Vor fünf Jahren erreichte das Coronavirus Deutschland – und den Landkreis Landsberg. Ein damals 33 Jahre alter Mann aus Kaufering, der beim Automobilzulieferer Webasto im Landkreis Starnberg arbeitete, war erkrankt. Der bundesweit erste bekannte Corona-Fall löste ein riesiges Medienecho aus. „Patient 1“ war ein gefragter Gesprächspartner. Fünf Jahre später hat Christoph Nitsche auch nichts mehr dagegen, seinen Namen in der Zeitung zu lesen. Unsere Redaktion blickt auf die Tage und Wochen nach Bekanntwerden der Infektion zurück.
Am Morgen des 27. Januar 2020 hatte ein Vorgesetzter dem heute 38-Jährigen mitgeteilt, dass eine chinesische Kollegin positiv auf das Virus getestet worden war. Die Kollegin hatte Christoph Nitsche wenige Tage zuvor bei einer einstündigen Besprechung in der Webasto-Firmenzentrale getroffen. Er habe direkt neben ihr gesessen. Als er von seiner infizierten Kollegin erfahren hatte, ging der Familienvater zu seinem Hausarzt, der ihn ins Tropeninstitut nach München schickte. Dort wurde er am Nachmittag getestet. „Ich bin danach wieder nach Hause gefahren und habe dort auf den Anruf gewartet“, erinnerte er sich. An diesem Abend habe er seiner Tochter zum ersten Mal keinen Gute-Nacht-Kuss gegeben. Kurz nach 20 Uhr kam dann der Anruf, bei dem ihm das positive Testergebnis mitgeteilt wurde. „Mir wurde gesagt, dass ich mich sofort ins Schwabinger Krankenhaus begeben soll.“
Birgit Brünesholz, die Leiterin des Landsberger Gesundheitsamts, erfuhr am späten Nachmittag des 27. Januars von dem positiven Fall der chinesischen Mitarbeiterin. Sie habe in dem Moment an ihren Kollegen Dr. Lorenz Schröfl gedacht, der das Gesundheitsamt in Starnberg leitet und zuvor in dieser Position in Landsberg tätig war. Doch am Morgen des 28. Januars war klar, dass sie selbst den ersten Corona-Fall Deutschlands zu behandeln hatte. Denn der erste Laborbefund, den sie frühmorgens abzeichnete, sei der des damals 33-Jährigen aus Kaufering gewesen. „Ich habe gedacht, ich sehe nicht recht.“
„Patient eins“ steckte kein Familienmitglied an
Über das weitere Vorgehen stimmte sich Birgit Brünesholz mit der Taskforce des Landesamts für Gesundheit in München ab. „Es gab ja damals noch keine Richtlinien, wer Kontaktperson ersten oder zweiten Grades ist.“ Als Erstes seien die Ehefrau und die Tochter des Mannes getestet worden. Doch Christoph Nitsche steckte kein Familienmitglied an. Dennoch waren vor allem die Eltern der anderen Kinder besorgt, die den Kindergarten der Tochter in Kaufering besuchten. Einen Anlass, die Einrichtung zu schließen, sah Birgit Brünesholz damals nicht. „Ich habe Anrufe von richtig aggressiven Eltern erhalten“, erinnert sie sich.

„Patient 1“ blieb 19 Tage im Krankenhaus in Schwabing. Zum Zeitpunkt seiner Aufnahme hatte er, außer leichtem Durchfall, keine Beschwerden mehr. Doch auch der Durchfall sei nach wenigen Tagen weg gewesen. Nach der Entlassung hatte Christoph Nitsche die Auflagen des Gesundheitsamts einzuhalten. Erst nachdem auch die letzte tote Virus-DNA aus seinem Körper ausgeschieden war, durfte er wieder zurück an seine Arbeitsstätte. Während „Patient eins“ im Krankenhaus in Schwabing auf seine Entlassung wartete, mussten seine Familie und sechs weitere Personen in häusliche Quarantäne. Alle wurden während der etwa zweiwöchigen Inkubationszeit mehrfach negativ auf das Coronavirus getestet und blieben symptomfrei.
In Schutzanzügen vor der Tür eines Ferienhauses auf La Gomera
Doch der Fall von „Patient 1“ sollte nicht der einzige im Landkreis bleiben. Ein Praktikant der Firma, der positiv auf das Virus getestet worden war, hatte mit einem 26-Jährigen aus dem Landkreis Landsberg Kontakt und infizierte ihn. Das Verhängnisvolle dabei: Der 26-Jährige flog am 28. Januar auf die Kanareninsel La Gomera – zusammen mit fünf Arbeitskollegen, darunter zwei aus dem Landkreis. Wenige Tage später standen Mitarbeiter der spanischen Gesundheitsbehörden mit Schutzanzügen vor der Tür des Ferienhauses. Fünf aus der Gruppe mussten ins Klinikum, weil deren Körpertemperatur über 37 Grad lag. Birgit Brünesholz telefonierte täglich mit den Betroffenen und den Ärzten.
Christoph Nitsche, aber auch Birgit Brünesholz hatten im Januar 2020 nie daran gedacht, dass das Virus so gefährlich ist und es zu einer Pandemie kommt. Ähnlich äußert sich Wolfgang Müller, der Pressesprecher des Landratsamts, dessen Arbeitsalltag sich nach Bekanntwerden des ersten offiziellen Falles schlagartig änderte. Zunächst gab es zahlreiche Medienanfragen, in den Monaten danach mussten täglich Fallzahlen aktualisiert werden, Testzentren und Impfzentren wurden eröffnet, Schulen und Kindergärten geschlossen, wöchentlich neue Infektionsschutzregeln umgesetzt. Über 100 Personen waren in Spitzenzeiten in Sachen Corona für das Landratsamt tätig.
Aktuell ist das Coronavirus im Gesundheitsamt und im Landratsamt kein Thema. Seit März 2023 gelten in Bezug auf Personen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, keine verpflichtenden, staatlich angeordneten Schutzmaßnahmen mehr. Positiv getesteten Personen wird jedoch weiterhin empfohlen, sich freiwillig in Selbstisolation zu begeben. Im Januar 2025 sind es in erster Linie Grippeviren und das Norovirus, an denen Personen schwerer erkranken.
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