Florian A. plagen nach dem Tod seines Vaters viele Fragen, die teils noch immer unbeantwortet sind: Was ist in der Uniklinik Ulm geschehen? Warum wurde sein Vater stundenlang in einem Flur abgestellt, in dem es kalt und zugig war? Welche Medikamente bekam er? Warum wurde er nicht mit Flüssigkeit und Nahrung versorgt? Wo sind der Arztbrief, der Kulturbeutel, Wertsachen wie Ausweis und Bargeld sowie die Versichertenkarte seines Vaters? Der 48-Jährige ist entsetzt, wendet sich an unsere Redaktion und erhebt zunächst schwere Vorwürfe: Sein Vater habe seinen Klinikaufenthalt wohl mit seinem Leben bezahlt. „Die Familie weiß, in welchem Zustand er dorthin und wie er herauskam. Ein himmelweiter Unterschied.“ Ein Einzelfall? Oder ein Beleg für den Zustand unseres Gesundheitssystems? Die Klinik widerspricht, sieht aber auch Verbesserungsbedarf.
Siegfried A., 79 Jahre alt und an Krebs erkrankt, sollte am 25. März für ein Anästhesiegespräch von der Klinik in Langenau an die Uniklinik gebracht werden. Los ging es um 7.30 Uhr, wie sein Sohn in einer Beschwerde-E-Mail an die Uniklinik schreibt, die unserer Redaktion vorliegt. Das zehnminütige Gespräch habe gegen 13 Uhr stattgefunden, nach 17 Uhr sei der Senior nach Langenau zurückgekommen. Der Sohn kritisiert: Sein Vater sei gefühlt „vergessen“ worden und habe quasi den gesamten Tag ohne jede Versorgung in der Uniklinik verbracht. Stundenlang sei er in einem Flur abgestellt worden, war „dehydriert, unterzuckert, unterkühlt“. Seine Tochter sei anfangs noch dabei gewesen, habe dann aber zur Arbeit müssen.
Vorwürfe gegen Uniklinik Ulm: Vater war bis dato „völlig klar und geistig da“
Am Folgetag (26. März) fand die Operation statt. Eine Hautmetastase sollte ab 8 Uhr entfernt werden. Die OP startete um 13 Uhr. Bis dahin habe der 79-Jährige nüchtern bleiben müssen. „Nachdem er ja am Vortag schon nichts bekam“, moniert der Sohn. „Die OP ist aus chirurgischer Seite einwandfrei verlaufen“, sagt er. Die Nacht verbrachte der Vater in der Uniklinik, erst am 27. März erfolgte die Rückkehr nach Langenau. „Zerschlagen, labil, mit deutlichen Austrocknungserscheinungen“, beschreibt der Sohn zu diesem Zeitpunkt den Zustand seines Vaters, der bis dato „völlig klar und geistig da“ war. Insofern gebe es für ihn keinen Grund an dessen Berichte zu zweifeln. Ihm soll lediglich ein Joghurt gereicht worden sein.
Nach dem Aufenthalt in der Uniklinik habe sich das Befinden seines Vaters schnell verschlechtert. Anfang April sei er auf die Palliativstation nach Weißenhorn gekommen. „Dort konnte man nichts mehr für ihn tun“, sagt der Sohn. Die behandelnden Ärzte dort sollen sich entsetzt über den körperlichen Zustand geäußert haben, berichtet er. Am 20. April starb sein Vater.
Vorwurf nach Tod des Vaters: „Für uns Angehörige ein unerträglicher Zustand“
Knapp eine Woche später wendet sich der Sohn an die Uniklinik Ulm. „Unser Vater hat den neuerlichen Aufenthalt in Ihrem Haus nun wohl mit dem Leben bezahlt“, schreibt er dem Leitenden Ärztlichen Direktor Professor Dr. Udo X. Kaisers. Neben dem schmerzhaften Verlust eines geliebten Menschen wird auch das Fehlen der Wertsachen und des Arztbriefes kritisiert. „Für uns Angehörige ein unerträglicher Zustand. Für sie nur eine Zahl in ihrem Riesensystem.“
Auch unsere Redaktion wendet sich an das Uniklinikum Ulm (UKU). Deren Stellungnahme erstreckt sich über vier DIN-A4-Seiten. Demnach seien die Vorkommnisse geprüft worden. „Aufgrund der Daten- und Faktenlage ist die Kritik des Angehörigen nicht nachvollziehbar und wird auch dem großen Einsatz der UKU-Mitarbeitenden nicht gerecht, die sich tagtäglich für die Patient*innen und deren Genesung einsetzen“, heißt es darin. Es seien „keine Fehler nachweisbar“.
Der betroffene Patient habe unter einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung gelitten, zudem hätten sich weitere schwerwiegende Nebenerkrankungen „prognose-limitierend“ ausgewirkt. Der Calcium- und Wasserhaushalt habe bereits vor der OP bestanden. Den Vorwürfen des Sohnes, wonach der Aufenthalt in der Uniklinik „eventuell zum raschen Versterben“ geführt habe, wird „ausdrücklich widersprochen“.

Uniklinik Ulm sieht im Vorfall auch Verbesserungsbedarf bei den Abläufen
Verbesserungsbedarf gibt es offenbar dennoch: Vor allem bei der Verpflegung wartender Patienten, für die es eigentlich kein reguläres Essensangebot gibt. Konzepte diesbezüglich sollen überarbeitet werden. Eine vorläufige Version des Arztbriefs soll dem Patienten mitgegeben worden sein, die endgültige werde erst nach Vorliegen des finalen pathologischen Befundes und des erfolgten Tumorboard-Beschlusses verschickt. Der beschleunigte, digitale Arztbriefversand soll dennoch intensiv angegangen werden. Verloren gegangene Wertgegenstände seien inzwischen ausfindig gemacht und an die Familie zurückgeschickt worden. Neben Mitarbeitenden des sogenannten „Meinungsmanagements“ habe auch der Direktor der Klinik den Kontakt zum Angehörigen gesucht und mit diesem ausführlich die Abläufe sowie den Zustand des Patienten besprochen.
Florian A. bestätigt das. Jedoch sei lediglich ein Wertgegenstand gefunden worden, der nun von der Familie abgeholt werden müsse. Der Sohn geht davon aus, dass er ohne die Anfrage unserer Redaktion weiterhin auf eine Rückmeldung warten müsste. Den Vorwurf, der Klinikaufenthalt könnte den Tod verursacht haben, zieht er im Nachgang jedoch zurück. „Das Problem bestand in der pflegerischen Versorgung auf der Station und der lückenhaften Kommunikation zu uns und auch zu den anderen Ärzten in Langenau und Weißenhorn, wo man auf Nachfrage erstmal nichts mitgeteilt bekam.“
Der „Knaller“ aber: Dass es derart schlecht um seinen Vater stand, hätten sie als Familie nicht gewusst. Auch vom Wassermangel sei nichts bekannt gewesen. Er fragt sich: Warum wurden angesichts dieses Befunds trotzdem noch Bestrahlungen und Behandlungen von anderen Ärzten angesetzt? Warum wurde nicht längst reiner Wein eingeschenkt und seinem Vater das Leid am Ende durch diese Tortur erspart? Wollten hier womöglich Ärzte und Kassen noch am Ende eines Lebens abkassieren? Florian A. gibt der Vorfall zu denken. „Patient wie auch Angehörige sind Spielball in einem Gesundheitssystem, in dem das Geld, Wirtschaftlichkeit und die Effizienz wichtig sind - was am Ende voll auf Kosten des Wohlergehens des Patienten geht.“
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