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Kommentar: Es geht auch ohne Wehrpflicht

Kommentar

Es geht auch ohne Wehrpflicht

Rudi Wais
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    Händeringend gesucht: Soldaten für die Bundeswehr.
    Händeringend gesucht: Soldaten für die Bundeswehr. Foto: Frank May, dpa

    Halb zog man ihn, halb sank er hin. Wäre er selbst Kanzler – Boris Pistorius würde nicht zögern und die Wehrpflicht in abgespeckter Form wieder einführen. Gegen eine Koalition, die das eher skeptisch sieht, und einen Regierungschef, der ihn auf Abstand hält, ist allerdings auch der ambitionierteste Verteidigungsminister machtlos. Deshalb versucht Pistorius nun, die Lücken von mehr als 20.000 Mann bei der Bundeswehr und noch deutlich mehr in der Einsatzreserve für den Fall der Fälle mit Freiwilligen zu schließen. Junge Männer will er zwar dazu verpflichten, in einem Fragebogen Auskunft über ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit zum Dienst zu geben und sich bei Bedarf auch mustern zu lassen. Eine Pflicht zum Dienst aber leitet sich daraus noch nicht ab.

    Niedriges Gehalt, dafür Versetzungen und Lehrgänge: Die Bundeswehr ist noch kein attraktiver Arbeitgeber

    Mag er selbst als Befürworter der Wehrpflicht das auch als unbefriedigenden Kompromiss empfinden: In der Sache ist sein Modell vernünftig. Eine moderne Armee ist nicht zwangsläufig eine möglichst große, sondern eine möglichst fähige. In einem Eurofighter, zum Beispiel, sind 27 Kilometer Kabel und Dutzende von Computern verbaut. Um solche Flugzeuge in Schuss zu halten, um der wachsenden Bedrohung im Cyberraum zu begegnen oder einen mit anderen Fahrzeugen und Einheiten vernetzten Panzer der neuesten Generation in ein Gefecht zu steuern, braucht die Bundeswehr Spezialisten. Darauf zu vertrauen, diese wie früher aus einem Heer von Wehrpflichtigen rekrutieren zu können, wäre naiv. Je anspruchsvoller die Aufgaben, desto größer der Wettbewerb um die besten Köpfe – und in diesem Wettbewerb muss die Bundeswehr heute vor allem eines sein: ein attraktiver Arbeitgeber für Informatiker, Elektroniker oder vergleichbare technische Berufe. 

    Muss Lücken bei der Bundeswehr schließen: Verteidigungsminister Boris Pistorius.
    Muss Lücken bei der Bundeswehr schließen: Verteidigungsminister Boris Pistorius. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Genau das ist sie bisher (noch) nicht. Gehälter von überschaubarer Höhe, ständige Versetzungen und ein insgesamt wenig familienfreundliches Umfeld: Wer im Zweifel sein Leben für sein Land riskieren soll, wird sich so kaum anlocken lassen. Im Gegenteil. Ursula von der Leyen hat das erkannt, als sie 2013 Verteidigungsministerin wurde und versprach, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber der Republik zu machen, mit Kindergärten in den Kasernen und Teilzeitstellen auch für Soldaten.

    Den plakativen Slogan „Wir. Dienen. Deutschland.“ aber hat auch sie nicht mit höheren Gehältern und besseren Arbeitsbedingungen unterfüttert. Umso größer ist der Druck nun auf Pistorius, der die Truppe mitten in einer der größten sicherheitspolitischen Krisen in Europa runderneuern und aufstocken muss. Professionalität und Flexibilität statt Mangelwirtschaft und Lethargie: Auch das gehört zur der Zeitenwende, die der Kanzler ausgerufen hat.

    Wehrpflicht in Deutschland? Es gibt keine Mehrheit für eine Verfassungsänderung

    Gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht, und sei es in einer Version „light“, sprechen allerdings auch noch andere Gründe – von den fehlenden Mehrheiten im Bundestag bis zur fehlenden Fairness. Ausgesetzt wurde die Wehrpflicht ja 2011 nicht nur, weil die Zeiten so friedlich schienen und die Bundeswehr so teuer war, sondern weil schon damals nur noch ein Bruchteil eines Jahrgangs überhaupt eingezogen wurde – ein klarer Verstoß gegen das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Wehrgerechtigkeit.

    In diese Falle würde auch Pistorius mit einer neuen Wehrpflicht tappen, weil er „nur“ etwas mehr als 20.000 Posten in der Truppe zu besetzten hat, aber etwa 400.000 potenziell einzuziehende junge Männer pro Jahrgang. Kriegstüchtig kann die Bundeswehr auch mit Freiwilligen werden. 

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