Josef Nießl ist ein gefragter Mann in Bayerns Kommunen. Der Experte für Finanzen hat im vergangenen Jahr 30 Haushalte für Kommunen aufgestellt. „Das Geschäft ist sicherer als jedes Beerdigungsunternehmen“, sagt der Fachmann aus dem Landkreis Freising, dessen Dienste in diesem Jahr unter anderem der Markt Kaufering (Kreis Landsberg) bereits genutzt hat. Unsere Redaktion hat mit ihm über die Gründe gesprochen, über Stammkunden, warum er schwierige Fälle besonders mag und wie er das Pensum neben seiner Tätigkeit als Dozent an der Bayerischen Verwaltungsschule schafft.
Werbung in Form von Flyern oder ähnlichem betreibt Nießl nicht, auch keine Internetseite, über die man ihn kontaktieren könnte. „Es läuft alles über Mundpropaganda, oft durch Personen, die ich unterrichtet habe. Wenn ich eine Kommune betreut habe, werde ich oft durchgereicht“, sagt er und schmunzelt. In den Landkreisen Traunstein und Landsberg sei das beispielsweise so gewesen. Den Ammersee habe er beruflich inzwischen einmal umrundet. Aktuell sei er in Inning (Kreis Starnberg) im Einsatz, auch dem Markt Kaufering, der wegen diverser Großprojekte (Schulsanierungen, Wohnungsbau, geplantes neues Feuerwehrhaus) eine angespannte Finanzlage hat, half er. Seit 2012 unterstützt er nun schon Kommunen. „Es wurde noch nie ein von mir aufgestellter Haushalt abgelehnt.“
Aufgaben der Kämmereien in den Kommunen werden immer mehr
Nießl wird in aller Regel aus zwei Gründen gerufen: Der eine ist der Wunsch nach externer Beratung, der häufigere ist, dass die Stelle unbesetzt ist oder der Kämmerer oder die Kämmerin beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen ausfällt. „Nirgends in den Verwaltungen ist die Zahl der Beschäftigten mit Burn-out so hoch“, sagt Nießl. Die Anforderungen und die Sorgen würden vielerorts größer. Als Beispiele aus den vergangenen Jahren nennt er dafür den Anspruch auf Betreuung in Kindertagesstätten und Grundschule und die damit verbundenen finanziellen Auswirkungen, die Veränderungen bei der Grundsteuer und der Umsatzsteuer sowie immer komplexere Förderverfahren.
In kleinen Gemeinden bleibe all das oft an einer Person oder einem sehr kleinen Team hängen. „75 Prozent der bayerischen Gemeinden haben weniger als 5000 Einwohner“, sagt Nießl. Entsprechend seien oft die Verwaltungsstrukturen. Er bekomme im Schnitt eine Anfrage pro Woche. „Ich lasse mir die letzte Jahresrechnung und den letzten Haushaltsplan schicken, dann sehe ich schon, wie viel Aufwand ich hätte und ob das neben den laufenden Kunden noch machbar ist“, sagt er. 50 Kommunen seien „Stammkunden“. Um das Pensum überhaupt zu schaffen, hat der 66-Jährige inzwischen eine Mitarbeiterin eingestellt. Früher hat er auch Kommunen in anderen Bundesländern betreut. Aufgrund der Nachfrage sagt er aber: „Ich habe mir abgewöhnt, Bayern zu verlassen.“
Stadt- und Gemeinderäte haben die Folgekosten teils nicht im Blick
Aber ist der Job des Kämmerers überhaupt so aufwendig und eine Vollzeitstelle, wenn er und seine Beschäftigte 30 Kommunen komplett betreuen und weitere beraten können? „Man darf das Tagesgeschäft mit Einnahmen und Ausgaben nicht vergessen, und ich habe mehrfach erlebt, dass in Gemeinden wichtige Fristen versäumt wurden, weil die Kämmerei nicht besetzt war. Das betraf unter anderem das rechtzeitige Einfordern von Erschließungsbeiträgen.“ Was seiner Erfahrung nach auch immer wieder in Stadt- und Gemeinderäten nicht mitgedacht werde, seien Folgekosten. Mit der Errichtung von Gebäuden sei es nicht getan, diese müssten auch instand gehalten werden.
Es kommt auch vor, dass er für einen Kunden mehr als zehn Haushalte erstelle oder dabei unterstütze. Das sei beispielsweise bei der Verwaltungsgemeinschaft Mammendorf (Landkreis Fürstenfeldbruck) der Fall. Der gehören acht Gemeinden an, hinzu kämen weitere Verbände beispielsweise bei der Schule und dem Abwasser, für die ebenfalls ein Haushalt benötigt werde. „Am Anfang mache ich teils alles, dann stellen sie einen Quereinsteiger ein, den ich unterstütze und am Ende schaue ich vielleicht noch ein oder zwei Mal im Jahr vorbei“, sagt Josef Nießl. Der Aufwand richte sich auch danach, ob er sich alle Unterlagen selbst zusammensuchen müsse oder ihm zugearbeitet werde.
„In der Wirtschaft wären die Kommunen pleite“
Nießl, der in der Vergangenheit auch schon für das bayerische Innenministerium gearbeitet und die Haushalte der Bezirke geprüft hat, ist häufiger Überbringer schlechter Nachrichten, wenn eingespart werden muss. Die freiwilligen Leistungen kommen als Erstes auf die Streichliste, seien aber wichtig für das Leben in den Orten, das schmerze immer. Wirklich schwierig sei es unter anderem in vielen Gemeinden im Bayerischen Wald, so Nießl. „Es ist eine strukturschwache Region. Als dann während der Corona-Pandemie auch noch die Touristen wegblieben, wurde es ganz bitter für die Haushalte der Gemeinden. In der Wirtschaft wären sie pleite. Das kann Kommunen aber nicht passieren, die kommen unter Aufsicht des Freistaats, der dann die Ansagen macht.“
Sein oberstes Ziel sei, die Kommunen so zu stabilisieren, dass sie weiterhin selbst entscheiden können. Deshalb schätze er Herausforderungen. Die finanzielle Lage werde aber immer schwieriger. „Die Kommunen finanzieren 25 Prozent der öffentlichen Aufgaben, erhalten aber nur 14 Prozent der öffentlichen Mittel. Gleichzeitig steigen die Erwartungen von Bürgerinnen und Bürger. Jeder Bürgermeister sollte heutzutage eine Tapferkeitsmedaille bekommen.“ Nießl hatte auch wiederholt den Fall, dass verzweifelte Kollegen anriefen, weil die Ratsmitglieder ihren Berechnungen keinen Glauben schenken wollten und er dann als externer Berater Stellung nahm.
Schatzmeister in einem Verein ist Josef Nießl übrigens nicht. „Irgendwann reicht es auch mit den Zahlen. Ich treibe täglich Sport als Ausgleich.“ Er schreibt derzeit aber ein Sachbuch, das dieses Jahr noch erscheinen soll. Es werde „eine Betriebsanleitung für Mitarbeiter der Kämmereien“, sagt er.
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