Hat niemand behauptet, dass sich die Dinge des Lebens die Waage halten. Anspruch und Wirklichkeit etwa, siehe die Digitalisierung im Land, der Zustand der Bahn, das Gebolze der Lieblingskicker. Oder Geist und Fleisch. Da kann der eine noch so willig sein und sich olympiareif durch die Wälder und Wiesen joggen sehen – ist das Pendant schwach und bevorzugt den Fernsehsessel, bleiben die Pfunde eben auf den Hüften.
Was uns in die Türkei führt, wo die Weltgesundheitsorganisation überdurchschnittlich viel Hüftgold entdeckt haben will. In 35 Jahren, prophezeit die WHO, könnten dort 94 Prozent der Bevölkerung zu dick sein. Präsident Recep Tayyip Erdogan, Body-Mass-Index unbekannt, scheint das schwer zu beunruhigen. Seine Regierung schickt neuerdings eine Art Übergewichts-Polizei auf die Straße. „Inspektoren“, die an jeder Straßenecke, in Parks oder an U-Bahn-Stationen stehen können und Ausschau auf – aus ihrer Sicht – zu große Pölsterchen zwischen Nacken und großem Zeh halten. Wer es versäumt hat, die Auswirkungen seines überbordenden Appetits mithilfe eines textilen Drei-Mann-Zelts zu kaschieren, wird herangewinkt, auf offener Straße gewogen und gegebenenfalls zum Gesundheitsamt geschickt, um dort Abspecktipps in Empfang zu nehmen.
Kritiker des türkischen Präsidenten Erdogan sehen in der Kampagne eine öffentliche Demütigung der Betroffenen
Die Regierung hat die Kampagne unter das fürsorglich klingende Motto „Lerne dein Gewicht kennen, lebe gesund“ gestellt. Kritiker dagegen sehen in ihr eine öffentliche Demütigung der Betroffenen. Und äußern die leise Hoffnung, dass Aktionen wie diese eines Tages das Zünglein an der Waage sein könnten bei der Frage, wie lange Erdogan noch ein politisches Schwergewicht ist.
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