Herr Bosbach, vermissen Sie den politischen Betrieb?
Wolfgang Bosbach: Der Abschied fällt mir schon schwer – auch, dass ich nicht mehr unmittelbar an der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung beteiligt bin. Aber wenn ich mir die zähen Verhandlungen um eine Koalition in Berlin anschaue und sehe, wie viel Zeit und Kraft aufgewandt wird, ohne bislang greifbare Ergebnisse zu erzielen, dann tut es mir nicht leid, dass ich da nicht dabei bin.
Juckt es Sie nicht ausgerechnet in diesen kniffligen Situationen in den Fingern?
Bosbach: Ich habe mein Leben lang gerne gearbeitet. Aber ich wollte am Ende des Tages immer greifbare Ergebnisse haben. Viel zu häufig habe ich es erlebt – und in den vergangenen Jahren zunehmend –, dass man am Ende das Gefühl hat: Bewegt hast du nichts. Die vergangenen Monate waren aber durchaus interessant. Landesweit war der Eindruck entstanden, dass sich Parteien heute nicht mehr voneinander unterscheiden. Aber bei den Sondierungsgesprächen wird eben sehr wohl deutlich, dass es nicht nur marginale, sondern zum Teil fundamentale Unterschiede gibt.
Bei der SPD hat man den Eindruck, ihr Zaudern hängt weniger an Themen als an der Angst, in einer GroKo den endgültigen Todesstoß zu bekommen.
Bosbach: Wenn ich mir die schwierige Lage der SPD betrachte, bin ich von Häme meilenweit entfernt. Als Juniorpartner in einer Großen Koalition gehen die politischen Erfolge mit der Regierungschefin nach Hause. Das, was misslingt, kann man aber nicht angreifen, weil man selbst an der Regierung ist.
Also doch das Motto von FDP-Chef Christian Lindner beherzigen: Lieber nicht regieren als falsch regieren.
Bosbach: Christian Lindner hat den Konflikt nur für sich gelöst. Er wird sich überlegt haben: Was bringt der FDP mehr? In der Regierung muss er Kompromisse schließen. In der Opposition kann er jeden Tag behaupten, es ginge dem Land besser, wenn er alleine regieren würde. Dieses Phänomen haben wir ja auch bei der AfD, die sagt: Wir wollen Opposition sein. Sie will den Unmut der Bevölkerung im Parlament artikulieren. Ich warte noch immer auf den Fußballtrainer, der seinen Spielern sagt: Männer, besser nicht verteidigen als falsch verteidigen. Dieser Satz ist so was von kurios. Als ich den gehört habe, musste ich wirklich schmunzeln.
Tut Ihnen SPD-Chef Martin Schulz leid?
Bosbach: Mitleid muss man mit Martin Schulz sicherlich nicht haben. Aber er hat einen unglaublich tapferen Kampf gekämpft, den er gar nicht gewinnen konnte. Allerdings hat er sich selbst und die SPD maßlos überschätzt. Das inzwischen berühmte 100-Prozent-Ergebnis bei seiner Wahl zum Parteivorsitzenden war ein Bumerang, denn er wird immer wieder damit konfrontiert und kann nur verlieren. Martin Schulz ist furios gestartet, aber es war völlig unmöglich, diesen Höhenflug über Monate hinweg fortzusetzen. Das konnte er auch mit einer persönlichen Kraftanstrengung nicht mehr umkehren. Da kam schon Mitleid auf – aber das will Martin Schulz sicher nicht haben.
Andrea Nahles hatte beim Parteitag einen beachtlichen Auftritt. Wäre sie die bessere SPD-Vorsitzende?
Bosbach: Andrea Nahles kann SPD, sie kann die Basis begeistern, keine Frage. Aber mit ihrem Verhalten und ihrer Wortwahl in den vergangenen Monaten tut sie sich selbst und ihrer Partei keinen Gefallen. Es ist ein Unterschied, ob man eine verunsicherte Partei auf einem Parteitag mobilisieren will oder ob man Verantwortung für ein Land mit 83 Millionen Menschen anstrebt. „Ab Morgen gibt’s was auf die Fresse“, „Ätschi-Bätschi“, „Wir verhandeln, bis es quietscht“ – das ist: Kita trifft Rocker-Milieu. Das ist nicht die Sehnsucht der Menschen in diesem Land. Es unterscheidet sich auch von dem betont ruhigen und sachlichen Stil von Angela Merkel.
„Kein anderer CDU-Chef wäre erfolgreicher als Merkel“
Ist Angela Merkel noch die Richtige, um die Positionen der CDU durchzusetzen?
Bosbach: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit einem anderen Parteivorsitzenden nicht erfolgreicher verhandeln würden. Angela Merkel ist für vier Jahre angetreten und ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass sie amtsmüde ist. Die Situation ist völlig anders als in der Kanzlerdämmerung von Helmut Kohl. Damals gab es einen Kronprinzen, der hieß Wolfgang Schäuble. Wenn Sie heute in die Partei hineinhören, wer Nachfolger werden könnte, schallen Ihnen sofort zehn, zwölf Namen entgegen. Wir können aber nicht mit zwölf Parteivorsitzenden agieren. Es gibt keine unumstrittene Persönlichkeit, die aus dem Stand mit einem hohen Maß an politischer Erfahrung und Reputation die gesamte Partei hinter sich vereinigen könnte. Außer Wolfgang Schäuble – aber der fällt aus bekannten Gründen aus. Früher hatte die Union immer drei, vier Ministerpräsidenten, über die jeder gesagt hat, der könnte mal Bundeskanzler werden. Das ist heute nicht mehr so. Es werden zwar Namen genannt wie Annegret Kramp-Karrenbauer oder Volker Bouffier, aber auch von Leuten wie Friedrich Merz oder Karl-Theodor zu Guttenberg, bei denen ich aber nicht den Eindruck habe, dass sie wieder Sehnsucht nach großer Politik haben. Es macht doch gar keinen Sinn, diese Namen immer wieder zu nennen, wenn die Betroffenen selbst kein Interesse haben.
Immer wieder genannt wird der Name Jens Spahn, der die Partei zurück auf einen konservativeren Weg führen würde.
Bosbach: Da wäre ich mir nicht so sicher. Die politischen Kurskorrekturen, die die Union vorgenommen hat, wurden doch nicht mit einem Stimmverhältnis von 49 zu 51 beschlossen, sondern jeweils mit überwältigender Mehrheit. Wenn, dann müsste doch die Partei als Ganzes eine fundamentale Kurskorrektur vornehmen.
Würden Sie heute noch einmal in die CDU eintreten?
Bosbach: Noch heute Nachmittag. Ich bin vor 46 Jahren nicht aus Zufall in die CDU eingetreten, sondern aus Überzeugung. Ich käme nie auf die Idee, die CDU zu verlassen oder gar Politik gegen jene zu machen, die mich in sechs Bundestagswahlen unterstützt haben.
Sie selbst wurden immer wieder als Merkel-Kritiker bezeichnet.
Bosbach: Diese Etikettierung hat mich immer geärgert. Sie werden von mir nirgendwo etwas Negatives über die Kanzlerin finden. Mir ging es immer um die Sache, nie um die Person. Ein Beispiel ist die Flüchtlingspolitik. Ich habe immer gesagt, dass wir wissen müssen, wen wir in unser Land einreisen lassen. Das wurde mir in den Medien als Affront gegen die Kanzlerin ausgelegt.
Bei vielen Menschen kam gerade diese Haltung gut an.
Bosbach: Aus allen Umfragen wissen wir, dass 80 Prozent der Menschen Politiker doof finden. Ich sage Ihnen: 90 Prozent der Menschen freuen sich, wenn sie einem begegnen. Es ist ein Phänomen: Kaum werde ich in einem Leitartikel als Problembär der CDU bezeichnet, flattern mir zehn Einladungen ins Haus von Stadt- und Gemeindeverbänden, die mich zum Neujahrsempfang einladen.
Wie geht man als Ex-Politiker mit dem Bedeutungsverlust um?
Bosbach: Ich sage Ihnen Bescheid, sobald das eintritt. Es war ja meine freie Entscheidung, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Emotional schwieriger wäre es für mich geworden, wenn ich zwar kandidiert hätte, aber nicht mehr gewählt worden wäre. So aber habe ich endlich mehr Zeit für Dinge, die ich aufgeschoben habe. Wer mir wirklich fehlt, sind meine Mitarbeiter. Die Ehrfurcht vor meiner Sekretärin Frau Sittig wird mit jedem Tag größer. Heute muss ich alles selbst machen, wo ich früher gesagt habe: Frau Sittig, könnten Sie mal eben... Mit mir hat die wirklich viel Arbeit gehabt.
Zur Person: Wolfgang Bosbach saß 23 Jahre für die CDU im Bundestag. In Talkshows war der Rheinländer regelmäßiger Gast. Immer wieder hat er mit Kritik am Kurs seiner eigenen Partei Schlagzeilen gemacht. Vor einigen Jahren hat Bosbach, Vater von drei Töchtern, öffentlich gemacht, dass er an Krebs erkrankt ist.