Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Olaf Zimmermann kritisiert fehlende Kulturfragen im Wahlkampf

Interview

Kulturrats-Chef: „Kultur hat im Wahlkampf gar keine Rolle gespielt“

    • |
    • |
    • |
    Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Seit 30 Jahren liest er die Wahlprogramme der Parteien genau und untersucht, welche Ideen zur Kultur dort zu finden sind.
    Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Seit 30 Jahren liest er die Wahlprogramme der Parteien genau und untersucht, welche Ideen zur Kultur dort zu finden sind. Foto: Carsten Koall/dpa

    Herr Zimmermann, es ist Bundestagswahlkampf, Sie sind der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Welche Rolle spielt gerade die Kultur im Wahlkampf?
    ZIMMERMANN: Na keine. Das kann man sagen. Aber es geht nicht nur dem Kulturbereich so, auch andere wichtige Themen spielen keine Rolle: Stichwort Klimaschutz oder die vielen sozialpolitischen Fragen. Im Moment sprechen wir ausschließlich über Migration, und das in einem sehr engen Begriff von Migration. Und wir sprechen über Wirtschaftspolitik. Alles andere findet nicht statt.

    Wie steht es um die kulturpolitischen Ziele der Parteien?
    ZIMMERMANN: Ich bin froh, dass die Parteien uns auf unsere Wahlprüfsteine geantwortet haben. Damit haben sie zumindest mal Themen der Kulturpolitik benannt. Aber es ist nicht so, dass beim Kanzlerduell von Merz und Scholz Kulturpolitik auch nur eine einzige Sekunde eine Rolle gespielt hätte.

    Welche Frage hätten Sie gestellt?
    ZIMMERMANN: Wie wollen wir zusammenleben? Das ist die entscheidende Frage. Wenn es darum geht, wie man zusammenlebt, ist die Frage nach der Kultur entscheidend. Wir können über das Thema Integration nicht vernünftig sprechen, wenn wir nicht über Kultur reden – über gemeinsame kulturelle Werte und Unterschiede. Das findet im Moment nicht statt. Wir reden darüber, wie wir Menschen aus unserem Land rausbekommen oder daran hindern, hineinzukommen.

    Ihr Kulturbegriff ist dann weit aufgespannt bei der Frage.
    ZIMMERMANN: Das empfinde ich überhaupt nicht. Ich glaube, dass Kultur letztendlich das Kernelement des Zusammenlebens der Menschen ist. Das müssen wir erkennen. Kultur ist auch der Lösungsansatz. Aktuell fragen wir uns doch, wie wir es wieder hinbekommen, dass die Menschen stärker zusammenstehen. Das kann vernünftigerweise nur mit Kultur beantwortet werden.

    Im Kulturbereich geht es auf der Ebene der Länder und der Kommunen gerade ans Eingemachte. Schauen wir auf die Hauptstadt, wo drastisch gespart werden muss. Wie bewerten Sie die Lage?
    ZIMMERMANN: Wir stehen vor einer großen Einsparungswelle. Die hat in einigen Bereichen schon begonnen. Wir in Berlin gehören zu den Spitzenreitern. Aber es wird letztendlich an allen Ecken und Kanten in der Republik gespart. Zur Ehrlichkeit gehört, dass wir als Gesellschaft erkennen müssen, dass wir für bestimmte Ausgaben weniger Mittel zur Verfügung haben. Was ich allerdings vermisse, ist die öffentliche Diskussion darüber. Die müssen wir uns zutrauen. Berlin gibt dafür ein beredtes Beispiel. Es wird gespart wie seit 30 Jahren nicht mehr, aber es wird nicht geredet. Die Politik setzt das durch und spart deswegen auch sehr oft überhaupt nicht intelligent.

    Was passiert gerade, weil nicht geredet wird?
    ZIMMERMANN: Die Sparvorgaben zerstören Kulturstrukturen und letztendlich den Zusammenhalt zwischen Politik und Kultur, weil man die Gesprächsebene verlassen hat. Da möchte ich auch etwas zu den Vorschlägen sagen, die öfter von Politikerseite gemacht werden: Die Kultur soll mehr Eigeninitiative und Wirtschaftlichkeit zeigen. Wir sollen uns dem Kultursponsoring öffnen. Ich kenne niemanden, der sich nicht dem Kultursponsoring öffnet. Ich kenne niemanden im Kulturbereich, der sagt: Wir arbeiten nie und nimmer mit der Wirtschaft zusammen. Wer das also fordert, weiß nicht, dass es fast unmöglich ist, heute aus der Wirtschaft Geld zur Kulturfinanzierung zu bekommen.

    Wie wirtschaftlich ist der Kulturbetrieb?
    ZIMMERMANN: Der allergrößte Teil des Kulturbereiches ist marktgetrieben: der Buchmarkt, der Musikmarkt, der Filmmarkt, der Computerspielemarkt. Wir stellen dort Produkte her, die hoffentlich eine hohe künstlerische Qualität haben und gleichzeitig Käuferinnen und Käufern finden. Ein kleiner Teil muss öffentlich gefördert werden, weil er nicht marktfähig ist.

    Wir reden über Theater, über Opernorchester und Museen?
    ZIMMERMANN: Aber auch Bibliotheken.

    Von Mitgliedsbeiträgen allein können diese auch nicht finanziert werden.
    ZIMMERMANN: Archive auch nicht. Das ist die Aufgabe der öffentlichen Hand. Wenn man diese Finanzierung infrage stellt, stellt man diese Kunst letztendlich grundsätzlich infrage.

    Wo kommt diese Haltung her?
    ZIMMERMANN:  Die CDU/CSU hat das in ihrem Wahlprogramm deutlich beschrieben. Dort steht, dass sie für die Kultur in Zukunft mehr Eigeninitiative, mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Wirtschaftskooperation als den richtigen Weg sehen. Da hat sich etwas verändert. Gerade die Union ist bisher eine Partei gewesen, die mit ihrem konservativ-liberalen Grundansatz die öffentliche Kulturfinanzierung verteidigt hat.

    Sie sehen einen Paradigmenwechsel?
    ZIMMERMANN: Einen sehr deutlichen. Seit 30 Jahren beschäftige ich mich beruflich mit den Wahlprogrammen der Parteien. Mir fällt bei der Union auch auf, dass das alte Gespenst der Leitkultur wieder auftaucht. Darüber haben wir miteinander viele Debatten geführt und sind letztendlich alle zu dem Schluss gekommen, dass Leitkultur der falsche Begriff ist. Wir brauchen gemeinsame Werte, wenn wir in diesem Land zusammenleben wollen, aber keine Leitkultur, wo eine Gruppe vorgibt, wie alle anderen sich zu verhalten haben.

    Sehen Sie dort die Handschrift von Friedrich Merz, der mit den Ideen von vor 20 Jahren punkten will?
    ZIMMERMANN: Ich glaube schon. Natürlich fordert auch die AfD eine Leitkultur. Das haben wir nicht anders erwartet. Aber da war sie bisher ein Solitär. Ich hoffe, dass wir nach der Wahl wieder zu einem vernünftigen Miteinander kommen, wo wir über diese Fragen miteinander reden und diese Extreme aus der Politik wieder verschwinden. Das Besondere an der Kulturpolitik war, dass man die Extreme nicht mehr hatte. Es war Konsens, dass der Staat positive Rahmenbedingungen schafft, damit die Künstlerinnen und Künstler machen können, was sie machen wollen. Selbst das, was der Politik nicht gefällt. Gerade findet man politisch eine Haltung, die ausdrückt, dass die Politik dem Kulturbereich zeigen will, woher das Geld kommt und wer deshalb das Sagen haben sollte. Das finde ich sehr bedauerlich.

    Vergangenes Jahr hatten wir ein großes Wahljahr mit den vielen Landtags- und Kommunalwahlen, vor allem im Osten. Wie haben sich die Ergebnisse auf die Kulturpolitik ausgewirkt?
    ZIMMERMANN: Es wird deutlich, wie einflussreich die AfD politisch ist, auch dort, wo sie noch nicht im klassischen Sinn politische Verantwortung in Form von Beteiligungen an Regierungen übernimmt. Sie nutzen ihr Mitspracherecht in den Ausschüssen aktiv. Man sieht, dass die AfD sehr gut organisiert ist, was das Fragen an den Kulturbereich angeht. Es ist vollkommen legitim, dass die Abgeordneten nachfragen, wofür das Geld fließt und was damit gemacht wird. Aber wenn das generalstabsmäßig abgefragt wird, führt das im Kulturbereich zu einer Einschüchterung. Die Leute haben Angst, weil sie sich ständig erklären müssen.

    Betrifft das nur den Osten?
    ZIMMERMANN: Dort fällt es besonders stark auf, aber das betrifft mittlerweile ganz Deutschland.

    Was hilft dagegen?
    ZIMMERMANN: Das wichtigste Gegenmittel ist, dass alle demokratischen Parteien klarmachen, dass sie die Freiheit der Kunst nicht infrage stellen, egal, was ist.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden