Coronas fatales Comeback in Amerika: Jetzt sind auch junge Menschen betroffen
Nach frühen Impferfolgen steigen in den USA die Covid-Infektionszahlen rasant. Betroffen sind vor allem konservative Regionen, wo die Immunisierungsquote niedrig ist.
Müde fühle sie sich und "emotional ausgetrocknet", gesteht Brytney Cobia, die seit 15 Monaten Covid-Patienten behandelt. Doch am Wochenende ließ sich die Ärztin zu einem emotionalen Ausbruch hinreißen. In einem Post bei Facebook schilderte sie, was sie derzeit oft erlebt: Junge, bislang gesunde Menschen, müssen von ihr ans Beatmungsgerät angeschlossen werden: "Als letztes bitten sie, dass ich sie impfen soll. Ich nehme ihre Hand und sage, dass es mir leidtut. Aber es ist zu spät."
Joe Biden hat kürzlich die Pandemie für beendet erklärt
Am Grandview Medical Center in Birmingham, der größten Stadt des südlichen Bundesstaates Alabama, erlebt Cobia derzeit hautnah, was oft nur in abstrakten Kurven und Grafiken abgebildet wird: Drei Wochen, nachdem Präsident Joe Biden ein "dunkles Jahr der Pandemie und der Isolation" für beendet erklärt hat, erlebt die Corona-Pandemie in den USA ein fatales Comeback. Die hochansteckende Delta-Variante und die Impfverweigerung ganzer Bevölkerungs- und Landesteile lassen die Infektionsraten rasant steigen. Rund 42.000 Menschen stecken sich inzwischen täglich mit dem Virus an – fast viermal so viele wie zum Monatsbeginn. Auch die Zahl der Krankenhauseinweisungen wächst. Betroffen sind nach Erhebungen der Seuchenbehörde CDC überwiegend Menschen in konservativen Bundesstaaten mit niedriger Impfquote.
Der Virusschutz ist in den USA, wo statistisch jeder zweite Bürger vollständig immunisiert ist, höchst unterschiedlich verteilt: Während in den Neu-England-Staaten im Nordosten inzwischen mehr als 60 Prozent immunisiert sind, liegt die Quote in Arkansas, Mississippi und Alabama nur bei einem Drittel der Bevölkerung. Und während die Delta-Variante rasant voranschreitet und im Norden Utahs mittlerweile für 90 Prozent der Fälle verantwortlich ist, stockt die Kampagne: Statt mehr als drei Millionen im April werden inzwischen täglich nur noch 500.000 Spritzen gesetzt. Präsident Biden nutzt daher jede Gelegenheit, für die Impfung zu werben. Das sei "die patriotischste Sache, die Sie machen können", erklärte er am Nationalfeiertag. Für die Kampagne ließ er sich mit Teenie-Popstar Olivia Rodrigo fotografieren und schickte seine Frau Jill und seine Vizepräsidentin Kamala Harris auf Werbetour durch das Land. Doch die hartnäckigen Impfverweigerer erreichen sie nicht.
Beim rechten Sender Fox verbreiten Moderatoren falsche Behauptungen
Nicht nur in den Online-Medien wird ihre Skepsis mit wilden Verschwörungsmythen angeheizt. Auch beim rechten Sender Fox hetzen Moderatoren wie Laura Ingraham und Tucker Carlson mit falschen Behauptungen gegen die Impfung, deren Nebenwirkungen angeblich größer als ihr Nutzen ist. "Sie töten Menschen", erregte sich Biden kürzlich über ähnliche Erzählungen bei Facebook. "Es ist einfach: Wir haben eine Pandemie für die, die sich nicht impfen lassen", spitzte der Präsident nun am Mittwochabend bei einer Townhall-Veranstaltung in Ohio seine Botschaft zu.
Tatsächlich sind nach Angaben der CDC rund 97 Prozent der Menschen, die mit dem Coronavirus im Krankenhaus eingeliefert werden, und 99,5 Prozent der Covid-Toten nicht immunisiert. Schon seit Mai können Jugendliche ab zwölf Jahren in den USA geimpft werden. Biden äußerte die Hoffnung, dass "bald" auch eine Impfempfehlung für Kinder unter zwölf Jahren abgegeben werden kann. Doch der Gedanke an eine Herdenimmunisierung ist angesichts des aggressiven Vordringens der Delta-Variante in weite Ferne gerückt. Schon haben erste Regionen wie Los Angeles County das im Frühsommer aufgehobene Maskengebot in öffentlichen Räumen wieder eingeführt. Nach einem Bericht der Washington Post wird in der Biden-Regierung eine ähnliche Kehrtwende auf Bundesebene diskutiert. Der Kinderärzte-Verband fordert eine Verschärfung der amtlichen Vorschriften und eine vom Impfstatus unabhängige generelle Maskenpflicht an Schulen.
"Sie dachten, Covid wäre ein Lügenmärchen"
Für zusätzliche Besorgnis in der Bevölkerung sorgen Meldungen über sogenannte Breakthrough-Infektionen, bei denen sich Menschen trotz Impfung infiziert haben. So geriet die Protestreise texanischer Abgeordneter der Demokraten gegen die Wahlrechtsverschärfungen in ihrem Bundesstaat zum PR-Debakel: Sechs Teilnehmer wurden in Washington trotz Impfung positiv getestet. Die ganze Gruppe sitzt nun im Hotel in Quarantäne. Vorher hatte sie offenbar auch Mitarbeiter von Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi angesteckt. Doch die allermeisten solcher Infektionen von Geimpften verlaufen harmlos oder mild. Für Gesundheitsexperten und Praktiker wie Brytney Cobia ändern sie nichts am Nutzen der Immunisierung. Eindringlich ermahnt die Ärztin daher die Angehörigen von Covid-Toten im Gespräch, sich impfen zu lassen. "Sie weinen dann und sagen, dass sie das nicht wussten", schildert Cobia die traurige Realität in Alabama: "Sie dachten, Covid wäre ein Lügenmärchen."
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