteste nach dem Tod von Mahsa Amini aus, von denen die Familie nicht unberührt bleibt.

    In „Die Saat des heiligen Familienbaums“ eskaliert ein familiärer Streit

    Während die Mutter die gefilterten Propaganda-Nachrichten des staatlichen Fernsehens verfolgt, informieren sich die Töchter Sana (Setareh Maleki) und Rezvan (Mahsa Rostami) auf ihren Smartphones über die sozialen Medien. Die Handyaufnahmen, die Rasoulof immer wieder auf die Leinwand bringt, zeigen das enorme Ausmaß der Demonstrationen ebenso wie die brutale Polizeigewalt. Am anderen Tag bringt Resvan eine Freundin mit nach Hause, die bei einer Demo mit Schrotmunition beschossen wurde. Kugel für Kugel zieht Najmeh mit der Pinzette aus dem Gesicht und zögert am anderen Morgen dennoch nicht, die junge Frau wieder vor die Tür zu setzen. Schließlich steht die berufliche Stellung ihres Ehemannes und das Wohl der Familie auf dem Spiel.

    Die Mutter bildet eine zunehmend fragilere Pufferzone zwischen den Töchtern, die sich mit den Demonstrationen solidarisieren, und dem Vater, der die Protestierenden im Akkord verurteilt. Aber beim Abendessen kommt es zur Konfrontation zwischen der 21-jährigen Resvan und dem Vater, dessen alleinige Deutungshoheit sie nicht mehr akzeptiert. Dann verschwindet die Dienstpistole – ein Vergehen, für das Iman mit drei Jahren Haft bestraft werden könnte. Der Vater verdächtigt die Töchter. Die Mutter durchsucht deren Zimmer. Die Situation eskaliert.

    Der Mikrokosmos der Familie steht für die Gesellschaft im Iran

    Der Mikrokosmos der Familie ist in „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ unübersehbar als Abbild der iranischen Gesellschaft angelegt, die von Misstrauen und Repressionen bestimmt ist. Äußerst präzise zeichnet Rasoulof die Charaktere und ihre moralischen Konflikte. Das gilt für den Vater, der in gewissem Maße selbst auch Opfer des Systems ist und seine Töchter liebt – bis er sich in die Enge getrieben fühlt, sich zum paranoiden Despoten entwickelt. Besonders interessant ist die Figur der Mutter, die ihre Rolle als Ehefrau mit Inbrunst erfüllt und als Kollaborateurin eines patriarchalen Familien- und Gesellschaftssystems zwischen die Fronten gerät. Was als Kammerspiel beginnt, weitet sich im letzten Drittel zum tragischen Showdown. Die Frauen verbünden sich gegen die patriarchale Gewalt, ohne dass der Film sie zu Heldinnen im Happy-End-Format stilisiert – davon ist die iranische Gesellschaft noch weit entfernt.

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