Wenn unsere östlichen Nachbarn am 28. Juni 2020 ihren Präsidenten wählen, wird dies zum Höhepunkt eines langen anti-demokratischen Schauspiels.
Wenn die Polen am kommenden Wochenende ihren Präsidenten wählen, schaut Europa mit Sorge gen Osten: Schon im Vorfeld kann diese Wahl kaum als frei und fair bezeichnet werden. Im Angesicht der Corona-Pandemie hat die rechtsnationale PiS-Regierung ("Recht und Gerechtigkeit") gleich reihenweise die demokratischen Spielregeln und die Verfassung gebrochen. Es begann mit dem Versuch, die für den 10. Mai terminierte Abstimmung unter allen Umständen durchzuziehen. Die unverhohlene Begründung lautete: Der eigene Kandidat, Amtsinhaber Andrzej Duda, würde bei einem späteren Termin wegen des drohenden Wirtschaftseinbruches schlechtere Chancen haben. Dass die Opposition im April wegen der Kontaktbeschränkungen keinen echten Wahlkampf führen konnte, machte die Sache aus PiS-Sicht nur besser. Denn zur selben Zeit konnte sich Duda als Corona-Krisenmanager profilieren.
In dieser Lage versuchte die Regierung, eine reine Briefwahl durchzusetzen. Das war im Grundsatz legitim. Genau so wurde zum Beispiel fast zeitgleich bei den Kommunalwahlen in Bayern verfahren. In Polen aber gab es ein solches System bislang nicht oder nur in einem sehr begrenzten Umfang, nämlich für Menschen mit Behinderung. Die Verfassung wiederum verbietet alle kurzfristigen Regeländerungen vor einer Wahl. Die PiS ging über diese Vorgaben hinweg, als wären das geltende Wahlrecht und die Verfassung nicht Eckfeiler, sondern bestenfalls Deko-Stützen der Demokratie.
Die PiS regelt vieles im Hinterzimmer
Als der öffentliche Unmut über die „Corona-Wahl“ dann aber wuchs, nahmen auch die Bedenken in den Reihen des Regierungsblocks zu. Am Ende entschied man sich im PiS-Hinterzimmer für ein absurdes Theater: Man sagte den anberaumten Termin nicht ab. Da aber eine Organisation der Abstimmung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich war, gab es eine Geisterwahl, die anschließend von den Behörden für ungültig erklärt werden musste. Die Verfassungsorgane hatten bei all dem kein Wort mitzureden. Ein weiterer antidemokratischer Offenbarungseid.
Die Opposition machte zwar böse Miene zum bösen Spiel – spielte aber mit. Bis jetzt. Nun hat sich das linksliberale und gemäßigt-konservative Lager zusammengerauft und kann einen ersten Achtungserfolg vorweisen. Innerhalb weniger Tage gelang es dem liberalen Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski, mehr als anderthalb Millionen Unterschriften für seine Kandidatur zu sammeln.
Würde die PiS tatsächlich den Präsidentenpalast räumen?
Viel spricht derzeit dafür, dass Trzaskowski und Duda in eine Stichwahl einziehen werden. Sollte es trotz aller Ungerechtigkeiten und Gesetzlosigkeiten der vergangenen Monate also doch noch ein echtes (wenn auch nicht faires) Wahlduell geben, wäre das ein Hoffnungsschimmer für die polnische Demokratie. Offen ist allerdings die Frage, was passiert, wenn Trzaskowski eine Stichwahl gegen Duda tatsächlich gewinnen sollte, was angesichts der aktuellen Umfragewerte durchaus denkbar ist. Wie würde dann die PiS reagieren?
Die Partei von Jaroslaw Kaczynski hat zuletzt überdeutlich demonstriert, in welch unerträglichem Ausmaß sie zu Machtmissbrauch bereit ist, um ihren eigenen Einfluss zu zementieren. Würde sie also einen Sieg der Opposition überhaupt akzeptieren? Bis zum Beginn der Corona-Pandemie hatten daran selbst eingefleischte PiS-Kritiker kaum Zweifel. Inzwischen sieht das anders aus. Man wird deshalb sehr genau hinsehen müssen, was da in Polen am Wahltag und danach passiert. Es ist das erste Mal seit 1989/90, dass eine internationale Wahlbeobachtung in Polen mehr ist als eine Formsache. Das ist eine bittere Erkenntnis.
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