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Verkehr: Gurtpflicht feiert Geburtstag: Alle anschnallen, bitte!

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Gurtpflicht feiert Geburtstag: Alle anschnallen, bitte!

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    Seit 1984 wird das Fahren ohne Gurt mit einem Bußgeld geahndet.
    Seit 1984 wird das Fahren ohne Gurt mit einem Bußgeld geahndet. Foto: picture alliance / dpa

    In den wilden 1970ern, als einem Schlager zufolge „der wilde Westen gleich hinter Hamburg anfing“, herrschte auch am Autosteuer noch so eine Art Anarchie: Nicht einmal jeder zehnte Autofahrer schützte sich damals mit einem Sicherheitsgurt. Die Folgen waren dramatisch. Die Zahl der Verkehrstoten auf den Straßen stieg, denn die Autos wurden schneller, der Verkehr dichter. Die Schutzmaßnahmen indes stagnierten. Noch 1970 sagte der damalige VW-Chef Kurt Lotz in einem Interview: „Sicherheit verkauft sich schlecht.“

    Dabei war diesem Zeitpunkt längst nachgewiesen, dass es sich angeschnallt sicherer fährt. Jedes fünfte Auto war 1975 zudem schon mit modernen Automatik-Dreipunktgurten ausgerüstet. Das Thema so brisant, dass die Politik zwar 1976 eine Gurtpflicht einführte. Doch die Vorgabe gilt zunächst nur auf den vorderen Sitzen und das Nichtanschnallen wurde nicht geahndet. Die Folge: die Mehrheit der Insassen legte den Gurt nicht an. Die Gründe waren so vielfältig wie skurril.

    Dabei war der erste Gurt schon 1902 im Geschwindigkeitsrekordwagen „Baker Torpedo“ im Einsatz. Bei einem Unfall auf Staten Island, New York, am 31. Mai 1902, bei dem der Wagen in eine Zuschauergruppe raste und zwei Menschen tötete, blieben die beiden angeschnallten Insassen im zweisitzigen Baker Torpedo wie durch ein Wunder unverletzt.

    Trotz dieser frühen Erkenntnis dauerte es in Deutschland noch 72 Jahre, bis der Gurt in Neuwagen ab 1. Januar 1974 mit Einführung einer neuen europäischen Typprüfung Pflicht wurde. Viele Autofahrer weigerten sich zunächst trotzdem, sich anzuschnallen, obwohl Gurte in Deutschland bereits im Einführungsjahr laut Polizei mehr als 1500 Leben gerettet hatten.

    In Deutschland sind laut Erhebungen 98 Prozent der Autofahrer angeschnallt

    Die Einwände lesen sich aus heutiger Sicht fast wie Satire. Autofahrer fürchteten sich unter anderem vor Knickfalten im Sakko – und Frauen, dass ihr Busen platt gedrückt würde. In den 1970er-Jahren gab es einen regelrechten Glaubenskrieg um die Anschnallpflicht. Erst Jahre später hat es bei der Mehrheit sozusagen „Klick“ gemacht.

    Die Ablehnung des „Lebensretters“ hatte aber neben der „gefühlten“ Einwände auch nachvollziehbare Gründe. Denn die damals in Automobilen serienmäßig oder nachträglich montierten Gurte waren oft nur „statisch“. Das heißt, sie mussten nach Anlegen noch stramm gezogen werden, und verhinderten dadurch das Vorbeugen, etwa zum Radio oder zum Aschenbecher (denn damals wurde noch massiv geraucht).

    Die Vorstellung, sich im Auto zu fesseln, löste offensichtlich tiefsitzende Ängste aus. Eine Studie kam 1974 zu dem Ergebnis, „dass der Sicherheitsgurt primär mit den Gefahren eines Unfalls und seinen Folgen assoziiert wird und erst sekundär damit, vor diesen Gefahren zu schützen“. Deshalb gerieten die Betroffenen beim Stichwort Anschnallen „psychologisch in die Klemme“.

    Ein Teil der „Gurt-Allergiker“ hatte schlichtweg Angst, das Auto bei einem Brand nicht schnell genug verlassen zu können. Andere fürchteten, bei einem Unfall durch den Gurt selbst verletzt zu werden. Viele fühlten sich in ihrem Freiheitsgefühl grundsätzlich „gefesselt“.

    Auch juristisch war die Frage, ob ein liberaler Staat die Auto-Bürger zum Überleben zwingen soll und darf, umstritten. Ein wesentliches Argument der Gurtgegner war, dass Autofahrer einen Unfall überlebt haben, weil sie aus dem Auto herausgeschleudert wurden. Wenn demnach der Gurt in Einzelfällen eine negative Wirkung hätte, würde der Gurtzwang einen Zwang zur Selbstgefährdung bedeuten, den der Staat wegen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit nicht per Verordnung ausüben dürfte. Schwierig, schwierig.

    Erst, als das Fahren ohne Gurt ab dem 1. August 1984 mit einem Bußgeld von 40 Mark geahndet wurde, stieg die Anschnallquote – von 60 auf 90 Prozent. Inzwischen sind die Kritiker weitgehend verstummt. Und jahrzehntelang nahm die Anschnallquote zu. Zuletzt bemerkte die Polizei aber trotz eingebauter Warnsysteme in den Autos wieder eine sinkende Akzeptanz.

    Dass immer noch viel zu viele Autofahrer ohne Gurt fahren, dafür liefert eine aktuelle Polizeimeldung ein Indiz. Im März hatte die Polizei in der Region Osnabrück mehr als 400 Autos kontrolliert. Das Ergebnis war erschreckend: Etwa 200 Insassen waren nicht angeschnallt.

    Die Gründe, nicht angeschnallt Auto zu fahren, sind die gleichen wie früher, sagen Experten. Manche fühlten sich selbst durch die modernen Gurte eingeschränkt, bei vielen ist es aber offenbar Nachlässigkeit. Denn unter den Ertappten waren viele, die ältere Fahrzeuge fuhren, die kein automatisches Gurtwarnsystem hatten.

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