Auf rund 10.000 Quadratmetern beleuchtet eine begehbare Installation auf der Waitzinger Wiese derzeit die Radikalisierung und Fehlentwicklungen der Gesellschaft in der Weimarer Republik, die letztlich zum Aufstieg der Nationalsozialisten führten. Ausführlich eingegangen wird dabei auf Adolf Hitlers Festungshaft, dessen einstige Zelle sich nur 300 Meter entfernt in der heutigen Justizvollzugsanstalt Landsberg befand. Vor 100 Jahren, am 20. Dezember 1924, wurde der spätere Diktator entlassen und reorganisierte seine politische Bewegung. Die Historikerin Dr. Edith Raim spricht von einem „welthistorischen Ereignis größter Tragweite“, das unbedingt Beachtung finden müsse. Gerade vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen soll die von ihr und dem Künstler Wolfgang Hauck konzipierte Ausstellung auch eine Mahnung sein.
Edith Raim verweist auf die zurückliegenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen und den „Aufstieg rechtsradikaler Parteien“. Wolfgang Hauck bekräftigt, dass die Installation zeigen soll, wie schnell das demokratische Verständnis unter den Bedingungen von Krieg und Krisen zerbricht. „Somit ist die Frage der Radikalisierung in unserer Zeit nicht erledigt, sondern fordert besondere Wachsamkeit.“
Die beiden Initiatoren möchten auf der Waitzinger Wiese einen offenen und innovativen Diskursraum schaffen, der die Geschichte des Nationalsozialismus neu interpretiert und zur Reflexion über heutige Radikalisierung anregt. Sie wollen eine für jeden zugängliche und wetterfeste Ausstellung an zentraler Stelle in der Stadt. „Wir bringen Hitler mit der Ausstellung auf die Straße, denn er war ein Produkt der Straße“, sagt die Historikerin Raim. Der Rahmen auf der Waitzinger Wiese ist ein anderer als in oft eher „sterilen und ästhetisierenden“ Museen.
Hitlers Festungshaft machte Landsberg zu einer wichtigen Stadt für die NSDAP
Thematisch liegt der Fokus auf den Jahren 1919 bis 1924. Eine zentrale Rolle spielt der niedergeschlagene Putschversuch der NSDAP im November 1923. Hitler wurde verhaftet und saß seine Untersuchungshaft in der Landsberger Haftanstalt ab. Das auffallend milde Urteil im April 1924 wegen Hochverrats zu fünf Jahren Festungshaft wurde ebenfalls dort vollstreckt. Bereits am 20. Dezember desselben Jahres folgte die Entlassung aus dem Gefängnis. Landsberg wurde durch Hitlers Anwesenheit zur dritten wichtigen Stadt für die NSDAP und ihre Anhängerschaft neben München und Nürnberg, bekräftigen die Ausstellungsmacher.
Die raumgreifende, in Form eines Labyrinths gestaltete Installation soll die Irrungen und Irrwege der damaligen Zeit widerspiegeln. Im „Inneren“ werden die historischen Ereignisse – der Putsch und seine Vorgeschichte, die Gerichtsverhandlung und die Haftzeit Hitlers sowie die folgende Reorganisation der NSDAP – mit Bildern und deutschen sowie englischen Texten dargestellt und kommentiert. Die Banner sind an Bauzäunen angebracht. Es gibt es auch jeweils kurz gehaltene Erklärungen zu den einzelnen Themenschwerpunkten. Besucherinnen und Besucher können selbst entscheiden, wie tief sie eintauchen. Bei der Geschichtsvermittlung sei Vorsicht geboten, so Hauck. Berühmte Fotoaufnahmen, wie Hitlers Selbstinszenierung vor dem Bayertor, werden eindeutig als Propagandabilder gekennzeichnet. Die Ästhetik der Täter dürfe nicht fortgesetzt werden, „es muss immer kontextualisiert, kommentiert oder gebrochen werden.“
Dr. Edith Raim hat die Texte für die Installation geschrieben. Diese seien auf dem neuesten Stand der Forschung, so die Initiatoren. Eine in den Augen der Historikerin besonders wichtige Erkenntnis ihrer Recherchen: Hitlers Aufstieg bis 1923 wäre nirgendwo anders möglich gewesen als in München. Denn der Hitler-Ludendorff-Putsch sei untrennbar mit den bayerischen Machtverhältnissen verbunden. „Bayern war durch das Generalstaatskommissariat von Gustav von Kahr de facto in eine Diktatur verwandelt, und nicht nur Hitler, sondern auch von Kahr plante den Putsch gegen das Reich.“
Die Weimarer Republik war eine „unglaublich ambivalente Zeit“
Wolfgang Hauck hat mit Künstlicher Intelligenz (KI) Bilder erschaffen, die die „ikonisierte Überlieferung“ der Geschichte in schwarz-weiß-Bildern durchbrechen und erweitern sollen. Dazu hat er Stilvorlagen von Georg Grosz, Otto Dix, Käthe Kollwitz oder Paul Klee – Kunstschaffende der Weimarer Republik – genutzt. Die in teils knalligen Farben erscheinenden Kreationen sollen die historische Distanz überbrücken, erklärt Edith Raim. Denn auch vor 100 Jahren sei die Welt bunt gewesen.
Mit seinen Bildern, die von außen an den das Labyrinth umschließenden Bauzäunen zu sehen sind, möchte Künstler Wolfgang Hauck unter anderem veranschaulichen, dass die Weimarer Republik eine „unglaublich ambivalente Zeit“ war: Hitler ist in einer kargen Gefängniszelle zu sehen, und direkt daneben: fröhliche Frauen, die durch das Berlin der 1920er-Jahre schlendern. Die emanzipierte Frau sei ein Feindbild der Nationalsozialisten gewesen, sagt Hauck. Die von Hauck initiierte „Bayern History App“ liefert zu der Installation Audio-Dateien und weiterführende Informationen.
Die Ausstellung „Das Labyrinth – 100 Jahre Hitlers Festungshaft“ ist bis 13. Oktober auf der Waitzinger Wiese zu sehen und täglich von 10 Uhr bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos.
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