Es hätte noch einmal richtig wummsen können. Eine zünftige Verfolgungsfahrt vielleicht, ein Faber-würdiger Wutausbruch, wenigstens eine Frotzelei nach dem Muster der besten Münchner Batic-und-Leitmayr-Tage. Wenn schon der letzte frische Sonntagskrimi vor der Sommerpause vor der Tür steht, und die soll sich immerhin bis Mitte September ziehen. Aber nix Wumms. Würde zugegebenermaßen auch nicht zum „Polizeiruf 110“ von der deutsch-polnischen Grenze passen, der, seit Kommissar Vincent Ross (André Kaczmarczyk) Dreh- und Angelpunkt ist, ein sehr leiser Räuber- und-Gendarm-Streifen geworden ist. Kein Vergleich zum einstigen Hassliebe-Duo Lenski/Rasczek.
Wohltuend, dass die herrliche Gisa Flake als Ermittlerin Alexandra Luschke wieder an seiner Seite ist. Die zwei könnten ungleicher nicht sein. Und doch reduziert sich die so was von offensichtliche kulturelle Reibung zwischen den beiden auf ein paar lächerlich-harmlose Neckereien. Etwa, als Sportignorant Ross („Wer ist eigentlich Lukas Podolski?“) die Fußball-Nachrichten im Autoradio abdreht und Luschke protestiert: „Es ist EM! Das ist Kultur, Ross!“ Woraufhin der eher gelangweilt als angriffslustig entgegnet: „Die Oper ist auch Kultur und muss in der Regel nicht von Hundertschaften bewacht werden.“
„Polizeiruf“ mit Ross und Luschke passt in die fußballerische Schöpfungspause – und auch nicht
Ein Mord und 90 Minuten also noch, dann sind drei Monate hitzekrimifrei. Mit anderen Worten: Das Spiel ist aus. Zumal das „Spiel gegen den Ball“, wie die Episode heißt (Sonntag, 20.15, ARD). Passt eigentlich in die derzeitige fußballerische Schöpfungspause (sieht man von der Klub-WM ab), bezieht sich aber auf die Europameisterschaft 2024. Präzise auf das verhängnisvolle Viertelfinalspiel der Deutschen gegen Spanien (Cucurella-Handspiel, kein Elfmeter – Aus!). Als die halbe Republik vor dem Fernseher klebt, wird die Chefin einer Gerüstbaufirma erschlagen, in einen Müllsack gepackt und auf dem Hänger eines Firmen-Lastwagens abgelegt. Dessen Fahrer belastet zwar einen Kollegen. Der Verdacht löst sich aber schnell in Luft auf.

Früh wird die Aufmerksamkeit auf einen benachbarten Fußballverein gelenkt. Schließlich war die Firmenchefin dort auch Klubpräsidentin – offenkundig keine sehr erfolgreiche. Also: Wer war's? Der Ex-Trainer, den die Frau gefeuert hat? Der unsichere jetzige Coach? Oder gar einer der Jugendkicker, die sich nichts mehr wünschen, als der fußballerischen und auch sonstigen Provinz zu entfliehen, und alles auf ein großes Sichtungsturnier gesetzt haben – das die Präsidentin aber kurz vor ihrem Tod absagte. Unter den Talenten ist auch ihr Sohn Marco.
Mordmotive im „Polizeiruf“ reichen für ein Hin und Her auf dem Spielfeld – aber eher viel Ballgeschiebe
Im Raum stehen jede Menge Motive: Enttäuschung, Zukunftsängste, das Outing eines homosexuellen Jugendlichen gegen seinen Willen. Das reicht für ein abwechslungsreiches Hin und Her auf dem Spielfeld. Ist aber eher viel Ballgeschiebe in der neutralen Zone. Liegt auch nicht am mangelnden Wumms. Eher am Fehlen der Raffinesse, der falschen Fährten, der wirklich ernst zu nehmenden Nebenverdächtigen. Am Ende Abpfiff nach knapp 89 Minuten, ein glanzloses 1:0 für Ross/Luschke. Und nun: Warten auf die neue Krimi-Saison.
"Ein allenfalls solider Kick-Krimi." Eine ziemlich schräge Einschätzung. Wenn der Rezensent einen "Wumms" sehen möchte, soll er sich halt irgendeine banale Mainstream-Hollywood-Produktion reinziehen, bei einem deutschen "Polizeiruf" oder "Tatort" ist er definitiv falsch! Der heutige Polzeiruf war nicht nur "solide", sondern, wie die meisten Rostocker Polizeirufe, ziemlich gut!
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