
Ein völlig neues Gefühl: So fährt es sich auf der ICE-Neubautrasse

Plus Mehrmals am Tag pendelt ein ICE auf der neuen Bahn-Strecke zwischen Wendlingen und Ulm, um Lokführer zu schulen. Unsere Redaktion durfte dabei sein.
Es ist schon irgendwie eigenartig, wenn man auf einer Bahnstrecke unterwegs ist, die es noch gar nicht gibt. Und dann auch noch mit 250 km/h. Am Donnerstag hat die Bahn zwei Dutzend Journalistinnen und Journalisten die Möglichkeit gegeben, die neue Strecke kennenzulernen und den ungewohnten Komfort zu genießen. Der ist tatsächlich ein völlig neues Fahrgefühl.
Am Startbahnhof Plochingen werden Warnwesten ausgegeben und es folgen die Sicherheitshinweise. Dabei soll Bahnfahren doch so sicher sein. Raimund Räder, der die Lokführer ausbildet, erklärt die Hintergründe. Die Bahnstrecke ist noch im Vorlaufbetrieb, sie ist noch nicht kommerziell freigegeben. Daher gelten ein paar zusätzliche Regeln: das Verhalten bei Störungen, an welcher Seite sollte im Ernstfall ausgestiegen werden, wo sind in den Tunnels die Fluchtwege. Und natürlich vertraut jeder der mitfahrenden Eisenbahner auf die Qualität des Bauwerkes, aber die Sicherheitseinweisung ist nun mal vorgeschrieben. Auch Olaf Drescher, der Geschäftsführer des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm, beruhigt. Baulicherseits passiere eigentlich nichts mehr, es werde vielleicht noch irgendwo ein Schild montiert oder der Rasen ein wenig "gerade gezogen".

Und dann hört der Zug nicht mehr auf zu beschleunigen
Unser ICE fährt am Bahnsteig vor, ein paar Lokführer steigen aus dem Führerstand aus. Ausbilder Räder erklärt, dass seit September die Schulung vor Ort läuft. 19 Ausbilder müssen bis zum Start des offiziellen Betriebs am 11. Dezember rund 160 Lokführer eingewiesen haben, damit sie auf der Neubaustrecke unterwegs sein dürfen. Und dann geht es auch schon los. Der Zug rollt auf Wendlingen zu, es folgt das Nadelöhr, die bisher eingleisige Wendlinger Kurve, die die Verbindung zur Neubaustrecke darstellt. Hier dauert es wohl noch zwei Jahre, bis über den Flughafen zweigleisig gefahren werden kann.

Der Zug beschleunigt, irgendwie hört er gar nicht mehr auf zu beschleunigen. Statt den gewohnten Geschwindigkeiten um die 120 km/h zwischen Geislingen und Göppingen ist der Zug nun mit 250 km/h doppelt so schnell. Rein in den Tunnel, Druck auf den Ohren, schlucken, vor dem Fenster ist es mitten am Tag dunkel. Hell, dunkel, nach nicht einmal zwanzig Minuten ist die Filstalbrücke erreicht. Knapp 500 Meter lang und 85 Meter hoch ist sie die dritthöchste Eisenbahnbrücke in Deutschland und verbindet zwei Tunnel direkt miteinander. Olaf Drescher hat zwischen allen Journalistenfragen auch ein paar Minuten Zeit, sich hinzusetzen, kurz aus dem Fenster zu schauen. Er verantwortet eine Investition von 3,985 Milliarden Euro und wirkt dabei ganz entspannt. Er lächelt, wenn er darüber spricht, dass es nun so langsam alles fertig wird. Die Teileröffnung ist für ihn ein wichtiger Meilenstein.
In den Lokomotiven muss viel nachgerüstet werden
Der unlängst verstorbene Professor Gerhard Heimerl aus Stuttgart hat die Strecke parallel zur Autobahn 8 quasi erfunden. Eigentlich wollte die Bahn auf der Magistrale Paris–Budapest die alte Strecke durch das Filstal ausbauen. Laut Heimerl hätte man damit maximal 160 km/h erreichen können und es hätten schon nach den 1988 gültigen Lärmschutzregeln rund sechs Meter hohe Schutzwände gebaut werden müssen. Schneller geht es über die Alb und die Kommunen auf der Alb haben sich rechtzeitig zusammengetan, um das Verkehrskonzept mit einem Regionalbahnhof zu komplettieren. Die Bahn ließ sich überzeugen und nun ist man in 49 Minuten in Stuttgart und spart 34 Minuten.
Viel Schulungsaufwand erfordert das neue Signalsystem ETCS. Statt bisher über Lichtsignale an der Strecke werden die Befehle über Funk direkt in die Lok übertragen. Damit können Geschwindigkeitsvorgaben genauer gemacht werden und im Stellwerk weiß man, wo der Zug gerade mit welcher Geschwindigkeit unterwegs ist. Drescher hat ausgerechnet, dass bei einem bundesweiten vernetzten ETCS-Signalsystem rund 30 Prozent mehr Züge über die bestehenden Strecken fahren können. Doch bis dahin ist der Weg noch weit, denn es muss viel Technik auch in den Lokomotiven nachgerüstet werden. Der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV rollt weiterhin durch das Filstal auf der alten Strecke, erst für nächstes Jahr ist die Nachrüstung und Zulassung der Triebzüge durch die französische Staatsbahn geplant. Auch für den Güterverkehr gibt es nahezu keine Lokomotiven, die eine passende Zulassung haben. Daher wird auch weiterhin der komplette Güterverkehr durch das Filstal abgewickelt.
Der ICE ist schon wieder in Plochingen. Die schöne Aussicht auf Geislingen hat gefehlt, doch die Zeitersparnis in den laufruhigen Zügen ist beeindruckend. Ab 11. Dezember kann man regulär den neuen Fahrkomfort genießen.
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