
Warum Mark Zuckerberg wie ein Zauberlehrling wirkt


Mark Zuckerberg ist ein Geschöpf des Silicon Valley. Hier verdienen Internet-Unternehmer Milliarden und inszenieren sich als Heilsbringer der Menschheit.
Eine alte Weisheit sagt: Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Die neue Erfahrung in einer digitalisierten, globalisierten Welt fügt hinzu: Und nichts macht Menschen so schnell so reich, wie wenn es ihnen gelingt, sich diese Idee zu eigen zu machen.
Es geht also um eine der mächtigsten Entwicklungen der Menschheitsgeschichte – denn das Internet hat in unfassbar kurzer Zeit die Wirtschaft und die Politik verändert, Kommunikation, Freundschaften, Beziehungen, den Alltag, und wird es weiter tun.
Und es geht um einige der reichsten Menschen der Welt – denn sie stehen an der Spitze der im Internet führenden Unternehmen, die wiederum dank der Börsen ohne jede klassische Firmenwerte zu den wertvollsten der Welt gehören. Wie gut zu wissen also, dass diese Einflussreichsten doch nur das Beste für die Menschheit wollen.
Technologieunternehmen versprechen Freiheit und bessere Zukunft für alle
Sie künden jedenfalls immer von Freiheit und Offenheit, Wissen und Wahrheit, einer besseren Zukunft für alle, die Chefs der im kalifornischen Silicon Valley geballten Technologieunternehmen, wenn sie über die Produkte ihrer Firmen und ihre persönlichen Visionen sprechen.
Es geht aber um Datenmissbrauch, Wählermanipulation und die Gefährdung der Demokratie, wenn sich einer der ihren diese Woche vor der amerikanischen Politik erklären muss: Mark Zuckerberg, am Dienstag vor Vertretern des US-Senats, am Donnerstag dann vor einem Ausschuss des Repräsentantenhauses.
Der Multimilliardär und sein Facebook, über das mehr als eineinhalb Milliarden Menschen weltweit kommunizieren – an diesem aktuellen Fall zeigt sich, welche Probleme die neuen, digitalen Mächte auslösen; und in welche Konflikte mit den alten Ordnungs- und Kontrollinstanzen von Staat und Gesellschaft die Heilsvisionen ihrer Vertreter führen.
Zuckerberg wurde mit 25 Jahren der jüngste Self-Made-Milliardär
Es gibt ein eindeutiges Bild davon, wie es dieser Mark Zuckerberg dazu gebracht hat, dass er bereits 2010, also mit gerade mal 25 Jahren, der jüngste Self-Made-Milliardär der Welt war und zudem vom Time magazine als Person des Jahres auf die Titelseite gehoben wurde. Mag es auch schon Klagen gegeben und ein Hollywoodfilm namens „The Social Network“ sich kritisch auseinandergesetzt haben, wie er seine Gefährten der ersten Stunde ausgebeutet hat.
Mag er auch eine merkwürdige Figur sein, einst scheuer Nerd, ein Außenseiter, der bis heute seine obligatorische Garderobe aus Kapuzenpulli, grauem T-Shirt und Jeans identisch in je über 20-facher Ausführung besitzt, um jeden Tag das Gleiche anziehen zu können.
Mag er jeder skandalträchtigen Exaltiertheit fern wirken, ist er doch seit Studienzeiten mit derselben Frau zusammen, die inzwischen auch Mutter seiner beiden Kinder ist, und hat er doch erst spät eine für sein Vermögen relativ bescheidene Villa gekauft, aber dann immerhin gleich die vier angrenzenden Grundstücke dazu, um seine Ruhe zu haben.
Der Facebook-Chef hat die mächtigste Idee unserer Zeit erkannt
Abseits des Persönlichen bleibt: Dieser Sohn eines Zahnarztes und einer Psychologin hat die mächtigste Idee unserer Zeit erkannt und sie sich entschlossen zu eigen gemacht. An ihm wird das Prinzip erkennbar.
Sein großes Vorbild war Microsoft-Gründer Bill Gates, später tauschte er sich mit Apple-Gründer Steve Jobs beim Spazierengehen aus. Der talentierte Mark Zuckerberg wollte einer der ihren werden, eine Figur des Silicon Valley. Er studierte an der Elite-Universität Harvard, nicht von ungefähr Informatik und Psychologie, und hatte dort sein Erweckungserlebnis.
Als das Jahrbuch erstmals elektronisch erstellt werden sollte, machte ihn fassungslos, wie langsam die Umstellung passierte. Er realisierte: „Das kann ich schneller – und besser.“ Privat statt öffentlich. Der Weg von dort zum Studentennetzwerk und dann zu Facebook ist der eines Unternehmers, der sich sein „Baby“ von keinem für noch so viel Geld abspenstig machen ließ, stattdessen rechtzeitig Wettbewerber wie Instagram und WhatsApp selbst übernahm.
Wettbewerber wie Instagram und WhatsApp wurden übernommen
Und so gehört sein Facebook nun zu den großen Fünf des digitalen Zeitalters, abgekürzt „Gafam“, jedes Unternehmen für einen Zug der Vernetzungsidee stehend: G wie Google für das Suchen und Finden von allem im Netz; A wie Amazon für das globale Warenhaus, zu besuchen von der heimischen Couch aus; F wie Facebook für die Vernetzung aller Menschen auf einer Kommunikationsplattform; A wie Apple für die mobile Verfügbarkeit aller Möglichkeiten der Vernetzung; M wie Microsoft für den Aufbau des Netzes und den globalen Zugang.
Das ist das eine Bild von Zuckerbergs Weg. Zwei Bilder aber gibt es, um seine Rolle zu beschreiben.
Das eine wäre nach mythischem Vorbild die Figur des Prometheus. Dieser „Vordenker“ brachte in antiker Erzählung als Menschenfreund jenen das gegen die alles regulierenden Götter emanzipierende Feuer und erklärt in Goethes Hymnus: „Hier sitz’ ich, forme Menschen / Nach meinem Bilde …“ Das Feuer aus Silicon Valley ist das der individuellen Freiheit. Und: „Ich kenne nichts Ärmeres / Unter der Sonn’ als euch Götter! / Ihr nähret kümmerlich / Von Opfersteuern / Und Gebetshauch / Eure Majestät / Und darbtet, wären / Nicht Kinder und Bettler / Hoffnungsvolle Toren.“ Das gilt der Beschränktheit von Politik und Staaten.
Schluss mit dem Glauben an sie. In Fortsetzung seines Harvard-Erlebnisses tönte Zuckerberg, als die Obama-Regierung in den NSA-Skandal internationaler Bespitzelung geriet: „Es ist nun an uns – an uns allen – dasjenige Internet zu bauen, das wir uns wünschen. Ihr könnt auf Facebook zählen.“
99 Prozent seines Vermögens sind in eine Stiftung überführt
Und Zuckerberg ist ja nicht nur Facebook. Sein Vermögen setzt er längst in guter Silicon-Valley-Art und gemäß einer Mäzen-Tradition ein, die in den USA ja tatsächlich Kultur und Wissenschaft oft überhaupt erst ermöglicht: 99 Prozent sind in eine Stiftung überführt, er finanziert Bildungs- und Gesundheitsprojekte, ist Mit-Stifter des höchst dotierten Forscherpreises der Welt, des „Breakthrough Prize in Life Sciences“, verliehen auch schon für die direkte Eingriffe ins Erbgut ermöglichende Gen-Schere Crispr-Cas.

Tut hier also einer, der als Unternehmer freilich auch auf Wachstum und Umsatz achten muss, was er kann – und wird nun von den alten, um ihre Macht fürchtenden Göttern wie einst der mythische Prometheus zur Strafe für seine Aufmüpfigkeit bei der ersten Gelegenheit festgenagelt?
Das andere Bild für die Rolle des Mark Zuckerberg aber ist – um bei Goethe zu bleiben – die des „Zauberlehrlings“. Der, der sich vermeintlich arglos einen hübschen Zauber zunutze gemacht hat, dann aber dessen schwerwiegende Folgen unmöglich noch selbst kontrollieren kann. Klassisch: „Die ich rief, die Geister / werd ich nun nicht los.“
Die Rolle des Mark Zuckerberg gleicht Goethes Zauberlehrling
Befeuert jedenfalls konnte sich der junge Unternehmer lange nicht nur von seinen beispiellosen Vernetzungserfolgen und dem dank der Börsen astronomischen Gewinne fühlen. Auch die Medien pflegten bereitwillig das Bild eines ebenso hemdsärmeligen Nachfolgers von Steve Jobs mit seinen anfangs noch charmant ungelenken Verheißungen vom Traum, „alle Menschen zu vernetzen“.
Und wurden die sozialen Netzwerke nicht auch als Keim des Arabischen Frühlings gefeiert? Wenn Zuckerberg mit seiner Transparenz-Lust Grenzen überschritt, als Facebook etwa plötzlich die Grundeinstellung der Konten von „privat“ auf „öffentlich“ stellte und damit schlagartig alle Inhalte für alle sichtbar waren oder als durch den Zusatzdienst „Beacon“ Freunden automatisch angezeigt wurde, was Nutzer gekauft hatten – die Empörung legte sich ja schnell wieder, wie auch der zunächst nicht gerade geglückte Börsenstart in Vergessenheit geriet. Die Heilsbringer-Pose jedenfalls blieb unangetastet, Zuckerberg professionalisierte bloß sein Auftreten.
Doch die gerufenen Geister wirkten weiter. Denn der Lehrling der Zaubermeister Jobs und Gates hatte Kanäle geöffnet, die nicht nur für Kommunikation und Kommerz taugen, sondern durch die auch Inhalte fluten, die denen seiner vermeintlichen Ideale wie Freiheit, Offenheit und Wahrheit entgegengesetzt sind.

Sein Facebook wird geradezu deren Instrument – und mag Zuckerberg den Vorwurf, es bildeten sich darin Filterblasen, die den öffentlichen Diskurs regelrecht zersetzten, noch so als „lächerlich“ von sich weisen: Für „Traffic“ und also gewünschte Umsätze jedenfalls sorgen gerade auch Aufreger und Zuspitzungen. Von „Walle! walle / manche Strecke, / daß, zum Zwecke, / Wasser fließe / und mit reichem, vollem Schwalle / zu dem Bade sich ergieße.“ zu: „O du Ausgeburt der Hölle! / Soll das ganze Haus ersaufen? / Seh ich über jede Schwelle / doch schon Wasserströme laufen.“
Der Gestus, mit dem Mark Zuckerberg nun in der aktuellen Krise und wohl auch vor den US-Ausschüssen auftritt, ist dem des reuigen Zauberlehrlings nicht unähnlich. Wenn er etwa die Datenschutzrichtlinien der doch bislang als Gegner des Fortschritts ausgemachten EU jetzt lobt, wirkt es, als hieße der Überforderte den rettenden alten Meister willkommen, der einen Bannspruch kennt: die Politik.
Ähnlichkeit zum Zauberlehrling zeigt sich bei Zuckerberg in seinem Gestus
Ist die entfesselte neue Macht zu groß für ihre größten Profiteure? Kann womöglich nur noch wirken, was im Anschluss an den aus den USA stammenden und dann auch von Hollywood verfilmten Bestseller „The Circle“ des Autors Dave Eggers diskutiert wurde? Muss die politische Räume und Intimsphären zersetzende Macht des Silicon Valley etwa durch Zerschlagung der Internetriesen gestoppt werden? Dorther wirkt ja auch der Verlautbarungswettlauf auf Twitter von Milliardären wie Jack Dorsey oder die transhumanistischen Visionen des Tesla-Milliardärs Elon Musk.
In Prometheus wie Zauberlehrling scheint auf, dass die Vereinnahmung der Zukunft durch Technologieunternehmen zum staatlichen, zum international demokratischen Verteidigungsfall geworden ist. Und im Kern des Konflikts steht der Freiheitsbegriff.
Das Internet, diese mächtige Idee, zielte ja bereits bei den frühen Visionären als Revolution gegen „elitäre“ Institutionen wie Politik und Staat – hierarchiefrei, basisdemokratisch. Die, die sich die Idee zu eigen gemacht haben, aber formen eine neue, wirtschaftliche Elite. Und in derer Freiheit geht es nicht um den Bürger, sondern um den Kunden, den sie durch unbegrenzte Möglichkeiten locken.
Der Rest ist Angebot und Nachfrage, sind Gesetze des Wachstums. Und das Prinzip: Die Menschen sind halt so. Es spricht den Unternehmer frei. Die Schäden reguliert die Politik? Für eine bessere Zukunft sorgen ohnehin die Reichen? Man könnte das asoziale Marktwirtschaft nennen.
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