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Mit Feenstaub gegen Konflikte: Wie Martin Weidner Familien auf Bauernhöfen bei Problemen hilft

Unterallgäu

Mit Feenstaub gegen Familienkonflikte: Er hilft, wenn's auf dem Bauernhof kracht

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    Mehrere Generationen unter einem Dach – da kann es schon mal knirschen, wie auch in den beliebten Eberhofer-Krimis immer wieder zu sehen ist. Im realen Leben kommen Menschen wie Familienberater Martin Weidner zum Einsatz, wenn es bei Familien aus der Landwirtschaft kracht oder Veränderungen anstehen.
    Mehrere Generationen unter einem Dach – da kann es schon mal knirschen, wie auch in den beliebten Eberhofer-Krimis immer wieder zu sehen ist. Im realen Leben kommen Menschen wie Familienberater Martin Weidner zum Einsatz, wenn es bei Familien aus der Landwirtschaft kracht oder Veränderungen anstehen. Foto: Constantin Film

    Martin Weidners kürzeste Beratung dauerte nicht mal eine Viertelstunde. Es ging um eine Hofübergabe an die nächste Generation. Weidner verglich die Lage mit der Übergabe des Staffelstabs in der Leichtathletik, wie sie damals gerade häufig im TV zu sehen war. Plötzlich stand der Altbauer auf: „Das glaub’ ich, dass du Zeit hast, Fernsehen zu schauen“, sagte er zu Martin Weidner, verschwand aus dem Raum und ließ alle anderen sprachlos zurück.

    Gott sei Dank läuft es nicht immer so, wenn der bäuerliche Familienberater auf einen Hof kommt – im Gegenteil: Denn die meisten, die ihn und die anderen ehrenamtlichen Berater anfordern, wünschen sich ja eine Unterstützung bei Herausforderungen, vor denen sie gerade stehen. Was haben Sie für einen Auftrag an uns und können wir den auch erfüllen? Mit dieser Frage startet Martin Weidner ins Gespräch. „Forderungen wie ,Angelika soll netter werden‘ oder ,Georg soll nicht mehr so viel granteln‘ – das können wir nicht erfüllen.“ Stattdessen lässt der 60-Jährige die Beteiligten von einer guten Fee träumen, die mit ihrem Feenstaub alles verändern kann: Welche Vision der Zukunft haben die einzelnen Familienmitglieder?

    Jüngeren Generationen in der Landwirtschaft fehlt oft die Anerkennung

    Es gibt Beratungen, in denen die ganze Familie am Tisch sitzt. Doch sie werden seltener. Meist sucht nur eine Generation Hilfe, oft sind es die Jungen, so Weidner. Sie litten häufig darunter, dass sie Einsatz zeigen, körperlich und finanziell, aber das Gefühl haben, keine Gegenleistung, kein Ansehen in der Gesellschaft für ihre Arbeit zu bekommen. Weitere Konflikte entstehen, wenn einer der beiden Partner nicht aus der Landwirtschaft kommt oder wenn die Kinder wissen wollen, warum man nicht wie alle anderen in der Schule einfach so mal wegfahren kann. So mancher Bauer versuche, sich mit noch mehr Arbeit Freiräume zu gestalten, setze beispielsweise auf saisonale Abkalbung, damit es ein Zeitfenster gibt, in dem man nicht melken muss, erklärt Weidner. Der Nachteil daran: Man hat dadurch 50 oder 60 Kälber auf einen Schlag, und wenn dann eine Krankheit im Stall ausbricht, ist der Schaden groß.

    „Für viele von außerhalb ist Landwirtschaft noch das Alte, das Gemütliche“, sagt Martin Weidner. „In der Realität gibt es eine Vermischung eines bäuerlichen Familienbetriebs mit einem industrialisierten Betrieb.“ Viele Landwirte fühlen sich fremdbestimmt, weil sie sich an zahlreiche Regelungen halten müssen, um Fördermittel zu bekommen. Dass ein Bauer heutzutage Blümchen auf seinem Feld bestimmen müsse, um Artenvielfalt nachzuweisen, findet Weidner fast ein wenig zum Schmunzeln. „Die Landwirtschaft ist ein eigenartiger Markt.“ Aber es gebe auch Betriebe, bei denen es laufe. „Herausforderungen gibt es immer. Vor vielen Landwirten ziehe ich den Hut!“

    Am Gespräch mit dem bäuerlichen Familienberater dürfen alle teilnehmen

    Meist seien es die Frauen, die am schnellsten erkennen, wenn es ein Problem gibt. Mit am Tisch sitzen dürfen alle, wenn sie möchten. Manchmal weigern sich Familienmitglieder, huschen dann aber alle zwei Minuten als Schatten im Flur vorbei. Oder die Bäuerin sagt im Vorfeld, dass ihr Mann wahrscheinlich gar nicht mit dazu kommen werde, stattdessen erscheint er pünktlich und ist gar nicht mehr zu bremsen.

    Martin Weidner ist für die Bäuerliche Familienberatung unterwegs und hilft Familien in der Landwirtschaft bei Problemen.
    Martin Weidner ist für die Bäuerliche Familienberatung unterwegs und hilft Familien in der Landwirtschaft bei Problemen. Foto: Melanie Lippl

    Rund eineinhalb Stunden dauert die Beratung von Martin Weidner und seinen Kolleginnen und Kollegen, länger könne sich der Mensch kaum emotional konzentrieren. Tränen sind dabei völlig okay, oder, wie er es nennt: „Wenn die Seele Hochwasser hat.“ Man müsse davor keine Angst haben. Dass jemand Emotionen nicht mit Gewalt wegdrückt, bedeute, dass sich in ihm etwas bewegt, dass es einen Fortschritt gibt. Dann sei etwas im Fluss.

    Der Bauernhof spielt im Leben der Landwirte eine Rolle wie ein Familienmitglied

    Der Hof sei für viele wie ein Familienmitglied. In seinen Beratungen ist der Hof deshalb eine eigene Spielfigur, genauso wie alle Personen, die dort leben. Die Holzfiguren in verschiedenen Größen, mit deren Hilfe die Familien ihre Situation darstellen sollen, seien ein guter Zugang für jene, „für die das Sprechen nicht die gewohnte Kommunikationsform ist“. Manchmal ist nach einem Termin bereits alles geklärt, aber meist kommt es zu zwei bis drei Besuchen der Familienberater. Vier bis sechs Wochen lässt Weidner zwischen den einzelnen Terminen verstreichen, denn er weiß: „Zwischen den Beratungen passiert immer mehr, als wenn wir da sind.“

    Seinen ersten Einsatz hatte Martin Weidner, der damals noch im Raum Augsburg lebte, in Türkheim. Mit seiner Kollegin und Sommerreifen am Auto war er an einem winterlichen Novembertag hierhergefahren – oder besser gesagt: geschlittert. Heute lebt er in Warmisried, ist aber so gut wie gar nicht im Unterallgäu im Einsatz: Die meisten Familien mögen es lieber, wenn der Berater oder die Beraterin einen gewissen räumlichen Abstand hat.

    Er selbst ist über Umwege zu diesem Ehrenamt gekommen. „Irgendwann im Leben haben sich Weichen gestellt, die in die soziale Verantwortung weisen“, sagt der 60-Jährige über sich. Seine Eltern engagierten sich in der Kirche und er selbst trug schon als Dreijähriger stolz das Logo der Malteser auf seiner Kindergartentasche. 1981 wurde er Teil dieser Organisation und baute unter anderem in Augsburg das Kriseninterventionsteam auf, das zum Beispiel Menschen nach schweren Unfällen betreut.

    In der bäuerlichen Familienberatung vereint Weidner sein Wissen und Können

    Nach der Realschule hatte Weidner eine Lehre in der Landwirtschaft gemacht, zusammen mit einer Ausbildung in der Landwirtschaftsverwaltung, im Tierzuchtamt in Wertingen war er anschließend im Einsatz. Als er merkte, dass ihm der Kontakt mit Menschen Freude bereitete, wechselte Weidner zur Rettungsleitstelle. Eigentlich war der Job nur als Übergang gedacht, jetzt darf er sein 30-jähriges Berufsjubiläum feiern. Seit 2010 ist er ehrenamtlich als bäuerlicher Familienberater im Einsatz – und verbindet damit nun all das, was er gelernt hat, von der Landwirtschaft bis hin zur Hilfe in Krisen. „Das Schöne: Man ist in der Beratung ziemlich frei“, sagt Weidner. „Es ist wie eine Art Wunderkiste.“ Man müsse behutsam vorgehen, es müsse zum Gegenüber passen, und Humor helfe häufig. „Ich genieße es, Impulse zu geben, Ideen zu sehen und weiterzugeben“, sagt er. Und manchmal stellt er auch grundsätzliche Fragen wie: „Was ist wichtiger? In drei Jahren gemeinsam mit allen Generationen am Tisch zu sitzen oder eine bestimmte Arbeit in dieser Woche zu erledigen?“

    Für die bäuerliche Familienberatung gibt es Zuschüsse vom Staat und der Kirche. Und doch hat es Weidner besonders gefreut, als jüngst ein Chor einen Teil seiner Einnahmen aus einem Konzert gespendet hat; es war für ihn eine Wertschätzung dieser Arbeit. Dass er und die anderen Beraterinnen und Berater nach dem Abschluss ihrer Ausbildung in einem Gottesdienst ausgesandt wurden, hat für ihn ebenfalls eine große Bedeutung. „Mir geht es gut und ich möchte schauen, dass es anderen auch gut geht“, sagt er. „Dass sie erleben, dass es ihnen auch gut gehen darf.“

    Die Bäuerliche Familienberatung der Diözese erreicht man online unter www.bfb-augsburg.de, über die Telefonnummer 08222/411166 oder unter bfb@bistum-augsburg.de.

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