Jochen Schweizer: "Ich bedarf keines Lobes. Aber Anerkennung tut gut"
Jochen Schweizer war Stuntman, Abenteurer und Juror bei der "Höhle der Löwen". Nun hat er einen Roman geschrieben und will das, was er im Leben gelernt hat, mit anderen teilen.
Herr Schweizer, wenn es ein Schlagwort gibt, das man mit Ihnen verbindet, ist es Adrenalin. Sie sind im Kajak halsbrecherische Wasserfälle hinabgefahren, Bungee aus einem Hubschrauber gesprungen. Jetzt haben Sie einen Roman geschrieben. Wie passt das denn zusammen?
Jochen Schweizer: Man erwartet das nicht von mir, weil man mit der Marke Jochen Schweizer Action und Abenteuer verbindet. Aber die Person Jochen Schweizer hat auch eine andere Seite. Und diese andere Seite entfaltet sich an meinem spirituellen Ort, auf meinem heiligen Felsen in Norwegen. Dort besitze ich eine alte Hütte. In die ziehe ich mich zurück, um mich zu zentrieren, zu sortieren. Denn erst in der Stille merkt man, wie laut es im eigenen Kopf ist.
Stille ist auch so eine Sache, die wahrscheinlich wenige Menschen auf Anhieb mit Ihnen verbinden würden.
Schweizer: Aber auch Stille ist ein Erlebnis.
Das heißt, nach dem Adrenalinrausch suchen Sie jetzt die Ruhe?
Schweizer: Ich liebe den Kontrast. Ich habe immer wieder Phasen gehabt, die sehr intensiv waren, und Phasen, die still waren. Die Dinge wechseln sich ab. Wie die vier Jahreszeiten. Wäre es immer Sommer, wäre er nichts Besonderes mehr. Ich könnte diese Leistung nicht erbringen, wenn ich mich nicht immer auch wieder zurückziehen würde.
Wie kam es zu dem Roman?
Schweizer: Das Buch ist während des Lockdowns entstanden. Wir waren extrem betroffen vom Lockdown, mussten neun Monate lang diesen großen Betrieb mit 120 Mitarbeitern stilllegen. Was deprimierend ist. Deshalb bin ich nach Norwegen geflogen, habe mich auf meine Hütte zurückgezogen. Dann kam einer der brachialen Nordwest-Stürme. Die können einem einen Vorgeschmack auf das Ende der Welt bieten. Es regnet nicht, es prasselt Wasser aus Wolkenmassen, das sich mit der See vermischt, die die Felsen hochgepresst wird. Ein graues Inferno. Deshalb konnte ich nicht schlafen. Also habe ich mich an meinen Tisch gesetzt und mir die Frage gestellt: Wenn jetzt der 15-jährige Jochen, dieser breite, langhaarige, aufmüpfige Revoluzzer, durch die Tür käme, was hätte ich ihm zu sagen? 50 Jahre später. Ich habe angefangen, die Sachen in Stichworten aufzuschreiben. Als ich fertig war, kam mir die Idee, das in Form eines Romans zu veröffentlichen. Es ist vordergründig ein Abenteuer-Roman, in dem sich ein junger und ein alter Mann treffen und über ihre Leben sprechen. Darum habe ich mehrere Charaktere konstruiert, um meine zentralen Botschaften zu vermitteln.
Was ist eine dieser Botschaften, die Sie vermitteln wollen?
Schweizer: Am Ende, wenn der junge und der alte Mann sich trennen, nimmt der Alte dem Jungen ein Versprechen ab. Er fragt: Kannst du radikal verzeihen? Radikales Verzeihen bedeutet nicht, dass es in Ordnung war, was dir angetan wurde. Radikales Verzeihen ist dein Weg aus einem emotionalen Gefängnis in die Freiheit. Die Bedeutung des Verzeihens ist eine der Kernbotschaften des Romans. Denn noch schwieriger als anderen zu verzeihen, ist es sich selbst zu verzeihen. Aber auch das ist notwendig, um emotionale Freiheit zu erlangen. Die eine Voraussetzung für physische Freiheit ist.
Wann habe Sie das selbst gelernt?
Schweizer: Das war ein weiter Weg.
Sind Sie noch unterwegs oder schon am Ziel?
Schweizer: Da, wo ich mich jeweils befinde, ist immer nur mein Ausgangspunkt. Ich bin immer unterwegs und werde nie im Ziel sein.
Die Ausgangsfrage Ihres Romans war: Was Sie Ihrem 15-jährigem Ich heute mitgeben würden. Was glauben Sie denn, was hätte der 15-jährige Jochen aus den Ratschlägen gemacht?
Schweizer: Er hätte diese Botschaften genutzt. Ich hatte in meinem Leben das Glück, auf Mentoren gestoßen zu sein, die bestimmte Eigenschaften in mir entdeckt haben und mir die Chance gegeben haben, diese zu entfalten. Eine der Botschaften in dem Buch bezieht sich auf den Kreis der helfenden Hände, an den ich fest glaube. Wenn Ihnen jemand hilft, ohne dass diese Person sich irgendeinen Vorteil davon verspricht. Dann dürfen Sie diese Hilfe annehmen, ohne sich verpflichtet zu fühlen, der Person etwas zurückzugeben. Aber Sie sind moralisch verpflichtet, eines Tages einem anderen Menschen das weiterzugeben, was Ihnen gewährt wurde. Das ist meine Lebensphilosophie.
Bei der Höhle der Löwen haben Sie junge Gründer unterstützt. Ihr Roman kann als Ratgeber gelesen werden. Sind Sie in einer Lebensphase, in der es Ihnen vor allem darum geht, das Gelernte weiterzugeben?
Schweizer: In der Mythologie der Heldenreise, wie sie der Mythenforscher Ludwig Campbell beschreibt, geht es darum, am Ende des Lebens etwas zurückzugeben. Es geht bei diesen Geschichten immer darum, den Heiligen Gral – oder etwas Vergleichbares – zu erlangen. Wer ihn aber erringt, ist verpflichtet, etwas weiterzugeben. Erst wenn er das getan hat, ist sein Weg vollständig und er darf nach einem erfüllten Leben sterben. Heutzutage ist das natürlich nicht mehr der Gral der mittelalterlichen Artus-Sage. Es sind Wissen, Einfluss, Macht, finanzielles Potenzial. Wenn man das verantwortungsvoll einsetzt, dann kann man diese Welt ein Stück besser zurücklassen, als man sie angetroffen hat.
Was ist denn Ihr persönlicher Heiliger Gral?
Schweizer: Ich habe ein sehr einfaches Modell. Mein Vater hat immer zu mir gesagt: Jochen, versuche ein anständiger Mensch zu sein. Wenn du alt bist, kannst du auf dein Leben zurückblicken und es ein zweites Mal genießen. Natürlich macht man in seinem Leben Fehler. Man ist manchmal zu wild, zu ungestüm oder zu hart. Ich bin ja auch nur ein Mensch. Ich bin am Ende des Tages dann doch nur ein einfacher Kajakfahrer. Dass mir alle diese Dinge gelungen sind, das lag auf dem Weg.
Und das versuchen Sie jetzt weiterzugeben durch Ihre Auftritte als Redner?
Schweizer: Ich empfinde wirklich Freude daran, den Menschen zu vermitteln, was ich glaube, im Leben verstanden zu haben. Es macht mir wahnsinnig Spaß, als Redner aufzutreten. Ich bekomme überragendes Feedback für meine Auftritte. Dafür mache ich das.
Das heißt, obwohl Sie schon so viel erreicht haben, sind Sie noch empfänglich für Lob?
Schweizer: Nein, aber für Anerkennung. Wissen Sie, was der Unterschied zwischen Lob und Anerkennung ist? Lob ist immer von oben nach unten, Anerkennung findet auf Augenhöhe statt. Loben Sie nie ein Kind, erkennen Sie an, wenn es etwas geleistet hat. Loben Sie nie einen Mitarbeiter, erkennen Sie an, wenn er etwas geleistet hat. Ich würde es als despektierlich empfinden, wenn mich jemand loben würde. Ich bedarf keines Lobes. Aber Anerkennung für eine Leistung tut gut.
Sie haben vorhin schon gesagt, der Lockdown hat Ihr Unternehmen hart getroffen. Wie hart?
Schweizer: Hart. Wir haben drei Mal ins Schwarze getroffen: Gastronomie, Veranstaltungswirtschaft und Tourismus waren die Branchen, die am stärksten von Corona betroffen waren. Das ist ja genau das, was wir hier in der Jochen-Schweizer-Arena machen. Wir waren neun Monate mit 120 Mitarbeitern im Lockdown.
Wie sind Sie als Unternehmen damit umgegangen?
Schweizer: Wir haben versucht, das Beste daraus zu machen, und haben viele Eventformate digitalisiert. Das heißt, wir haben digitale und hybride Events – bei denen eine Anzahl Menschen vor Ort anwesend sind und der Rest aus der ganzen Welt zugeschaltet ist – entwickelt. Das hat uns sehr geholfen. Ich glaube auch, dass dieses Format Bestand haben wird. Zwar kommt das Geschäft mit Live-Veranstaltungen jetzt zurück. Aber es gibt ein erweitertes Geschäft mit den hybriden Events. Das nehmen wir aus der Corona-Krise mit, nämlich die Fähigkeit, international zu streamen.
Das heißt: Auch aus dieser Krise konnten Sie etwas Positives ziehen?
Schweizer: Krise kommt aus dem Griechischen und heißt nichts anderes als Chance. Krise bedeutet Unsicherheit. Chancen und Unsicherheit bedingen sich aber gegenseitig. Das eine kommt nie ohne das andere. Da wo große Unsicherheit herrscht, gibt es auch immer große Chancen.
Würden Sie rückblickend sagen, Sie hätten sich andere oder mehr Unterstützung von der Politik gewünscht?
Schweizer: Natürlich hätte ich gerne mehr staatliche Unterstützung erhalten. Aber wenn Sie 1000 Unternehmer fragen, werden die Ihnen das alle so sagen. Das ist also eine rhetorische Frage. Wir haben das Beste daraus gemacht. Wir haben unseren Biergarten ausgebaut in der Zeit, haben unsere Outdoor-Anlage vergrößert, viel gebaut, viel verbessert. Und unsere Firmenkunden danken uns das jetzt mit vielen Buchungen.
Noch mal zum Abenteurer Jochen Schweizer. Was war denn das letzte Abenteuer, das Sie erlebt haben?
Schweizer: Was für einen Menschen ein Abenteuer ist, ist eine ganz individuelle Frage. Wenn mich mein Sohn mit dem Helikopter über die Jochen-Schweizer-Arena fliegt und ich mit zwei Freunden in 4000 Metern Höhe rausspringe, dann ist das für mich kein Abenteuer mehr, sondern ein schönes, aber vorhersehbares Erlebnis. Weil ich das schon tausend Mal gemacht habe. Für viele andere ist es ein Abenteuer. Immer das Neue, das Überraschende, das Außergewöhnliche empfinde ich als Abenteuer. So ein Erlebnis hatte ich letztes Jahr im Herbst. Wir wollten eigentlich in Norwegen ein Video zu meinem Roman drehen, zusammen mit meinem Freund Børge Ousland. Er ist ein Abenteurer und vielleicht der bekannteste Polarheld Norwegens. Wegen der Corona-Pandemie konnte das Video-Team nicht nach Norwegen einreisen. Aber ich war schon da. Also saß ich da mit meinem Freund und wir hatten eine Woche Zeit. Wir haben eine endlose Kajaktour durchs Nordmeer gemacht. Das war nicht geplant, es war überraschend, aber es war wunderschön, hat die Freundschaft vertieft.
Abschließende Frage: Sie werden dieses Jahr 65. Da fällt einem gleich ein Wort ein, das vermeintlich auch nicht zu Ihnen passt: Ruhestand. Haben Sie vor, in den Ruhestand zu gehen?
Schweizer: Die Ruhe ist was für die Pyramiden. Aber für einen Meteor, der abgestürzt ist und in die Atmosphäre eintritt und verglüht, für den gibt es nur diesen einen Augenblick. Denn zwischen Vergangenheit und Zukunft gibt es nur den Augenblick. Und der ist das Leben.
Man wird also weiter viel von Ihnen hören?
Schweizer: Ich weiß nicht, ob man viel von mir hören wird. Aber ich weiß, dass die Ruhe etwas für die Pyramiden ist.
Zur Person: Jochen Schweizer, 64, wuchs in Heidelberg auf und hat nach dem Abitur mit dem Motorrad Afrika durchquert. Eine Reise, von der er bis heute sagt, dass sie ihn prägt. Danach macht er sich einen Namen als Extrem-Kajakfahrer und Stuntman. Er spielte unter anderem in Willy Bogners Film "Feuer und Eis" von 1985 mit. Später gründet er sein eigenes Unternehmen und brachte das Bungee-Springen nach Deutschland. Bis heute verkauft er Gutscheine für Erlebnisse und bietet in der Jochen-Schweizer-Arena Fliegen im Windkanal oder Wellenreiten an. Von 2014 bis 2016 war er Juror bei der Höhle der Löwen. Zuletzt hat er den Roman "Die Begegnung" geschrieben. Am 11. Mail tritt er als Redner beim Rocketeer-Festival in Augsburg auf.
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Der Herr Schweizer hat als Mensch und Geschäftsmann meinen vollen Respekt. Aber warum macht die Augsburger hier Werbung ohne das so zu kennzeichnen?