
So erlebt ein Zeuge den frustrierenden Kampf gegen arabische Clans

Plus Sie handeln mit Drogen, rauben oder waschen Geld: Schwerkriminelle Familien sind schwer zu fassen. Über zwei spektakuläre Prozesse und einen nervösen Zeugen.

Wer vermummte, schwer bewaffnete Gangster, die in wenigen Metern Entfernung einen Millionenraub begehen, mit dem Handy fotografiert, ist gewiss kein ängstlicher Mensch. Doch ein knappes Jahr später bewegt der 60-Jährige im Zeugenstand nervös die Beine hin und her. Schließlich sitzen drei Männer, die nach Überzeugung des Staatsanwalts an der aufsehenerregenden Tat beteiligt waren, schräg hinter ihm. Sie tauschen vielsagende Blicke aus mit Bekannten auf den Zuschauerbänken.
Im Saal 704 des altehrwürdigen Berliner Landgerichts in Moabit muss der grauhaarige Mann schildern, wie sein morgendlicher Weg zur Arbeit vor der Mündung eines Sturmgewehrs vom Typ Kalaschnikow endete. Wie er Zeuge eines der spektakulärsten Verbrechen in der Kriminalgeschichte der Hauptstadt wurde. Begangen mutmaßlich von Männern aus dem Milieu der berüchtigten arabischen Familienclans. Einer Szene, die den Rechtsstaat verachtet, Polizei und Justiz immer dreister herausfordert.
Lange schien die Politik die Clan-Kriminalität auf die leichte Schulter zu nehmen. Die ethnisch abgeschotteten Subkulturen waren ab den 1980er Jahren entstanden, als ganze Dorfgemeinschaften mit kurdisch-arabischen, palästinensischen oder anatolischen Wurzeln im Zuge des libanesischen Bürgerkriegs nach Deutschland kamen. Sie reisten oft über die DDR ein, die die Migranten nach Westen durchwinkte.
In Großstädten wie Berlin, Bremen oder Essen blieb den Mitgliedern der streng nach archaisch-patriarchalischen Regeln lebenden Familien zunächst der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Für die Kinder galt zeitweise keine Schulpflicht. Experten sehen darin die Hauptgründe, warum sich viele Clan-Mitglieder illegale Einkommensquellen erschlossen: Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Prostitution, Einbrüche, Diebstähle, Raub. Die Strafverfolgung gestaltete sich schwierig, weil in der Welt der Clans das Gesetz des Schweigens gilt. Und, wie Politiker heute einräumen: Die Behörden sahen lange nicht allzu genau hin, auch aus falsch verstandener Toleranz.
Jetzt hat der Staat den Clans den Kampf angesagt. Gerade erst sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer: „Wir vertreten inzwischen einen Null-Toleranz-Ansatz.“ Der CSU-Politiker verwies auf das aktuelle Lagebild des Bundeskriminalamts zur Organisierten Kriminalität. Demnach wurden 2018 in Bund und Ländern 45 Ermittlungsverfahren „kriminellen Mitgliedern ethnisch abgeschotteter Subkulturen“ zugeordnet. „Kriminelle Parallelgesellschaft darf es in unserem Land nicht geben“, kündigte Seehofer ein energisches Vorgehen an.
Die Verfahren sind zermürbend
Der Kampf gegen die Macht der Clans findet nicht nur auf den Straßen von Problemvierteln statt, sondern auch vor Gericht. Und er ist selten einfach, dafür oft zermürbend und frustrierend. Am Landgericht Berlin zeigt sich das derzeit fast täglich. Im mit dunklem Holz getäfelten Saal beginnt der Zeuge, seine Erlebnisse von Mitte Oktober 2018 zu schildern. Der Unternehmensberater ist gerade im Auto nahe des berühmten Fernsehturms auf dem Alexanderplatz unterwegs. Vor ihm fährt ein weißer Lieferwagen. Dass der sieben Millionen Euro an Bord hat, ahnt er nicht.
Plötzlich wird der Geldtransporter von zwei großen dunklen Kombis eingekeilt. Die Autos kommen zum Stehen, direkt vor den Augen des Zeugen. Zunächst denkt er an einen Unfall. Doch dann öffnen sich Autotüren und fünf maskierte Männer steigen aus. Zwei tragen Kriegswaffen, halten Fahrer und Beifahrer des Geldtransporters in Schach.
Der Autofahrer sieht alles mit an. Auch auf ihn richten die Maskierten drohend ihre Sturmgewehre. Drei der Männer machen sich am schwer gepanzerten Fahrzeug zu schaffen. Mit einem Hydraulik-Spreizer, wie ihn die Feuerwehr zur Rettung von Verletzten aus Autowracks einsetzt, öffnen sie den rollenden Safe wie eine Konservenbüchse.
Dem Zeugen gelingt es, die Nummer der Polizei zu wählen. Er kommt aber erst nicht durch. Besetzt. Sogar drei Handyfotos macht er. Dabei sieht ihn einer der Kalaschnikow-Männer, er zielt drohend in seine Richtung. „Da dachte ich, jetzt hast du Mist gebaut“, erinnert sich der Grauhaarige.
Links hinter dem Zeugen sitzen auf der Anklagebank zwei dunkelhaarige, bärtige Männer, denen die Staatsanwaltschaft vorwirft, Teil der Räuberbande vom Alexanderplatz zu sein. Suphi S., 38, und Aiman S., 33. Ihnen gegenüber: Der Mitangeklagte Abdallah T., 33, der ein Tatfahrzeug und den Spreizer besorgt haben soll. Ein weiterer Verdächtiger ist namentlich bekannt, aber flüchtig. Wer die zwei weiteren Beteiligten sind, weiß die Polizei nicht. Alle drei Angeklagten werden dem näheren Umfeld einer arabischen Großfamilie zugerechnet, in deren Reihen sich zahlreiche verurteilte Straftäter befinden.
Als eine der weltgrößten Goldmünzen verschwand
Selber Tag, selbe Uhrzeit, selbes Gerichtsgebäude. Im Saal 817 müssen sich drei Angehörige des fraglichen Clans verantworten. Den Brüdern Ahmed und Wayci R. sowie ihrem Cousin Wissam R., alle Anfang 20, wird vorgeworfen, im Frühjahr 2017 eine der größten Goldmünzen der Welt aus dem berühmten Bode-Museum auf der Museumsinsel gestohlen zu haben. Die 100 Kilo schwere kanadische „Big Maple Leaf“ hatte zur Tatzeit einen Wert von 3,75 Millionen Euro. Die drei Hauptangeklagten sollen die nötigen Informationen von ihrem Kumpel Dennis W. erhalten haben, der Wachmann im Museum war.
Die vier Männer wirken wie die jüngeren Ausgaben der Verdächtigen im Geldtransporter-Prozess. Exakt gestutzte Bärte, Trainingsklamotten, teure Turnschuhe mit dicken Luftpolstersohlen. Der Prozess dauert schon seit Anfang des Jahres, Insider rechnen demnächst mit einem Urteil. Äußerlich regungslos bis demonstrativ gelangweilt verfolgen die Männer den Prozess. An ihrer Seite tippen Top-Juristen aus den feineren Anwaltskanzleien der Stadt in ihre Laptops.
Entscheidend für den Ausgang des Prozesses könnte das Gutachten eines Wissenschaftlers sein, der Überwachungsvideos von den vermummten Tätern mit modernsten biometrischen Methoden analysiert hat. Und zum Schluss gekommen ist, dass Körpermaße und Bewegungsmuster der Männer auf dem Video mit denen der Angeklagten übereinstimmen. Noch ist nicht klar, ob das Gericht das relativ neue Verfahren für ausreichend beweiskräftig hält. Die Verteidiger lehnen die Methode als „unseriös“ ab. So bleiben als Beweise winzige Partikel hochreinen Goldes aus den Taschen der Angeklagten. Laut einem Gutachter stammen sie „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Goldmünze“, die wohl längst zerteilt und eingeschmolzen ist. Ob das für eine Verurteilung reicht, ist ungewiss.
Ebenso unklar ist, wie das Gericht die Mitschnitte von Telefongesprächen des mutmaßlichen Mittäters Dennis W. wertet. Die langjährigen Beziehungen des 20-jährigen Wachmanns zum R.-Clan ließen die Ermittler hellhörig werden. Sie überwachten sein Handy. Die aufgezeichneten Gespräche legen nahe, dass der 20-Jährige nach der Tat plötzlich viel Geld zur Verfügung hatte. Einem Bekannten erzählte er von seinem Vorhaben, eine gut gehende Bäckerei zu übernehmen.
Andere Telefonate handeln von Plänen zur Anschaffung eines Luxusautos und einer teuren Halskette. In einem Gespräch klagt der Verdächtige einer Freundin aber auch sein Leid mit dem Jobcenter. Ständig bekomme er lästige Stellenangebote, doch weil er seine Termine nicht wahrnehme, wollten ihm die „Schweine“ nun die Bezüge kürzen. Dabei brauche er im Monat doch schon bis zu 2000 Euro Spritgeld für seine „Karre“.
Gesichert ist, dass die Clans schmutziges Geld gerne in Immobilien investieren. Im Juli 2018 beschlagnahmten die Behörden 77 Immobilien, die Clan-Mitgliedern gehören sollen. Die Häuser und Wohnungen haben einen Wert von gut neun Millionen Euro.
Gekauft worden sind die Liegenschaften nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft mit Geld, das aus Straftaten stammt. Unter anderem sollen Teile der 9,16 Millionen Euro aus der Plünderung einer Bank in Berlin-Mariendorf mit den Immobiliengeschäften gewaschen worden sein. Toufic R., der für die Tat zu acht Jahren Haft verurteilt worden war, ist seit 2017 Freigänger. Ein Verwandter, der Hartz IV bezog, war nach der Tat durch den Kauf von Wohnungen und Grundstücken aufgefallen. Doch ob der Griff nach dem Betongold der Clans vor Gericht Bestand hat, ist offen. Das entsprechende Gesetz zur Vermögensabschöpfung ist noch neu. Mehrere Beschuldigte und eine Firma haben Beschwerde eingelegt. In der Justiz wird mit langen gerichtlichen Auseinandersetzungen gerechnet.

Der Überfall endete mit Dauerfeuer
Seit einiger Zeit verfolgen die Behörden in Clan-Hochburgen wie Berlin oder in Ruhrgebietsstädten eine Strategie der ständigen Nadelstiche. Teils mehrmals pro Woche finden Razzien in einschlägigen Spielotheken, Spät-Kiosken oder Bordellen statt. Weil es bei solchen Einsätzen häufig zu aggressiver „Rudelbildung“ kommt, müssen ganze Hundertschaften an Polizisten ausrücken.
Die Aktionen bringen durchaus Ergebnisse – wenn sie sich auch oft bescheiden ausnehmen. Hier eine kleine Menge Kokain, die niemandem zugeordnet werden kann, dort etwas unversteuerter Wasserpfeifentabak oder ein Verstoß gegen Hygienevorschriften. Oft reichen die sichergestellten Beweise nicht für eine wasserdichte Anklage. Zeugen gibt es im Milieu so gut wie nie. Aufwändige Indizienprozesse sind die Folge. So auch in einem besonders abscheulichen Fall. 2017 wird ein 43-Jähriger in Berlin-Britz mit einem Baseballschläger totgeprügelt. Hintergrund der Tat sollen Geld- und Grundstücksgeschäfte mit dem R.-Clan sein. Eine DNA-Spur in der Hosentasche des Opfers führt zu Ismail R., einem Sohn von Clan-Chef Issa R. Doch für eine Verurteilung reicht das nicht aus.
Im Juli wird Ismail R. freigesprochen. Beim Richter bleiben Zweifel: „Die Täter verwendeten Handschuhe, die Brüder der Familie R. tauschten Kleidung. Das ist Belastendes, was die R.-Familie angeht.“ Die Staatsanwaltschaft hält R. weiter für schuldig und geht in Revision. Die Waffen eines Rechtsstaats, der auf Einsicht und Resozialisierung setzt, oft unzählige Bewährungsstrafen verhängt, bevor ein Intensivtäter ins Gefängnis muss, beeindrucken schwerkriminelle Clan-Mitglieder wenig. In ihrer Welt zählen andere Waffen.
Das Sturmgewehr vom Typ Kalaschnikow kann, auf Dauerfeuer eingestellt, bis zu 600 Schuss in der Minute abgeben. Mit dieser gefürchteten Kriegswaffe bedrohen die Geldtransport-Räuber im Oktober 2018 nicht nur Fahrer, Wachmann und den Zeugen. Als sie vom Tatort flüchten, machen sie skrupellos davon Gebrauch, feuern auf ein Polizeiauto. Ein Querschläger trifft den Motorblock. Nur eine Ladehemmung verhindert Schlimmeres. Bei der filmreifen Flucht rasen die Gangster mit bis zu hundert Sachen durch den dichten Berufsverkehr, verursachen mehrere Unfälle, streifen einen Rollerfahrer am Bein. Schließlich müssen die Täter ihre demolierten Autos mit zerfetzten Reifen stehen lassen. Sie können zunächst zu Fuß entkommen.
Zurück bleiben nicht nur die Kisten mit den sieben Millionen Euro, sondern auch DNA-Spuren der Angeklagten, die später zu den Festnahmen führen. Das Verfahren hat eben erst begonnen, es soll bis ins Frühjahr dauern. Ob die Verdächtigen schuldig gesprochen werden, könnte auch von den Beobachtungen und Handyfotos des Zeugen abhängen. Der Mann muss zahlreiche Nachfragen der Richterin und der Verteidiger beantworten. Anschließend eilt er, so rasch es geht, hinaus aus dem Gerichtsgebäude.
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Dazu lesenswert:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/solidarisierung-mit-arabischen-grossfamilien-bvv-fraktionsvorsitzender-verlaesst-neukoellner-linke/24477844.html
Einfach unglaublich was es in unserem Land alles gibt!