Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union blicken mit großen Erwartungen auf einen neuen Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Auch viele Spitzenbeamte und Diplomaten in Brüssel setzen darauf, dass Deutschland wieder eine Führungsrolle in der Gemeinschaft übernimmt. Es sei wichtig, dass Merz „mit einem kooperativen Ansatz auftritt“, sagt etwa der Partei- und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber unserer Redaktion. Der EVP gehören Europas christdemokratische Parteien an, darunter CDU und CSU aus Deutschland. Als „erste Riesenaufgabe“ für Merz wertet Weber die Beziehungen zu den USA. Merz müsse Wege finden, das transatlantische Verhältnis zu Präsident Donald Trump zu verbessern, so Weber, der auch CSU-Vizechef ist. Merz soll am Dienstag in Berlin zum Kanzler gewählt werden.
Einen ersten Vorgeschmack auf seine europäischen Ambitionen hatte Merz bereits vergangene Woche beim EVP-Kongress im spanischen Valencia präsentiert. Bei seinem Auftritt lieferte der Deutsche, was seine europäischen Kollegen von ihm hören wollten. Sie würden „die größten Unterstützer der EU bekommen, die ihr jemals erlebt habt“, sagte Merz und versprach „mehr deutsche Führung“.
Bei den EU-Partnern ist der Frust groß
Genau das hatten viele in den vergangene Jahren bei Olaf Scholz vermisst. Merz’ Vorgänger im Kanzleramt habe europäische Themen nicht mit der nötigen Priorität behandelt, lautete die Kritik. Hinzu kommt die Erinnerung an das „German Vote“. So bezeichnen Diplomaten das Phänomen der Unentschlossenheit in der Runde der 27 EU-Länder. Deutschland verhandelte oft lange über neue EU-Gesetze, nur um sich dann am Ende bei der Abstimmung zu enthalten, weil SPD, FDP und Grüne zu Hause keine gemeinsame Position fanden und Scholz kein Machtwort sprach. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich Deutschland bereits unter Kanzlerin Angela Merkel mehrfach enthalten musste, weil die Ressorts in Sachfragen uneins waren.
Entsprechend groß ist der Frust der EU-Partner. Die neue Bundesregierung müsse „diese massive Schwächung deutscher Interessen in der EU“ umkehren und „zusammen mit Frankreich und Polen wieder Führung im Rat (dem Gremium der EU-Mitgliedstaaten) übernehmen“, sagt René Repasi, Chef der deutschen SPD-Gruppe im Europaparlament.
Friedrich Merz hat bereits Zeichen gesetzt
Merz hatte bereits Zeichen in diese Richtung gesetzt, als er Brüssel zum Ziel seiner ersten Auslandsreise als CDU-Chef wählte. Andererseits gibt es in Brüssel Kritik an seinen im Wahlkampf geäußerten Plänen für eine restriktive Migrationspolitik, da diese zumindest teilweise nicht mit europäischem Recht vereinbar seien.
Hinzu kommt die Frage, wie sich der Kanzler beim traditionell größten Streitpunkt der Gemeinschaft positionieren wird: beim Geld. Um einen europäischen Topf für Verteidigungsausgaben zu schaffen, setzt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Merz’ Parteifreundin, auf gemeinsame europäische Schulden – wie zuletzt bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Frankreich, Spanien und Italien, also Länder mit ohnehin hohem Schuldenstand, unterstützten das. Der sogenannte Klub der Sparsamen, bisher unter anderem angeführt von Deutschland, hält davon wenig. Bis jetzt. Denn auch in Brüssel wurde registriert, wie schnell sich Merz innenpolitisch von der deutschen Schuldenbremse verabschiedete, um höhere Verteidigungsausgaben zu ermöglichen. Auch das bereits vor Merz’ Regierungsantritt beschlossene Sondervermögen zur Infrastruktur nährt die Hoffnung auf eine Politikwende auch in der EU.
Unabhängig von der aktuellen "Klatsche" - ein neuer Bundeskanzler sollte in den ersten Tagen nicht, wie es sich einbürgerte, seinen Reisekostentitel überstrapazieren sondern erst mal im eigenen Haus, sprich Deutschland, für Ordnung und Richtungsweisung sorgen.
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