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75. Geburtstag: Mensch, Schröder! Der letzte Macho im Kanzleramt

75. Geburtstag

Mensch, Schröder! Der letzte Macho im Kanzleramt

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    Politrentner Gerhard Schröder mit seiner fünften Ehefrau Soyeon Schröder-Kim.
    Politrentner Gerhard Schröder mit seiner fünften Ehefrau Soyeon Schröder-Kim. Foto: Imago

    Das mit dem Elder Statesman wird dann wohl nichts mehr. Gerhard Schröder ist einfach nicht der Typ für kluge Worte aus dem Ohrensessel. Am Sonntag feiert er seinen 75. Geburtstag, aber von Altersweisheit ist er so weit entfernt, wie die SPD vom Kanzleramt. Schröder ist Schröder geblieben, auch 4884 Tage nach dem Abschied aus dem Amt seines Lebens. Mag ja sein, dass Willy Brandt oder Helmut Schmidt sich in diesem Alter nur noch wohlüberlegt ins politische Tagesgeschäft eingemischt haben – der Ex-Fußballer Schröder schießt auch im Spätherbst seines Lebens lieber mit vollem Risiko aus der zweiten Reihe. Und manchmal eben auch über das Ziel hinaus.

    Testosteron-Feuerwerk und Selbstironie: Gerhard Schröder boxt sich durch

    Gerhard Schröder am Wahlabend 2005.
    Gerhard Schröder am Wahlabend 2005. Foto: Jens Büttner Pool, dpa

    Man kann einfach keine Geschichte über das Leben dieses Mannes erzählen, ohne die beiden Szenen zu erwähnen, die ihn besser beschreiben, als jedes Porträt es je könnte. Also bringen wir es hinter uns. Die erste Szene spielt am Anfang seiner Karriere, die zweite ganz am Ende. Als junger Politiker rüttelt Schröder eines Nachts – mutmaßlich nicht mehr vollkommen nüchtern – am Zaun des Bundeskanzleramts und brüllt den legendären Satz: „Ich will da rein.“ So sagt es jedenfalls die Legende, die man gerne glauben mag. Für die zweite Szene gibt es Millionen Augenzeugen. Am Abend der Bundestagswahl 2005 verlässt er mit einem, vorsichtig ausgedrückt, irritierenden Testosteron-Feuerwerk vor laufenden Kameras die große Bühne. In der „Elefantenrunde“ mit den anderen Parteichefs holzt der Basta-Kanzler gegen alles und jeden, der ihm in die Quere kommt. Dass er gerade die Wahl verloren hat? Nebensache! Jahre später wird Schröder über diesen suboptimalen Fernsehmoment sagen: „Ist doch irgendwie auch ’ne Kultsendung, oder?“ Auch das ist Schröder: Er konnte schon immer ganz gut über sich selbst lachen.

    Warum die beiden Episoden ihn so gut beschreiben? Weil sie zeigen, dass er ein Kämpfer ist. Einer, der sich mit Ehrgeiz und notfalls auch mit Ellenbogen bis nach ganz oben durchgeboxt hat. Und weil sie zeigen, dass er einer der letzten Politiker einer Generation ist, in der Ausstrahlung wichtiger war als Lebensläufe, in der nicht jeder Satz fein säuberlich arrangiert war. Natürlich war Schröders machohaftes Gehabe im Fernsehstudio unmöglich, peinlich, unwürdig. Aber es war eben auch authentisch.

    Gerhard Schröder würde jeden Coach in den Wahnsinn treiben

    Der perfekt gecoachten Generation Christian Lindner könnte so etwas nie passieren. Einen Eklat würden die Herren (und Damen) allenfalls inszenieren, wenn ihre Kommunikations-Strategen das vorher mit ihnen einstudiert haben. Schröder hätte jeden Coach in den Wahnsinn getrieben. Und er treibt bis heute seine Parteifreunde in den Wahnsinn. Denn der Altkanzler ist auch im Alter so etwas wie eine lose Kanone geblieben. Man weiß nie genau, wann sich eine Kugel löst und wen sie trifft. Neulich erwischte es Andrea Nahles. Erst attestierte Schröder seiner Nachfolgerin an der SPD-Spitze rhetorische „Amateurfehler“. Dann sagte er auf die Frage, ob Nahles die nötige Wirtschaftskompetenz für eine Kanzlerkandidatur habe: „Ich glaube, das würde nicht mal sie selbst von sich behaupten.“

    Ein echter Schröder – aus der Hüfte, staubtrocken und maximal undiplomatisch. Seine Popularitätswerte in den eigenen Reihen gehen mit solchen Querschüssen nicht gerade durch die Decke. Auch seine demonstrative Nähe zu Kreml-Chef Wladimir Putin oder die lukrative Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender eines russischen Energie-Riesen taugen nicht als Wahlkampfhilfe für die Genossen. Doch ob die SPD ihn liebt, war für Schröder nie das maßgebliche Kriterium. „Erst das Land, dann die Partei“, sagte er einmal als Kanzler. Klang pathetisch, war aber ernst gemeint. Für seine politische Überzeugung war er letztlich sogar bereit, jene Macht aufs Spiel zu setzen, die er so sehr liebte.

    Ex-Kanzler Gerhard Schröder war immer auch eine Ich-AG

    Schröder war immer auch eine Ich-AG. Ein Mann, der macht, was er für richtig hält. Der stolz darauf ist, sich von ganz unten hochgearbeitet zu haben. Der Cohiba-Zigarren und Brioni-Anzüge bis an die Grenze zur Peinlichkeit als Statussymbole seiner persönlichen Erfolgsstory zur Schau trägt. Und so passt es irgendwie zu ihm, dass er mit seinen 75 Jahren irgendwo zwischen Politik und Boulevard pendelt. Dass er mehr Schlagzeilen mit seinem Privatleben und der fünften Ehefrau macht als mit Altersweisheiten zur Lage der Welt.

    Gerhard Schröder war stets ein Grenzgänger zwischen Bodenständigkeit und Macho-Gehabe, zwischen schnellem Pils und teurem Rotwein. Aber er ist dabei eben immer auch Mensch geblieben.

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