Der Streit um die „Müll-Kolumne“ über Polizisten zeigt, in welch polarisierenden Zeiten wir leben. Was jetzt nicht passieren darf: eine weitere Verschärfung.
Dass CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer am Sonntagabend ausgerechnet im Kampagnenblatt Bild angekündigt hat, die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah anzeigen zu wollen (wegen Volksverhetzung oder Beleidigung), muss man nicht gleich als „beschämenden Angriff auf die Pressefreiheit“ werten, wie das die linksalternative Zeitung am Montag tat. Es ist dennoch ein bedenklicher Vorgang, zeigt er doch, wie polarisiert Deutschland inzwischen ist – und wie hitzig (und ideologisch aufgeladen) über Dinge diskutiert wird, die an den wirklich dringend zu diskutierenden Problemen mitunter vorbeigehen, ja Aufmerksamkeit von ihnen abziehen.
Statt über den Klimawandel zu diskutieren, wird wochenlang über eine missglückte WDR-Satire („Oma ist ’ne alte Umweltsau“) diskutiert. Und statt die (systemischen) Ursachen von Polizeigewalt und Rassismus hierzulande zu ergründen, wird ein unsäglicher, satirisch gemeinter taz-Beitrag mit dem Titel „All cops are berufsunfähig“ in den Rang einer Staatsaffäre gehoben. Yaghoobifarah hatte über die „Abschaffung der Polizei“ fabuliert und Polizisten als neues Betätigungsfeld „die Mülldeponie“ nahegelegt. Um das klar zu sagen: Die Kolumne, wegen der die Deutsche Polizeigewerkschaft Strafanzeige erstattete, beinhaltet indiskutable Sätze. Sie hätte so nicht erscheinen dürfen (wie jener Gastbeitrag in der New York Times, in dem ein republikanischer Senator nach der Tötung eines Schwarzen durch einen Polizisten den Einsatz des Militärs bei den Protesten in den USA forderte).
Verfassungsminister Seehofer sollte auf die Selbstkontrolle der Presse vertrauen
Gerade als Verfassungsminister sollte Seehofer allerdings um die unter Druck geratene Pressefreiheit und ihren Wert wissen – und die Kolumne der Selbstkontrolle der Branche überlassen. Dem Presserat liegen hunderte Beschwerden vor; die taz hat die Kolumne in mehreren Artikeln problematisiert und sich vom Wortlaut distanziert.
Gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung wird es zudem wichtiger, Debatten zu versachlichen, nicht anzuheizen – um des gesellschaftlichen Friedens Willen. Gut also, dass sich CSU-Generalsekretär Markus Blume für „die Form“ einer Kritik entschuldigte, die auf dem Twitter-Account der Partei zu finden war: die taz-Kolumnistin, vor ein Foto der G-20-Krawalle in Hamburg 2017 montiert, mitsamt der Zeile: „SIE will Polizisten als Abfall auf Müllhalde entsorgen!“ Auf diese Weise wirft man Journalisten den Hetzern zum Fraß vor. Um das Prinzip „Auge um Auge“ darf es hier aber nicht gehen.
Wenn Blumes Parteifreund Seehofer nun davon spricht, dass eine Enthemmung der Worte unweigerlich „zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen“ führe, hat er recht. Der taz-Kolumnistin eine Schuld an der Randale in Stuttgart zu geben – wie man ihn in der Bild verstehen konnte – wäre daneben. So einfach darf es sich keiner machen. Was auch für Pauschal-Kritik am Journalismus gilt.
Die entbrannte in den letzten Jahren meist an Kommentaren, Kolumnen, satirischen Stücken, allesamt meinungsbetonte Darstellungsformen. Sie ging einher mit der Forderung, Journalismus habe „neutral“ zu sein, und mit der Umwertung des Begriffs „Haltung“. „Haltungsjournalismus“ wurde zum Schimpfwort, wo doch Journalisten selbstverständlich eine Haltung haben: Sie sind dem Grundgesetz verpflichtet.
Und die Neutralität? Völlige Neutralität im Journalismus, absolute Objektivität gibt es nicht und kann es nicht geben. Das beginnt schon mit der Auswahl dessen, über das berichtet wird. Wer absolute Objektivität populistisch einfordert, betreibt bewusst die Zersetzung der freien, grundgesetzlich geschützten Presse. Was „Lügenpresse“-Rufer ja eigentlich wollen, ist, dass ihre Ansichten unhinterfragt veröffentlicht oder bestätigt werden: Verlautbarungsjournalismus, Propaganda. Das jedoch hat mit seriösem Journalismus, zu dem wesentlich das Einordnen gehört, nichts zu tun.
Warum es völlige Neutralität im Journalismus nicht geben kann
Was Journalisten leisten können und ihr Anspruch sein muss, ist der Versuch, sich der „Wahrheit“ bestmöglich zu nähern. Das heißt nicht, dass sie unfehlbar sind, ganz und gar nicht. Ihre Fehler weiten sich bisweilen zum Systemversagen, siehe den „Fall Relotius“. Die Medienbranche hat allen Grund zu permanenter Selbstkritik und muss offen für konstruktive Kritik sein.
Im neuen Reuters Institute Digital News Survey, einer Umfrage in 40 Ländern, findet sich die Feststellung: Die Erwartung, dass Journalisten neutrale, objektive Nachrichten produzieren sollten, ist in Deutschland mit am stärksten. Dabei geht es nicht um eine Berichterstattung, in der Aussagen schlicht nebeneinander gestellt werden und als gleichrangig erscheinen. Journalisten müssen „die andere Seite“ hören – Extrempositionen müssen sie keine Plattform bieten. Nein, gemeint ist, dass sie unparteiisch berichten sollten. Und genau darin steckt ein wertvoller Hinweis, nicht nur für taz und Bild: Weniger Polemik, mehr Fakten!
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„Dabei geht es nicht um eine Berichterstattung, in der Aussagen schlicht nebeneinander gestellt werden und als gleichrangig erscheinen. Journalisten müssen „die andere Seite“ hören – Extrempositionen müssen sie keine Plattform bieten. Nein, gemeint ist, dass sie unparteiisch berichten sollten.“
Das ist ein frommer Wunsch von Herrn Wirsching, der in unserer Lebenswirklichkeit schon längst von Lautschschlägern wie Reschke oder Restle, Augstein oder Hengameh zertrümmert wurde.
Lautstark wird ein Journalismus gefordert, der parteiisch zu sein hat. Wenn das ein privates Unternehmen wie die SPIEGEL oder Springer so für sich entscheiden, dass ist da auch garnix dagegen einzuwenden. Es darf sich jeder nach Bedarf und eigenem Gusto in die Pleite eines Propaganda-Blattes schreiben. Wenn diese Forderung jedoch von Journalisten gestellt wird, deren Gehalt über einen obskuren „Rundfunkbeitrag“ finanziert wird, dann stimmt etwas nicht mehr. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk unterliegt dem Gebot der Staatsferne und der Unabhängigkeit. Hält er sich, wie in den Fällen Reschke und Restle klar sichtbar, nicht daran, ist der Vorwurf des „Staatsfunks“ und somit eines Propagandamittels nicht mehr zu entkräften.
In der Sache Hengameh ist eigentlich alles gesagt. Das Schriftzeichen aneinander Reihende zeichnet sich seit langem durch eine gossenhafte Sprache und Aufforderungen zur Gewalt aus. Umstände die im Fall Akif Pirenci zur Vernichtung der sozialen und künstlerischen Existenz des Mannes geführt haben. Dessen Katzengeschichten (!) wurden auf Druck der Haltungsjournalisten nicht mehr veröffentlicht. Aber der stand ja auch auf der „falschen“ Seite. Die Larmoyanz in Sprüchen wie: „Natürlich kannst Du alles sagen, Du musst nur mit den Konsequenzen klarkommen.“ Ist für jemanden, der so etwas schon von der StaSi gehört hat, unerträglich. Nun auch mal die linke Seite mit den Rechtsnormen zu „Hass und Hetze“ zu konfrontieren, wäre so was von an der Zeit. Aber Herr Seehofer hatte ja ein Gespräch mit Frau Merkel und schweigt nun still.
(edit/mod)
Aber wenn sich Herr Wirsching wünscht, dass ganz bestimmte Themen besprochen werden sollen, dann hat er ebenfalls sein Feld verpasst. Journalisten sollen die Themen aufspüren und nicht setzen. Sie sollen den gesellschaftlichen Diskurs begleiten und nicht anführen.
Und vor allem sollen sie auch Fakten Geltung verschaffen, die vielleicht sogar die Kraft haben, die eigene Haltung in Rauch aufgehen zu lassen. Aber sowas ist im derzeitigen Lärm beim Hackenknallen zum Haltung annehmen nicht mehr zu erwarten.
Vielleicht wäre es doch besser einen Volljuristen mit dem Amt des Innenministers zu betrauen. Seehofer sind die einschlägigen höchstrichterlichen Urteile zur Pressefreiheit und zu dem, was Satire darf und was nicht, offensichtlich unbekannt.
Zitat: "Der taz-Kolumnistin eine Schuld an der Randale in Stuttgart zu geben – wie man ihn in der Bild verstehen konnte – wäre daneben. So einfach darf es sich keiner machen. Was auch für Pauschal-Kritik am Journalismus gilt."
Dann hoffe ich jetzt, dass künftig die AZ nie wieder derAfD die Schuld an irgendwelchen Krawallen untersteltl!
Die Entrüstung Seehofers über die "taz"-Kolumne wäre glaubwürdiger, kämen in seiner CSU kritikwürdige sprachliche Entgleisungen nie vor bzw. wären sie eine große Seltenheit. Erinnert sei nur an Scheuers "fußballspielenden, ministrierenden Senegalesen, den man nie wieder los wird". Oder an Strauß, der einst Schriftsteller, Künstler, Journalisten und Intellektuelle, die nicht auf seiner Linie waren, als "Ratten und Schmeißfliegen" bezeichnete - was keinesfalls satirisch zu verstehen war und Seehofers Verein bis heute nicht daran hindert, diesen Herrn als bayerischen Nationalheiligen zu verehren.
>> Um das klar zu sagen: Die Kolumne, wegen der die Deutsche Polizeigewerkschaft Strafanzeige erstattete, beinhaltet indiskutable Sätze. Sie hätte so nicht erscheinen dürfen ... <<
Hätte, hätte, Fahrradkette - der Artikel ist aber so erschienen!
>> Was jetzt nicht passieren darf: eine weitere Verschärfung. <<
Ist das bei den Äußerungen von Frau Yaghoobifarah noch möglich?
>> Wohin also mit den über 250.000 Menschen, die dann keine Jobs mehr haben? ... Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. <<
Es gibt bei derart extremen Position keine gemeinsame Diskussionsbasis mehr. Für mich ist Frau Yaghoobifarah einfach nur ein zusätzlicher Belastungsfaktor für die Demokratie.
Die globale Antwort auf die Abwesenheit von demokratischen staatlichen Strukturen und staatlichem Gewaltmonopol durch Polizei und Justiz ist ganz einfach - Menschen nehmen sich ein Schnellfeuergewehr und gründen mit Gleichgesinnten eine Miliz. Es gibt genug Regionen auf dieser Welt ohne Polizei - warum sitzt man dann in Deutschland wenn es so schlimm ist?
Ein guter Kommentar.
Er verurteilt den TAZ-Artikel wegen indiskutabler Sätze und betont dennoch die Pressefreiheit und meint, dass die Presse mit ihren eigenen Kontrollmechanismen diesen Ausrutscher einfangen kann.
Gut so!
Raimund Kamm
Nein! Nicht gut so. Kann jeder seine eigenen Kontrollmechanismen einfach so installieren und sich der Staatsgewalt so entziehen? Das erinnert an "Vereinigungen" die ihre eigene Gesetzgebung haben.
Das ist schon sehr interessant , daß auf der linken Seite genau das Gleiche gemacht wird , was diese linke Seite ja gemeinhin den Rechten und im Speziellen der AfD vorhält :
Unaussprechliches immer wieder aussprechen , in der Öffentlichkeit sagen - damit es dann einmal gesellschaftsfähig wird !
Die Linken verbrämen das dann immer als "Satire" !!!
Kann man machen, um die wahren Intentionen zu verschleiern .
Funtioniert aber nicht immer .
(edit/mod/Kommentieren Sie bitte sachlich)