Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Gastronomie: Ist Frankreichs Küche noch die beste der Welt?

Gastronomie

Ist Frankreichs Küche noch die beste der Welt?

    • |
    Kunst auf dem Teller: Derlei Kreationen werden von Sternekoch Guy Savoy aufgetischt. Der Preis für ein Menü liegt bei mehreren hundert Euro.
    Kunst auf dem Teller: Derlei Kreationen werden von Sternekoch Guy Savoy aufgetischt. Der Preis für ein Menü liegt bei mehreren hundert Euro. Foto: Restaurant Guy Savoy

    Es erscheint wie ein undankbarer Job, an diesem klirrend kalten Dezember-Tag vor dem Gebäude der französischen Münzprägeanstalt Monnaie de Paris zu stehen. Doch der junge Mann versucht, die positive Seite daran zu sehen, vielleicht auch aus einer geschäftsmäßigen Höflichkeit heraus. „Ich wärme mich an der Aussicht“, sagt er schmunzelnd. Immerhin, er blickt auf die Seine. Schräg gegenüber auf der anderen Seite der Pont Neuf, der ältesten Brücke der Stadt mit dem Namen „Neue Brücke“, ist der Louvre zu erkennen. Mehr im Herzen von Paris geht kaum. 

    Seine tiefschwarze Uniform mit dem geschwungenen Schriftzug in Gold zeichnet den Herrn als Mitarbeiter des Sternekochs Guy Savoy aus. Er ist so etwas wie der Gästewegweiser in dem historischen, 1775 erbauten Gebäude der Münzprägeanstalt, die heute nur noch einen Teil der Räumlichkeiten beansprucht. In einem anderen kocht und empfängt Savoy seit acht Jahren. Über eine Wendeltreppe aus Stein geht es hinauf bis zum eigentlichen Eingang zwischen hohen Säulen, wo sich mit Schwung eine Tür öffnet. Dahinter erscheint für einen kurzen Moment der Chef des Hauses, gekleidet in seine makellos weiße Kochuniform. „Welcome, herzlich willkommen“, ruft der 70-Jährige, die Arme ausbreitend, auf englisch und auf französisch. Dann ist er auch schon wieder verschwunden, zurück an seinem Herd. Später wird er erneut eine Runde machen, um jeden Gast einzeln zu fragen, ob es schmeckt.

    Der Preis für ein Menü liegt bei mehreren hundert Euro

    Der Preis für ein Menü liegt hier bei mehreren hundert Euro pro Person. Dafür gibt es eine kaum enden wollende Aufeinanderfolge an Speisen, darunter Artischocken-Suppe mit einer getrüffelten Brioche, Jakobsmuscheln, Hummer, französisches Bressehuhn. Als Highlight am Ende fährt ein Dessert-Wägelchen vorbei. Zum Gesamterlebnis gehört der Service der aufmerksamen Kellner, die den Gästen regelmäßig Wasser nachschenken oder mit ihnen plaudern. „Wahrer Luxus ist, wenn Sie das Gefühl haben, dass man sich ganz persönlich um Sie kümmert“, sagt Hubert, der genau dafür zuständig ist und sich als „Über“ mit Betonung auf der zweiten Silbe vorstellt; so wird sein Name auf französisch ausgesprochen. Amüsiert überträgt der gebürtige Berliner das englische Sprichwort „a moment on the lips, a lifetime on the hips“ ins Deutsche: „Einen Moment auf den Lippen, ein Leben lang auf den Rippen.“ Aber das sei natürlich nur Spaß, jede Speise ganz leicht. Was aber mitunter schwer im Magen liegt: Die Frage, ob Frankreichs Haute Cuisine – also die Hochküche – immer noch die beste der Welt ist. Denn zuletzt gab es vermehrt Stimmen, die Gegenteiliges sagten.

    War exzellentes Essen in Frankreich früher ein Selbstläufer, so müssen heute Köche ihre Gäste umgarnen, etwas Besonderes bieten. Terror-Attentate, Corona-Pandemie, Personalmangel – die Branche stand zuletzt vielen Krisen gegenüber. Um ihr etwas entgegenzusetzen, ist Einfallsreichtum gefragt. „Man entdeckt heute ein Restaurant wie ein Theaterstück, das ist ein soziales Erlebnis“, sagt Guy Savoy selbst. Der Sohn eines Gärtners und einer Gastwirtin, der südlich von Lyon aufwuchs, gehört zu den berühmtesten Spitzenköchen Frankreichs. In seiner 55 Jahre andauernden Karriere besaß er mehrere Restaurants, darunter auch in Katar und früher in Singapur. 

    Starkoch Guy Savoy hat 2023 im Guide Michelin einen seiner drei Sterne verloren. Ein Erdbeben, schrieb die Fachpresse.
    Starkoch Guy Savoy hat 2023 im Guide Michelin einen seiner drei Sterne verloren. Ein Erdbeben, schrieb die Fachpresse. Foto: Restaurant Guy Savoy, dpa

    Zum sechsten Mal in Folge erlangte sein „Restaurant Guy Savoy“ in diesem Herbst den Spitzenplatz beim Gastronomie-Ranking La Liste, das weltweit 1000 herausragende Adressen führt. Doch wenige Monate vorher verlor er überraschend einen von drei Michelin-Sternen. Ein Erdbeben, schrieb die Fachpresse – die Verluste sind oft spektakulärer als Zugewinne, denn sie betreffen bekannte Häuser. Und eine Enttäuschung für ihn selbst, wie Savoy zugibt. „Zurückgestuft zu werden macht natürlich nie Freude, aber für meinen Betrieb hatte es keine Auswirkungen, da die Leute weiterhin kommen.“ Nicht nur er habe seine Arbeit zu hinterfragen, sondern vor allem auch der Guide Michelin, fügt er spitz hinzu. Dessen Tester seien die einzigen, die nach einem Besuch bei ihm unzufrieden waren.

    Seit 1900 gibt es den heute weltberühmten Guide Michelin

    Gegründet wurde der Gastronomie- und Hotelführer im Jahr 1900 anlässlich der Weltausstellung in Paris von den Brüdern André und Édouard Michelin. Die ersten Sterne für Restaurants vergaben die Experten ab 1926. Sieben Jahre später führten sie eine landesweite Klassifizierung ein: Ein Stern zeichnet demnach „ein sehr gutes Haus“ aus, bei zwei Sternen „lohnt sich der Umweg“ für ein Gasthaus, bei drei Sternen ist es gar „eine Reise wert“. Die Tester kommen quasi inkognito wie normale Gäste und mit in die Benotung geht nicht nur das Geschmackserlebnis ein, sondern es zählen auch der Service, der Komfort, der Dekor. Wer die Michelin-Auszeichnung anstrebt, braucht deshalb oft mehr Personal. 

    2023 erhielten 29 französische Restaurants drei Sterne, 75 zwei und 526 einen – mehr als jedes andere Land. Um mit der Zeit zu gehen, wurde 2020 auch ein „grüner Stern“ für einen besonders nachhaltigen Ansatz und bereits 1977 eine Auszeichnung für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis eingeführt. Längst gibt es auch Michelin-Führer in vielen anderen Ländern. In Deutschland erhielten im April bundesweit insgesamt 334 Restaurants zwischen einem und drei Sternen. Ein Rekord.

    Stern verloren: Koch klagt gegen Guide Michelin

    Gerade in Frankreich blieb der Ruf einer „Gastronomie-Bibel“, der über der Konkurrenz thront, bestehen. Doch seit Jahren rufen manche Entscheidungen Unverständnis hervor. 2019 scheiterte der Starkoch Marc Veyrat mit einer Klage gegen den Guide Michelin nach der in seinen Augen ungerechtfertigten Herabstufung auf zwei Sterne. Verbunden mit der regelmäßigen Kritik sind auch Zweifel daran, ob Frankreich in Sachen Haute Cuisine wirklich noch Nummer eins ist. Manche Rankings stellen dies in Zweifel.

    Auf den Spitzenplätzen einer weltweiten Forbes-Rangliste befanden sich in den vergangenen Jahren Restaurants in Peru, Dänemark und Spanien. 2023 verblieben unter den Top 50 nur fünf französische Gasthäuser, das am besten bewertete lag auf Platz zehn. Für einen Aufschrei in den Medien sorgte in Frankreich auch, als es bei einer Bewertung der zehn besten Küchen der Welt von CNN Travel, der Reise-Abteilung des US-amerikanischen Senders, „nur“ auf Platz drei hinter Italien und China landete, obwohl die Jury das Land trotzdem für „seinen Glauben an die Wichtigkeit guter Ernährung“ rühmte. Bei einem Ranking des Gastronomie-Reiseführers TasteAtlas in diesem Jahr landete es abgeschlagen auf dem achten Platz – eine Schmach. Ganz neu sind die Abgesänge auf die französische Küche allerdings nicht. Bereits 2006 führte das US-amerikanische „Wall Street Journal“ eine Untersuchung in 20 Ländern durch mit dem Ergebnis, dass ihr „die Welt den Rücken kehrt“.

    Die Vokabeln der internationalen Küche sind bis heute französisch

    David Görne sieht das anders. Der Norddeutsche führt seit 2010 sein „Restaurant G.A“ im Dörfchen Caudebec-en-Cauxin in der Normandie. „Frankreichs Küche ist immer noch absolut prägend und hat gerade hinsichtlich der Soßen die Grundlagen geschaffen“, sagt Görne. Er selbst greife beim Kochen auf Gelerntes aus seiner Ausbildungszeit in Hamburg, Glücksburg und in Paris bei Alain Ducasse, einem anderen französischen Küchen-Papst, zurück. Görnes Restaurant hat seit mehreren Jahren einen Michelin-Stern. „Das ist eine schöne Belohnung für die Arbeit des ganzen Teams, aber schafft auch einen gewissen Druck“, sagt er. „Am wichtigsten ist für mich, dass die Stimmung gut ist, die Gäste zufrieden sind und wiederkommen.“

    „Frankreichs Küche ist immer noch absolut prägend und hat gerade hinsichtlich der Soßen die Grundlagen geschaffen“, sagt Sternekoch David Görne.
    „Frankreichs Küche ist immer noch absolut prägend und hat gerade hinsichtlich der Soßen die Grundlagen geschaffen“, sagt Sternekoch David Görne. Foto: Birigt Holzer

    Lässt sich ein objektives Urteil über die Kochkunst eines Landes überhaupt treffen? „Es ist sehr kompliziert, die verschiedenen Küchen der Welt einzuteilen“, sagt der TV-Restaurantkritiker François-Régis Gaudry. Bis heute herrsche ein dichtes Netz an kreativen Küchenchefs in Frankreich, das mehr als jedes andere Land die Grundlagen lege: „Viele Techniken und sogar Vokabeln der internationalen Küche sind französisch.“ Asiaten, Südamerikaner oder Amerikaner kämen immer noch zum Erlernen der Haute Cuisine an die renommierten französischen Kochschulen wie Ferrandi, Cordon Bleu oder das Institut Paul-Bocuse, benannt nach dem 2018 verstorbenen Spitzenkoch aus Lyon.

    Barack Obama speiste schon bei Guy Savoy

    „Alle Länder haben eine Küche, die vielerorts stark an Qualität gewann. Aber eine Gastronomie hat nur Frankreich“, sagt Guy Savoy. Diese ergebe sich aus der Vielfalt hochwertiger Produkte und dem historisch gewachsenen Können, diese zu verwerten. Seit jeher nutzt Frankreich dieses Können als Soft Power. „Am Tisch wird regiert“, schrieb schon der Bischof und Autor Jacques-Bénigne Bossuet im 17. Jahrhundert. 2014 speiste der damalige US-Präsident Barack Obama bei einem Besuch in der französischen Hauptstadt in Savoys zweitem Restaurant „La Chiberta“. 2018 begleitete der Chefkoch Präsident Emmanuel Macron an der Seite von Éric Kayser, Gründer einer Bäckerei-Kette, in die USA zum Staatsbesuch bei Präsident Donald Trump. Es sei normal, dass ein Land bei diplomatischen Begegnungen seine Trümpfe ziehe, sagt Savoy. „Deutschland stellt die besten Autos der Welt her, Frankreich die besten Gerichte“, resümiert er mit verschmitztem Gesicht und in seiner Stimme lässt sich nicht der leiseste Zweifel erahnen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden