Es ist früher Nachmittag, als Louis und seine Freunde aus der Elizabeth-S-Bahn-Linie in die Kneipe „The Flying Horse“ im Londoner Stadtzentrum stolpern, ein typisch englisches Pub, hinter dessen dunkler Holztheke verschiedene Biersorten ausgeschenkt werden. Die jungen Männer tragen Masken mit dem Antlitz der Queen, lachen und bestellen sich ein paar Gläser, um auf die Eröffnung des neuen Zuges, der zu Ehren der Monarchin nach ihr benannt wurde, anzustoßen.
Ob sie das Platin-Jubiläum feiern? „Ja, sicher“, meint einer und deutet auf seinen Freund. Louis trägt eine Perücke, die an die ikonische Frisur der Monarchin erinnert, eine Krone sowie weiße Handschuhe. Er freue sich auf die Partys, sagt der 31-jährige Londoner. „Die Queen ist jedoch der Hauptgrund, warum wir feiern.“

Winken vom Balkon, Paraden und Public Viewing: Die Feierlichkeiten anlässlich des 70. Thronjubiläums von Königin Elizabeth II. gipfeln diese Woche in einem verlängerten Wochenende voller Events zu Ehren Ihrer Majestät. Schließlich bricht sie einen Rekord. Keine britische Monarchin und kein Monarch vor ihr regierte jemals so lange, nicht einmal Königin Victoria. Umfragen des Tourismusverbandes Visit England ergaben, dass 19 Millionen Menschen aus dem In- und Ausland an den Feierlichkeiten teilnehmen wollen. Für die Wirtschaft bedeute dies geschätzte Mehreinnahmen von 1,2 Milliarden Pfund – rund 1,4 Milliarden Euro.
Seit 70 Jahren sitzt die englische Queen auf dem Thron
Zu den Höhepunkten der Festlichkeiten gehört unter anderem die Fahnenparade „Trooping the Colour“ am kommenden Donnerstag. Dabei machen sich Pferde, Reiter und Militärmusizierende auf den Weg zum Horse Guards Parade, dem größten offenen Platz im Zentrum Londons. Danach wird sich die Queen aller Wahrscheinlichkeit nach im Kreise unter anderem von Thronfolger Prinz Charles, Herzogin Camilla sowie ihrem Enkel, Prinz William, und dessen Ehefrau Kate auf dem Balkon des Buckingham-Palastes zeigen, um zehntausenden Menschen zuzuwinken.
Das Interesse an den Jubiläums-Feierlichkeiten ist um den majestätischen Platz schon vor dem eigentlichen Event spürbar. Dutzende Touristen und Urlauberinnen aus dem Ausland schlendern neugierig umherblickend darüber. Die Betreiber eines zugehörigen Kiosks haben einen langen Extra-Tisch aufgestellt, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Darauf liegen unter anderem Löffel, Tassen, Tee-Selektionen und Teller, auf denen das Bild der Queen zu sehen ist.
Karen Lee, die Betreiberin des Kiosks, wurde von dem Ansturm der letzten Wochen überrascht, gibt sie zu. Aufgrund der Pandemie und wegen des Krieges in der Ukraine sei die Stimmung im Januar und Februar noch eher gedrückt gewesen. „Seit Mai sind jedoch deutlich mehr Leute unterwegs“, sagt sie. Die Menschen seien bereit, zu reisen, die Vorfreude auf das größte Event des Landes mittlerweile groß.
Zu Ehren der Queen finden viele Feiern in Großbritannien statt
Eine Antwort auf die Frage, warum man die Queen so ausgiebig feiert, hat die Royalistin schnell parat: „Sie wird sehr respektiert, teilweise geliebt. Die Menschen sehen, dass sie sehr viel gegeben hat. Sie schätzen ihr Pflichtbewusstsein.“ Lee räumt jedoch auch ein, dass viele Britinnen und Briten vor allem feiern wollen. „Alle sind nach einer entbehrungsvollen Zeit endlich wieder unterwegs und draußen. Es geht auch um die Party-Atmosphäre.“

Tatsächlich finden neben den großen Events wie dem „Service of Thanksgiving“, einer Dankesmesse zu ihren Ehren am Freitag in der St.-Paul’s-Cathedral, viele Straßenfeste und Feiern statt. Hierzu zählt unter anderem das „Big-Jubilee-Lunch“, bei dem sich Nachbarn und Freunde am Sonntag in vielen Teilen des Landes zu großen gemeinsamen Mittagessen treffen.
Unter jungen Menschen sind die Royals und die Queen umstritten
Doch nicht alle Briten und Britinnen wollen die Queen feiern. Die 30-jährige Sandra, die sich mit ihrer Freundin unweit des Buckingham-Palastes zu einem Picknick verabredet hat, reagiert auf das Platin-Jubiläum angesprochen empört. „Wieso soll ich die Monarchie feiern, während Menschen hierzulande nicht einmal die Möglichkeit haben, sich genug zu essen zu kaufen?“, fragt sie. Das Jubiläum ist für sie kein besonderer Tag. „Ich werde alles so machen wie immer.“
Vor allem junge Menschen stellen die Monarchie infrage. Warum, das hat Omid Scobie, Royal-Experte und Autor des Buches „Finding Freedom“ („Auf der Suche nach Freiheit“), erforscht. Die Kritik reiche von den Kosten, die das Königshaus verursacht, bis zum Umgang mit dem kolonialen Erbe und werde auf sozialen Plattformen wie Tik Tok geäußert, sagt er. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge wünschten sich im letzten Jahr mehr als 40 Prozent der 18- bis 24-Jährigen ein gewähltes Staatsoberhaupt, nur knapp über 30 Prozent sprachen sich für eine Fortführung der Monarchie aus.
Die englische Queen Elizabeth ist so beliebt wie nie
Auch wenn vielen Briten und Britinnen der jüngeren Generationen die Monarchie nur ein Achselzucken abringt und manche sie sogar als überflüssig ablehnen, Königin Elizabeth II. ist so beliebt wie nie. „Vor allem in den letzten 20 Jahren ist ihre Popularität immer weiter gestiegen“, erklärt die Historikerin zur britischen Geschichte der Gegenwart, Almuth Ebke, die aktuell in London forscht. Dabei sei die Queen zu einem nationalen Symbol geworden. „Das Geheimnis ihres Erfolges ist dabei, dass sie nicht viel von sich preisgibt“, sagt Ebke. Als ihrer Pflicht folgender Familienmensch, der sein Leben dem Amt gewidmet hat, stehe sie für Werte, auf die sich fast alle einigen können – auch über Großbritannien hinaus. Die Queen sei so zu einer Projektionsfläche für ganz unterschiedliche Menschen geworden.

Die Relevanz des Jubiläums wird dem Königshaus-Experten Omid Scobie zufolge auch von einer Erkenntnis genährt, die in Großbritannien kaum einer laut ausspricht: „Es wird wohl ihr letztes sein.“ Angesichts des Gesundheitszustandes und des Alters von Königin Elisabeth II. fragt sich ihr Volk außerdem, an welchen Veranstaltungen des Platin-Jubiläums sie tatsächlich teilnehmen kann. Der Royal-Kenner Rob Jobson geht davon aus, dass sie nur bei den allerwichtigsten Events auftauchen wird, darunter dem Dankgottesdienst und zwei Auftritten auf dem Balkon des Palastes. „Wie jede Person in diesem Alter hat sie eben mal gute und weniger gute Tage.“ Das sei aber nicht unbedingt ein Grund zur Sorge, betont er.
Queen Elizabeth will nicht in Rente gehen
Schon im vergangenen Jahr musste die 96-Jährige, die sonst als pflichtbewusster Workaholic gilt, viele öffentliche Auftritte absagen, zuletzt hielt sie Mitte Mai nicht einmal die „Queens Speech“, eine zeremonielle Rede zur Eröffnung des britischen Parlaments – für die Monarchin seit Jahrzehnten eigentlich ein Pflichttermin. Sie wurde von ihrem Sohn Charles vertreten, der dann, bedrückt auf die Krone neben sich blickend, die Pläne der Regierung für das kommende Jahr im Namen seiner Mutter verlas.
In Großbritannien debattierte man daraufhin darüber, dass es theoretisch denkbar sei, dass die Queen grundsätzlich ihre Aufgaben an Charles überträgt, aber im Amt bleibt. Eine solche Regentschaft gab es zuletzt vor mehr als 200 Jahren: Damals übernahm Prinz George, später König George IV., die Amtsgeschäfte von seinem Vater George III. bis zu dessen Tod 1820. Der Grund: George III. litt an einer psychischen Krankheit, die ihm das Regieren unmöglich machte. Queen Elizabeth II. nimmt im Unterschied dazu weiter ihre Pflichten wahr und habe überdies auch immer wieder betont, dass sie nicht in Rente gehen wolle, wie Buchautor Scobie in Erinnerung ruft. Daher stelle sich diese Frage aktuell nicht.

Klar ist jedoch, dass Prinz Charles eine immer zentralere Rolle innerhalb des Königreichs einnehmen wird – auch im Rahmen des Platin-Jubiläums. Es ist ein Vorgeschmack auf seine Regentschaft als König, der nicht alle Untertanen positiv entgegenblicken. Das hat laut Historikerin Ebke auch etwas damit zu tun, dass ihn viele Britinnen und Briten im Laufe der Jahrzehnte als Mensch mit politischen Ansichten und Schwächen kennengelernt hätten – im Unterschied beispielsweise zu seinem Sohn William, den sich hunderttausende Menschen in Großbritannien eher als König vorstellen können. Die Queen profitiert also davon, dass sie ihr Amt schon im Alter von 25 Jahren übernommen hat, zu einem Zeitpunkt, als sie noch nicht bereit dafür war, wie sie einst einräumte.
Neben der Frage nach ihrer Beliebtheit diskutiert man im Vereinigten Königreich auch darüber, wie man sich einmal an sie erinnern wird. Während manche davon sprechen, dass die Queen insbesondere den Abstieg des britischen Empires verwaltet habe, schlägt die Geschichtsforscherin Ebke eine andere Sichtweise vor. Das Land sei in den vergangenen Jahrzehnten demokratischer, die Gesellschaft multikultureller geworden. „Großbritannien hat sich extrem verändert, und die Queen hat diesen Wandel mitgetragen.“ Wer auch immer in dieser Diskussion recht haben mag, in den kommenden Tagen wird erst einmal gefeiert.