
Der Yoga-Boom ist ungebremst

Der Trend zum fernöstlichen Workout hält nach wie vor an. Ein Besuch bei der ersten Ingolstädter Yoga-Schule.
Katze, Krieger, Hund und Schildkröte kommen später – erst einmal wird der Alltag abgeschaltet. Deshalb beginnt Yoga-Lehrerin Marija Feigel auch diese Stunde mit den Worten: „Wir nehmen einen bequemen und aufrechten Sitz ein und schließen die Augen.“
Ein paar Minuten Stille wirken Wunder. Wenn jeder innerlich zur Ruhe gekommen ist und nicht mehr in Gedanken irgendwo in der Weltgeschichte umherhetzt, kann es losgehen. Die fließende Abfolge von kräftigenden und entspannenden Körperhaltungen beginnt. Zwischendurch baut Feigel immer wieder Atem- und Konzentrationsübungen ein. Denn Yoga ist zwar nachgewiesenermaßen gesund, hilft etwa bei Rückenschmerzen oder Bluthochdruck, stärkt das Immunsystem und wird von fast allen Krankenkassen bezuschusst. Yoga ist mit seiner jahrtausendealten Tradition aber auch noch ein bedeutendes bisschen Mehr als reine Gesundheitsprophylaxe.
Bei Marija Feigel sind die Kurse sehr gut besucht. Die erfahrene Yoga-Lehrerin hatte in ihrer alten Heimat, dem ehemaligen Jugoslawien, bereits Erfahrungen mit Yoga gesammelt bevor sie 1992 nach Ingolstadt kam. Hier ließ sie sich von Sigmund Feuerabendt ausbilden. Der Yoga-Pionier und Vorsitzende der Deutschen Yogagesellschaft war der erste, der 1971 in Ingolstadt eine Schule („Erste Deutsche Yogaschule“) aufmachte. Nach ihrer Ausbildung und jahrelanger Erfahrung übernahm Feigel diese Schule in der Ingolstädter Altstadt vor fünf Jahren und taufte sie in „Yoga-Mitte“ um. Sie fühlt sich nach wie vor ihrem Lehrer verbunden, setzt aber auch eigene Akzente.
Die Tage der Pionierarbeit sind lange vorüber. Der Yoga-Boom scheint seinen Zenit immer noch nicht erreicht zu haben. „Yoga boomt auch in Ingolstadt“, erzählt Michael Dengler, Inhaber der Yogaschule-Feuerabendt in Gerolfing. Er warnt aber auch vor unseriösen Nachahmern: „Jeder Interessierte sollte sich die Angebote genau anschauen, ob es qualitativ zu den individuellen Vorstellungen passt“, so Dengler.
Heute wird Yoga nicht nur in etwa einem Dutzend Schulen in Ingolstadt und an der vhs angeboten, sondern gehört auch in jedem Fitness-Studio zum festen Angebot. Feigel: „Yoga ist mittlerweile ein Volkssport.“ Allerdings einer, der immer noch stark von Frauen dominiert wird: Ein Blick in die Runde des wöchentlichen Anfänger-Kurses am Montag zeigt, dass sich Männer in unseren Breiten offenbar weniger gern auf der Yoga-Matte tummeln. Heute sind von zwölf Kursteilnehmern immerhin drei männlich. Nicht jeder von ihnen kommt allerdings aus eigenem Antrieb. Zwei der drei jüngeren Herren geben zu, von ihren Partnerinnen ermutigt worden zu sein, mitzumachen. Bereuen tut das allerdings keiner von ihnen.
Die Yoga-Lehrerin bestätigt die Dominanz des weiblichen Geschlechts: „Bei uns sind etwa 15 bis 20 Prozent Männer“, sagt Feigel. Ganz anders im Ursprungsland Indien. Dort werde Yoga überwiegend von Männern praktiziert, erzählt die 42-Jährige. Aber auch in Europa öffnen sich immer mehr Männer für das fernöstliche Übungssystem. Gerade wenn man Kraftsport macht, sind die Dehnungs- und Ausgleichsübungen der Yoga-Lehrerin zufolge sehr wichtig.
Viele Durchschnittseuropäer haben heute schon mit einfachen Gleichgewichtsübungen so ihre Probleme. Das Kommando „und jetzt den Kopf zur linken Hand drehen“ hört sich dann auch einfacher an, als es tatsächlich ist. Vor allem, wenn man dabei auf einem Bein steht und die Arme in die Luft streckt. Es dauert nicht lange, bis die erste Teilnehmerin aus dem Gleichgewicht gerät, ins Straucheln kommt und deutlich hörbar wieder mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Ihrem Beispiel folgt schnell der halbe Kurs und jetzt kann sich kaum einer das Lachen verkneifen.
Die anfangs vielleicht etwas exotisch anmutenden Körperhaltungen, die man „Asanas“ nennt, sind dagegen für den Anfängerkurs längst Normalität geworden. Wenn das Wort „Krieger“ fällt, wissen die meisten, was jetzt kommt: Das linke Bein ist 90 Grad gebeugt, das Knie befindet sich genau oberhalb des Fußgelenks und der Brustkorb oberhalb der Hüfte. Jetzt werden die Arme weit auseinander gestreckt und parallel zum Boden gehalten. Diese Stellung ist anstrengender als sie aussieht und soll Kraft und Mut trainieren. Viele der Teilnehmer wollen das wöchentliche Workout mit Tiefgang nicht mehr missen und gehen zufrieden und beschwingt nach der abendlichen Übungsstunde nach Hause.
Aber was ist in dieser Stunde eigentlich passiert? Was ist das Besondere an Yoga, was unterscheidet es von anderen sportlichen Aktivitäten, kurz: Was ist Yoga? Die Antwort ist kompliziert und auch wieder nicht. Die zahlreichen unterschiedlichen Traditionen und Richtungen muten auf den ersten Blick wie ein undurchdringlicher Dschungel an: Hatha-Yoga, Kundalini-Yoga, Sivananda-Yoga, Marma-Yoga, Yantra Yoga, Power-Yoga, Hormon-Yoga, Yoga für Schwangere – die Liste lässt sich noch lange fortsetzen und erleichtert nicht gerade das Verständnis. Auf der anderen Seite ist es auch ganz einfach. Feigel hat eine simple Worterklärung parat: „Yoga ist der Gang zu Gott“, sagt sie, wobei „yo“ für Gott und „ga“ für Gang stehe.
Gott ist dabei nicht religiös gemeint. Yoga ist selbstverständlich offen für Menschen aller religiösen oder weltanschaulichen Traditionen. Die Leiterin von Yoga Mitte erklärt, dass es vor allem um eine Verbindung von Geist und Körper gehe, um eine Überwindung des Ego und die Entdeckung eines „wahren“ oder „wirklichen“ Selbst. Die Übungen sind eigentlich nur eine Vorbereitung darauf. Im Yoga werde auf allen Bereichen gearbeitet, die den Menschen ausmachen: Im physischen, psychischen, energetischen und geistigen Bereich. Es gehe letztlich darum, den Menschen weiterzuentwickeln und zu vervollkommnen.
Auf dem Yoga-Weg zu Gott kommt man aber auch gehörig ins Schwitzen. Ohne Disziplin, kontinuierliches Training und die ständige Erweiterung der körperlichen und mentalen Grenzen kommt man nicht weiter. Praktisch ist die Yoga-Stunde bei Marija Feigel eine Mischung aus Kräftigungs-, Dehnungs-, Atem- und Entspannungsübungen, die am Ende in einer Tiefenentspannung mit meditativer Musik endet. Nach kräftezehrenden Krieger-Stellungen und fordernden Gelenkdehnungen ist das eine willkommene Belohnung für alle.
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