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Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Zeit für Veränderung?

Neuregelung des Paragrafen 218

Warum Deutschland wieder über Abtreibungen debattiert

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    Seit 1871 steht der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch. Das könnte sich bald ändern. Die Union fürchtet einen gesellschaftlichen Konflikt.
    Seit 1871 steht der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch. Das könnte sich bald ändern. Die Union fürchtet einen gesellschaftlichen Konflikt. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    In den USA war es ein beherrschendes Wahlkampfthema: Kamala Harris kämpfte für den freien Zugang von Frauen zum Schwangerschaftsabbruch, Donald Trump machte daraus die Lüge, die Demokraten wollten „Babys im achten oder neunten Schwangerschaftsmonat oder nach der Geburt töten.“ Auch in Deutschland nimmt die Debatte um den Paragrafen 218 neue Fahrt auf, seit eine Kommission die grundsätzliche Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zumindest bis zur zwölften Woche empfohlen hat. Während in den USA Frauenrechte eingeschränkt werden, wollen Bundestagsabgeordnete sie stärken. Zumindest liegt ein fraktionsübergreifender Gesetzentwurf vor, der das noch vor der Wahl im Februar umsetzen könnte. Dass es klappt, ist eher unwahrscheinlich, und doch diskutiert die Republik wieder über das sensible Thema Abtreibung. CDU und CSU warnen vor einem gesellschaftlichen Großkonflikt. Doch wie gespalten ist die Gesellschaft wirklich?

    Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche ohne die bisherigen Einschränkungen straffrei möglich sein soll. Die verpflichtende Beratung soll bleiben, allerdings ohne die derzeit vorgeschriebenen drei Tage Bedenkzeit. Mitgetragen wird die Gesetzesinitiative auch von Bundeskanzler Olaf Scholz. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hingegen ist über die Last-Minute-Initiative empört. Es handle es sich um ein Thema, das „wie kein zweites das Land polarisiert.“

    Die Debatte um Abtreibungen wird emotionalisiert

    Tatsächlich weckt die Debatte auf beiden Seiten Emotionen. Politikwissenschaftlerin Katrin Lange vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik kritisiert genau das: Das Thema werde von Abtreibungsgegnern gezielt genutzt, um einseitig zu emotionalisieren und so auch zu polarisieren. Für Lange sind die USA ein Negativ-Beispiel dafür, wie die Selbstbestimmung über den Körper und das dazugehörige Recht auf Schwangerschaftsabbruch gezielt von konservativen Kräften zum „Kulturkampf“ hochstilisiert werden. Durchaus mit Erfolg, wichtige gleichstellungspolitische Errungenschaften wurden in den Vereinigten Staaten wieder zurückgenommen. Auch Deutschland sei nicht vor solchen gesellschaftlichen Rückschritten geschützt, gibt Lange zu bedenken.

    Aktuell ist der Schwangerschaftsabbruch hier grundsätzlich verboten. Eine Strafverfolgung bleibt allerdings dann aus, wenn der Abbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen erfolgt, eine Beratung durchgeführt wurde und danach drei Tage Bedenkzeit eingehalten werden. Dieser Kompromiss trat 1995 in Kraft. Nach der Wiedervereinigung war eine Neuregelung notwendig geworden, um das liberale Abtreibungsgesetz der DDR und das restriktive Gesetz der BRD miteinander in Einklang zu bringen. Um eine liberalere Lösung zu verhindern, riefen CDU und CSU damals das Bundesverfassungsgericht an. Mit Erfolg: In seinem Urteil verbot es den Schwangerschaftsabbruch und verpflichtete Frauen, die Schwangerschaft auszutragen. Nur unter den genannten Bedingungen sind Abtreibungen seitdem straffrei. Eine Lösung, die damals selbst von der feministischen Zeitschrift Emma als „fauler, aber lebbarer Kompromiss“ bezeichnet wurde.

    Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Eine befriedete Situation?

    Drei Jahrzehnte später wirft CSU-Politikerin Dorothee Bär den Abgeordneten deshalb vor, mit ihrem neuen Gesetzentwurf eine „befriedete Situation“ zu gefährden. Aber wie befriedet ist diese Situation wirklich? Verbände wie „Pro Familia“ oder der Deutsche Juristinnenbund fordern seit Langem eine Neuregelung, weil das aktuelle Gesetz die sexuellen und reproduktiven Rechte ignoriere und Stigmatisierung der Frauen und des medizinischen Personals zur Folge habe.

    Dass sich die rechtliche Auffassung in den vergangenen 30 Jahren geändert hat, zeigt auch der Bericht der Expertinnenkommission. Ihrer Empfehlung zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs legt sie unter Berücksichtigung des Europa- und Völkerrechts folgende Annahme zugrunde: Das Lebensrecht des Embryos nimmt mit Verlauf der Schwangerschaft zu, vor allem in den ersten zwölf Wochen überwiegen aber die Grundrechte der Frau.

    Eine Mehrheit ist für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

    Die Politikwissenschaftlerin Lange denkt, dass das Thema auch deshalb so polarisiert, weil es um die Kontrolle über den weiblichen Körper geht. Letztlich gebe es aber mehr als nur zwei vermeintlich gegenüberstehende Perspektiven. „Denn hinter der Frage nach dem Schwangerschaftsabbruch stehen größere gesellschaftliche Fragen, beispielsweise nach der Gleichstellung der Geschlechter und dem Bild von Familie.“

    Fraglich ist, ob die Union mit ihrer These eines drohenden gesellschaftlichen Konflikts recht hat. Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Forsa die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage: 74 Prozent der Teilnehmenden fänden es richtig, wenn der Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche ohne Einschränkungen erlaubt wäre. Auch unter Christen liegt die Zustimmung noch bei 69 Prozent. Ginge es nach dieser Mehrheit, wäre der Paragraf 218 also womöglich schon lange Geschichte.

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    1 Kommentar
    Peter Pfleiderer

    Solche Umfrageergebnisse entstehen durch die Fragestellung und Unkenntnis der juristischen Details. Frägt man z.B. "Sind Sie dafür, dass Frauen nach einer Beratung weiterhin straffrei abtreiben dürfen" erhält man auch dafür eine Mehrheit. Ansonsten wissen wir ja, welche Bedeutung Umfragemehrheiten haben. P.S.: Ich wäre zufrieden, wenn wir den §218 in dieser Form auch noch in 100 Jahren hätten - durch "wertkonservative" Einwanderung könnte sich das auch ändern...

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