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Ulmer Staatsanwaltschaft in Sorge: Bestimmte Straftaten „gehen durch die Decke“

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Ulmer Staatsanwaltschaft in Sorge: Bestimmte Straftaten „gehen durch die Decke“

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    Der Leitende Oberstaatsanwalt Christof Lehr (Mitte) ist in Sorge wegen der jüngsten Entwicklung der Kriminalitätszahlen im Raum Ulm.
    Der Leitende Oberstaatsanwalt Christof Lehr (Mitte) ist in Sorge wegen der jüngsten Entwicklung der Kriminalitätszahlen im Raum Ulm. Foto: Thomas Heckmann

    Die Ulmer Staatsanwaltschaft hat sich im vergangenen Jahr um über 45.000 Strafverfahren kümmern müssen, ein neuer Höchststand nach etwas mehr als 42.000 Verfahren im Jahr 2023. Rund 90 Prozent der Verfahren endeten mit einer Geldstrafe. Während im baden-württembergischen Durchschnitt die Kriminalität zurückging, nahm sie jedoch im Raum Ulm besorgniserregend zu.

    Ein Fünftel der Straftaten in 2024 sind Verkehrsdelikte (5149 Fälle). Doch auch knapp 3000-mal ging es um Körperverletzung und fast 4000-mal um Diebstahl oder Unterschlagung. „Die Zahlen sind durch die Decke gegangen“, fasste das der Leitende Oberstaatsanwalt Christof Lehr zusammen. Diese Entwicklung erfüllt ihn mit Sorge. Bei Verbrechen, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft werden, zum Beispiel Raub, hätten sich die Delikte quasi verdoppelt. Ursächlich sei ihr untere anderem die Lage in Ulm rund um die Sedelhöfe und den Hauptbahnhof. Es gibt allerdings auch erfreuliche Zahlen. Durch die neuen Cannabisgesetze gingen die Betäubungsmitteldelikte um ein Viertel zurück.

    Staatsanwaltschaft Ulm ermittelt in 2024 zu drei Tötungsdelikten, unter anderem am Eselsberg

    Es gab drei Tötungsdelikte im Zuständigkeitsbereich der Ulmer Staatsanwaltschaft: eines im März am Ulmer Eselsberg durch einen psychisch kranken Mann. Außerdem einen Überfall auf eine Bar in Göppingen mit einer Maschinenpistole, diese Tat steht wohl im Kontext eines Bandenkrieges im Großraum Stuttgart. Die dritte Tat ereignete sich ebenfalls im Bereich Göppingen, dabei soll eine Frau wegen ihres Hasses auf Männer einen Mann mit zahlreichen Messerstichen erstochen haben. Der Prozess gegen die Frau beginnt noch diesen Monat.

    Positiv merkte Lehr an, dass der Alb-Donau-Kreis weiterhin der sicherste Landkreis in ganz Baden-Württemberg ist. Auch die Stadt Ulm leige im Durchschnitt der baden-württembergischen Großstädte. Wenngleich die Häufigkeitszahlen, also die Straftaten auf 100.000 Einwohner gesehen, für den Stadtkreis Ulm im Vergleich zu den Bezirken Alb-Donau-Kreis und Kreis Göppingen stärker gestiegen sind. Lehr spricht von einer flächendeckenden Zunahme um zehn Prozent in nahezu allen Deliktsbereichen. „Wir können nicht erklären, warum“, sagt er.

    Herausragender Drogen-Fall: Serben sollen mit 147 Kilogramm Kokain gehandelt haben, die „Partydroge“

    Herausragend ist für Lehr ein aktuelles Verfahren, in dem zwei Serben vorgeworfen wird, mit 147 Kilogramm Kokain gehandelt zu haben. Sie sollen damit rund fünf Millionen Euro verdient haben. Insgesamt werde der Drogenmarkt derzeit von Kokain überschwemmt, nach der Wahrnehmung des Leitenden Oberstaatsanwalts wird Kokain immer billiger und zur „Partydroge“.

    Eine andere unerfreuliche Entwicklung ist zunehmende Bandenkriminalität, beispielsweise werden arbeitsteilig Ladendiebstähle durch nicht strafmündige Kinder begangen. Andere Bandenmitglieder kümmern sich dann um den Weiterverkauf, die Hintermänner bleiben aber im Dunkeln. „Wer Kinder zum Klauen anstiftet, weiß auch, wie er sich tarnt“, so Lehr.

    Betrüger sind mit Schockanrufen immer noch erfolgreich: Staatsanwältin gibt Tipps

    Auch bei den Schockanrufen bleiben die Fallzahlen sehr hoch und die Schadensummen beträchtlich, meist im fünfstelligen Bereich. Gerade ältere Menschen verlieren dabei oft ihre gesamte angesparte Altersvorsorge. Die Erste Staatsanwältin Ayfer Kaplan-Pirl sagt dazu ganz klar: „Es kommt niemals ein Staatsanwalt bei ihnen zuhause vorbei, um Wertsachen abzuholen!“ Sie riet dazu, am besten einfach aufzulegen. Sollten Anrufe eingehen, wonach ein naher Verwandter in Haft sitze und Geld für eine Kaution benötige, kann man einfach beim Verwandten zurückrufen, um festzustellen, ob die Geschichte stimmt.

    Im Fall der 276 Autos, die deutschlandweit Anfang Dezember mit Bauschaum verstopft wurden, hat die Staatsanwaltschaft Ulm die Ermittlungen zentral übernommen. Die Tatorte waren unter anderem in Ulm, Neu-Ulm und im Alb-Donau-Kreis, aber auch in Berlin und Brandenburg. Bei Berlin fasste die Polizei vier Tatverdächtige, die 17 bis 29 Jahre alt sind. Bei den Vernehmungen behauptete ein Beschuldigter, dass sie von einem russischstämmigen Serben, der in Russland lebt, im Auftrag eines russischen Geheimdienstes angeworben wurden. Die Ermittler gehen von sogenannten „Wegwerfagenten“ aus, die benutzt wurden, um die Bundestagswahl zu beeinflussen. Den Beschuldigten sei es aber vielmehr ums Geld gegangen. Ihnen sollen pro Auspuff 100 Euro versprochen worden. Die Staatsanwaltschaft habe verdächtige Geldeingänge auf Konten festgestellt, wenngleich bis zur Festnahme sie nur wenige Tausend Euro erhalten hätten.

    Christof Lehr, Chef der Ulmer Staatsanwaltschaft, geht in Ruhestand

    Um Jugendliche nicht in eine kriminelle Karriere abrutschen zu lassen, gibt es in Ulm das „Haus des Jugendrechts“. Dort arbeiten Staatsanwaltschaft, Kriminalpolizei und die Jugendhilfe der Stadt Ulm Tür an Tür zusammen. Dort gibt es auch zweiwöchentlich eine kostenlose Rechtsberatung für Jugendliche durch Rechtsanwälte, die dann beispielsweise zu Handyverträgen beraten können.

    Christof Lehr war 13 Jahre lang Leiter der Staatsanwaltschaft Ulm und geht Ende des Monats Mai mit 65 Jahren in Pension. Seine Nachfolge ist noch offen, auch die Position seines Stellvertreters ist noch vakant. Oberstaatsanwalt Peter Staudenmaier ging vor wenigen Wochen in Ruhestand. (mit krom)

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    1 Kommentar
    Rainer Kraus

    Hier sind die Politiker, Gerichte und Polizisten gefragt, wenn Eltern, Kindergarten und Schule versagen.

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