Die Bundesregierung tut, als habe sie die Gaspipeline Nordstream 2 gerettet und das Verhältnis mit den USA noch dazu. In Wahrheit leidet es – genau wie das Klima.
Rund um die umstrittene Gaspipeline Nordstream 2 ranken sich viele Mythen. Der häufigste lautet, es handele sich um ein rein privatwirtschaftliches Projekt, das mit Geopolitik und Russlands Machtambitionen natürlich gar nichts zu tun habe.
Nun, da Angela Merkel und US-Präsident Joe Biden einen „Big Deal“ zu Nordstream 2 geschlossen haben, kommt ein neuer Mythos dazu. Er geht so: Merkel hat als Verhandlerin noch einmal alles gegeben – und so für Ausgleich mit Russland gesorgt, die Interessen der Ukraine gewahrt, die deutsche Energieversorgung auf eine sichere Grundlage gestellt und Biden geholfen, die Allianz mit Deutschland strategisch neu aufzustellen.
Die Ukraine wird dadurch nicht wirklich sicherer
Auch dieser Mythos hat den Haken, den Mythen nun einmal an sich haben: Sehr wenig daran stimmt. Die Einigung sorgt vielleicht dafür, dass wir keine milliardenteure Röhren-Ruine auf dem Meeresboden bestaunen müssen. Auch können sich Washington und Berlin neuen Zielen zuwenden, etwa dem Umgang mit China. Aber: Der Konflikt mit Russland bleibt, die Ukraine ist nicht wirklich sicher vor russischen Repressalien, dem Klimaschutz erweist die Pipeline einen Bärendienst – und Joe Biden wird der „Deal“ das Handeln nicht erleichtern, sondern erschweren.
Der Reihe nach: Russland hat sich stets verbeten, ihm Geopolitik qua Energiepolitik zu unterstellen. In Wahrheit betreibt Präsident Wladimir Putin genau das. Energiepolitik ist für ihn Machtpolitik (und für sein Umfeld oft genug auch persönliche Bereicherungspolitik). Dass ein deutscher Ex-Bundeskanzler auf der Lohnliste von Gazprom steht, passt dazu bestens. Die Ukraine – dessen Grenzen Putin gerade wieder öffentlich angezweifelt hat – soll Sicherheitsgarantien und Ausgleichsfonds erhalten. Die bleiben aber höchst vage und dürften die Milliardeneinnahmen aus dem bisherigen Gastransit, der nun voll an der Ukraine vorbei läuft, kaum ersetzen. Zum Mechanismus, die Pipeline abzudrehen, wenn Russland die Ukraine zu sehr unter Druck setzt, konnte Berlin sich nicht durchringen. Das Druckmittel, dass Russland auf Gasexporte mehr angewiesen ist als wir umgekehrt auf Importe, vergab man also ziemlich leichtfertig. Entsprechend groß ist die Wut in der Ukraine und weiten Teilen Osteuropas.
Eigentlich müsste der Import von Erdgas sinken
Tatsache ist zudem: Wir brauchen diese Pipeline mittelfristig nicht wirklich. Bestehende Transportrouten hätten gereicht. Um Nordstream 2 wirklich auszulasten, müsste der Gasimport erheblich steigen. Das liegt im Interesse von Gazprom und Co., nicht aber unserem, im Gegenteil. Der Import von Erdgas müsste vielmehr gewaltig sinken, wollen wir unsere Klimaziele erreichen. Nordstream 2 wird 55 Milliarden Kubikmeter fossile Brennstoffe in den Energiekreislauf einspeisen – der sich aber, um Klimaneutralität bis 2045 zu schaffen, davon befreien muss. Die Suche nach Energie-Alternativen könnte langsamer werden, wenn die bequeme Gasröhre ja da ist.
Hilft die Einigung wenigstens unserem Verhältnis mit den USA, nach den schlimmen Trump-Jahren? Biden, der Deutschland gut kennt, will einen Neuanfang mit Berlin. Doch der wird seit Monaten von Nordstream 2 überschattet, und wird diesen weiter überschatten. Denn selbst in seiner eigenen Partei laufen einflussreiche Politiker Sturm gegen Bidens „Einknicken vor Merkel“, wie sie es nennen. Die außenpolitische Glaubwürdigkeit der neuen US-Regierung ist so daheim bereits massiv angekratzt – zumal völlig unklar bleibt, welche Gegenleistung Biden von Deutschland erwarten kann. Etwa einen härteren Kurs gegen China?
Dieser „Big Deal“ hilft also niemandem. Oh, doch: Freuen kann sich immerhin Wladimir Putin.
Die Diskussion ist geschlossen.
Lieber Herr Schmitz, natürlich ist das Fracking-Gas aus den USA das übers Meer verschifft wird viel besser fürs Klima.
Der Artikel könnte fast von einem Lobby Vertreter Polens oder der Ukraine stammen. Einnahmen ohne Eigenleistung über Gastransitgebühren erzielen und die Endkunden dürfen bezahlen. Traurig für einen Staat wie die Ukraine , die durch Eigenleistung nur wenig Steuereinnahmen erzielt. Namhafte Hersteller wie Antonow gingen praktisch nach dem Maidan unter. Schon vor dem Maidan flossen die Gastransiteinnahmen in den Steuertopf oder als "Vermittlergebühren" in private Hände. In die heute marode Gaspipeline Infrastruktur wurde bzw wird hingegen Nichts reinvestiert. Selbst Schuld für die heutige missliche wirtschaftliche Lage.
Sehr geehrter Herr Schmitz
Ihr Kommentar liest sich, als hätte ihn ein Mitglied der Atlantikbrücke geschrieben, oder?
Warum wird immer der Auslöser für den Bau von Nordstream2 „vergessen“?
Als die Ukraine ihre Rechnungen an Russland nicht gezahlt hat, hat Russland die Gaslieferung an die Ukraine eingestellt und nur noch die in Polen und Deutschland bestellten Mengen eingespeist. Die kamen dort aber nie an, weil die Ukraine Gas gestohlen hatte.
Mit dem Bau der Ostsee-Pipeline wurde die Zahl möglicher Erpresser auf das maximale Minimum reduziert. Wer in Deutschland will den seine Gaslieferung vom Wohlwollen der polnischen Regierung abhängig machen?
Und Gas werden wir noch sehr lange benötigen, da im Winter unsere Wohnungen irgendwie geheizt werden müssen. Und komme jetzt keiner und erkläre, dass er das auch noch mit Strom machen will. Den gibt es ja zukünftig, als Folge der Umkehr von einer Nachfrage- zu einer Angebotsorientierten Stromerzeugung nur noch temporär.
In Summe verkauft Putins Russland also nicht mehr Gas als vorher. Deutschland sichert aber seinen existenziellen Bedarf an Erdgas ohne sich in Abhängigkeit von Transitländern zu begeben. Am Ende wird der Trassenpreis wahrscheinlich günstiger.
Also: Der eigentliche Profiteur von Nordstream2 ist Deutschland. Wir brauchen diese Pipeline.
Die Frage ist doch eigentlich: was geht das Ganze die USA an? Die Antwort ist ebenso einfach: die wollen halt ihr Gas verkaufen.
Ihre Antwort ist sicher richtig. Aber wahrscheinlich nur Teil des Ganzen. Erinner Sie sich an Frau „Fuck the EU“-Noland? Die Ukraine-Beraterin aus dem Hause Clinton? Die USA wissen, dass konstruktive politische und ökonomische Beziehungen zwischen Russland und der EU zu einem, den imperialen Machtanspruch der USA gefährdende politischen und kulturellen Block führen können. Den wollen sie spalten. Nur aus diesem Grund gibt es den Ukraine-Konflikt. Und würde es in der EU Außenpolitiker mit klarem Verstand geben, hätten sie die in den 90gern ausgestreckte Hand Putins nicht mit maximaler Arroganz ausgeschlagen
Natürlich stecken auch handfeste politische Interessen dahinter. Denken wir auch mal an die Versorgungssicherheit mit Energie - dann ist Russland sicherlich nicht der unzuverlässigste Partner.,
Sehr geehrter Herr Schmitz
Sie und alle die dieses Projekt kritisieren, blenden mit auffallender Ignoranz den Auslöser des Ganzen aus. Das war der Moment, zu dem die Ukraine ihre Rechnung an Russland nicht mehr bezahlen konnte und trotzdem das Gas abzweigte. Damit kam in Deutschland nicht mehr die bestellte Menge an. Es hat sich gezeigt, dass Deutschland nicht nur vom Lieferanten Russland, sondern von jeder irren Regierung, und wollen Sie bestreiten das die polnische Regierung zum Irrsinn neigt, eines Transitlandes erpressbar ist. Die Zahl der potenziellen Erpresser wird mit dieser Pipeline auf das maximale Minimum reduziert. Und Russland/Sowjetunion haben die Rohstofflieferungen noch nicht mal zu den frostigsten Zeiten des kalten Krieges als Waffe benutzt.
Und Gas werden wir noch sehr lange benötigen. Wer aus Atom und Kohle aussteigt, muss erklären, wie im Winter die Wohnungen geheizt werden. Und wer das dann auch noch mit Strom machen will, muss erklären wie er das absichern will - wo uns doch die Apologeten der „Energiewende“ gerade erklären, dass das auch einen Wechsel von der Nachfrage- zur Angebotsorientierten Stromerzeugung bedeutet. Oder mit einfach Worten, Strom kommt nur aus der Steckdose, wenn der Wind weht, ansonsten bleibt der Kühlschrank warm und die Elektroheizung kalt.
Und vielleicht könnte man doch mal darüber nachdenken, dass im aktuellen Ränkespiel der imperialen Mächte eine Entspannung zwischen der EU und Russland für den Frieden in der Ukraine und der Entwicklung der EI nicht förderlicher ist, als weiter den USA blind hinterherzudackeln.