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Streitthema Sprache: Warum das Gendern die Gretchenfrage von heute ist

Foto: Marijan Murat, dpa

Um keine sprachliche Veränderung wird heftiger gerungen als um das Gendern. Warum es dabei um mehr geht als nur ums Binnen-I und andere grammatikalische Feinheiten.

Es ist ja nicht so, dass es der Welt gerade an Streitthemen mangeln würde. Klimawandel, Wirtschaftsflaute, Schuldenbremse, Energiepreise, Krieg in der Ukraine, Pulverfass Nahost, AfD. Doch wer eine Gruppe von Menschen innerhalb von Sekunden zum Explodieren bringen will, braucht dafür nur ein einziges Wort: Gendern. Um keine Sprachveränderung wird so leidenschaftlich gerungen wie über Gendersternchen, Binnen-I und Sprechpause. Gegner echauffieren sich über eine Sprachverhunzung und befürchten den Aufmarsch einer Moralpolizei. Befürworter glauben, dass ohne eine gerechte Sprache auch sonst keine Geschlechtergerechtigkeit herrschen kann. Sprache wird so zu einem ideologischen Kampfplatz. Geführt wird die Schlacht in Hörsälen wie in Bierzelten. Längst geht es nicht mehr (ausschließlich) um linguistische Feinheiten, sondern um Grundsätzliches. Die Gretchenfrage der Moderne lautet: Wie hältst du's mit dem Gendern? Oder, auch das frei nach Goethe: Sag mir, ob du genderst, und ich sage dir, wer du bist. 

Am Ufer des Bodensees breitet sich das Städtchen Allensbach aus. Gut 7000 Einwohner leben hier am südwestlichen Zipfel Deutschlands. Wohlstand prägt die Region. Bekannt wurde der Ort vor allem durch das Institut für Demoskopie (IfD). 1948 von Elisabeth Noelle-Neumann gegründet, zählt es noch heute zu den renommiertesten Meinungsforschungseinrichtungen des Landes. Nichts anderes als den Puls der Deutschen fühlen sie hier. Und der schlägt in der Frage nach dem Gendern ziemlich schnell: 71 Prozent der Deutschen lehnen es ab – sie halten es sogar für übertrieben, aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit stets sowohl die männliche als auch die weibliche Form eines Wortes zu nennen.

71 Prozent

der Deutschen Lehnen gendergerechte Sprache ab.

„Die große Mehrheit der Bevölkerung hat akademische Verhaltensregeln wie das Gendern und die Frage, was man sagen darf und was man nicht sagen darf, satt“, sagt Meinungsforscher Thomas Petersen. Und das gehe quer durch alle Altersgruppen, quer durch die politischen Lager – noch nicht einmal das Geschlecht spiele eine entscheidende Rolle. Frauen sind immerhin zu 65 Prozent gegen das Gendern (Männer 77 Prozent). Sogar 65 Prozent der Grünen-Anhänger fremdelten mit dem Thema. Petersen ordnet die sprachlichen Volten vor allem einem universitären Milieu zu: „Das findet ohne großen Kontakt zu einem Großteil der Bevölkerung statt, der großen Mehrheit sind diese Regeln nicht zugänglich.“

Der Genderstern kommt im Alltag kaum vor

Umgekehrt heißt das aber doch auch: Wenn eine überwältigende Mehrheit der Menschen im Land das Gendern ablehnt, dürfte diese Form des Sprechens im Alltag doch ohnehin kaum eine Rolle spielen. Beim Bäcker, beim Arzt, in privaten Unterhaltungen: Das gesprochene oder geschriebene Gendersternchen findet man tatsächlich kaum – es führt ein eher einsames Nischendasein. Wozu also all die Aufregung? Warum treibt die Politik das Thema trotzdem mit so großer Verve vor sich her? Bayern hat das Gendern an Schulen und in Behörden nun sogar verboten. „Ich glaube, dass das Gendern unsere Gesellschaft eher spaltet als alles andere“, begründet Ministerpräsident Markus Söder seinen Plan. In Hessen gab es ähnliche Vorstöße. Ein Heidelberger Rechtsanwalt, Klaus Hekking, CDU-Mitglied, ärgerte sich so sehr über die Sternchen, dass er ein Volksbegehren startete und 14.500 Unterschriften sammelte. Der baden-württembergische Grünen-Politiker Oliver Hildenbrand hält dagegen: „Es sind die Gegner*innen einer geschlechtergerechten Sprache, die ständig über das Gendern reden wollen.“ Sabine Krome, Geschäftsführerin des Rats für deutsche Rechtschreibung, warnt: „Hier wird ein gesellschaftliches Problem auf dem Rücken der deutschen Rechtschreibung ausgetragen.“ 

Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen

Wer gendergerechte Sprache hört, glaubt zwischen den Zeilen zu erkennen: Du darfst kein Schnitzel mehr essen! Du darfst keinen Diesel mehr fahren! Du darfst nicht mehr in den Urlaub fliegen! Du und das Leben, das du lebst, sind nicht mehr richtig!

„Tatsächlich regt das Thema viele Menschen deshalb so auf, weil sich natürlich viel mehr dahinter verbirgt“, sagt Petersen. „Es geht nicht um das Gendersternchen, sondern um das, wofür es steht.“ Vergleichen lasse sich das etwa mit der Aufregung über die Frisuren der Beatles in den 60er-Jahren. „Die Leute haben sich damals aufgeregt, als gehe es um den Untergang des Abendlandes“, sagt der Forscher. „Die Bevölkerung witterte, dass mehr dahintersteckte.“ Auch damals sei es weniger um Mode und Ästhetik gegangen, sondern vielmehr um das, was die Pilzköpfe aussagen. „Es war offensichtlich, dass gesellschaftlich etwas in Gang gesetzt wurde, dass ein Machtkampf um die Werte in der Gesellschaft seinen Anfang nahm. Die Frisuren waren ein sichtbares Zeichen dafür – auch wenn sie für sich genommen, banal sind.“ 

Doch anders als heute das Gendern, so glaubt Petersen, habe der Wunsch nach einem Wandel damals schnell breite Teile der Gesellschaft erfasst. Die 68er-Bewegung wurde zum Aufstand gegen starre Strukturen und rigide Moralvorstellungen. Hinzu kam der Wunsch nach einer Abrechnung mit den alten Nazi-Eliten, für die die Generation der Väter und Großväter stand. 

"Am Ende nichts anderes als Machtausübung."

Meinungsforscher Thomas Petersen


Auch beim Gendern gehe es keineswegs nur um Sprache, sondern darum, eigene Wertvorstellungen durchzusetzen. „Und wenn ich versuche, anderen Leuten zu diktieren, wie sie sich verhalten sollen, ist das am Ende nichts anderes als Machtausübung“, sagt der Forscher. „Wer die Sprache beherrscht, hat die Deutungshoheit. Es geht nicht um Sternchen und Binnen-I, sondern um den Anspruch, anderen vorzuschreiben, wie sie zu denken haben.“ 

Die Macht der Sprache

Sprachkämpfe waren schon immer Glaubens- und Machtkämpfe. NS-Propagandaminister Joseph Goebbels versuchte, durch Sprachregeln die Politik der Nationalsozialisten in den Alltag der Menschen einzuschleichen. Behinderte Kinder wurden zu „unwertem Leben“, mit dem Ruf „Sieg Heil“ wurde Hitler geradezu sakral überhöht. Nach 1933 erscheinen eigens verfasste Wörterbücher, aber auch besehende Lexika wurden umgearbeitet. „Die Formulierungen katholisches Volk, Kirchenvolk, evangelisches Volk sind unbedingt zu vermeiden. Es gibt nur ein deutsches Volk“, lautete eine Anweisung. Gegner wurden durch Worte wie „Schädlinge“ oder „Parasiten“ bewusst entmenschlicht. 

In der DDR bemühte sich die kommunistische Regierung, Worte zu finden, die bewusst vom Westen abgrenzen sollten: Polylux statt Overheadprojektor, Kaufhalle statt Supermarkt, Werktätiger statt Arbeitnehmer. Als Zeichen der Freundschaft mit Moskau wurden Worte russischen Ursprungs eingedeutscht: Natschalnik für Chef, Subbotnik als unbezahlter Arbeitseinsatz. Als sich Frankreich gegen die Irak-Politik des Weißen Hauses stellte, benannten amerikanische Restaurants die „French Fries“ (Pommes) in „Freedom Fries“ um. Politik, Weltbild und Sprache sind also auf das Engste miteinander verbunden. Begriffe werden zu Codes, lassen auf Gesinnung schließen. 

Auch Luise Pusch ging es um Veränderungen im Denken der Menschen. Die Sprachwissenschaftlerin veröffentlichte im Jahr 1980 gemeinsam mit drei Kolleginnen die ersten „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“. Vielen gilt sie deshalb als „Mutter“ des Genderns. Ihr Antrieb: „Die deutsche Sprache versteckt Frauen besser als eine Burka.“ Tatsächlich haftete vielen weiblichen Wortformen ein Hauch des Exotischen, der Verdacht der Extravaganz an: Im Jahr 2004 wurde die „Bundeskanzlerin“ zum „Wort des Jahres“ gekürt. Bei der Bundeswehr müssen sich Frauen bis heute damit begnügen „mitgemeint“ zu sein, es gibt allen Debatten zum Trotz keine Hauptfrau analog zum Hauptmann. Die Berliner Tageszeitung Tagesspiegel machte im vergangenen Jahr eine Rolle rückwärts und verzichtet nun wieder auf Gendersternchen und andere Sonderzeichen. Der Druck der Leserinnen und Leser war schlicht zu groß. Die vermeintlich gute Sache der geschlechtergerechten Sprache verharrt also in einer kleinen Gruppe – in einer Blase, wie deren Kritiker es nennen. 

Wie ändern sich gesellschaftliche Regeln?

Aber beginnt nicht jeder Wandel, jede Verschiebung mit einer Minderheit? Mit einigen wenigen, die gegen ein „Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht“ aufbegehren? Wandelt sich unsere Gesellschaft nicht ständig? Mal ist es die technische Entwicklung, mal einschneidende Ereignisse, die für Verschiebungen in unseren Vorstellungen sorgen. So wie eben die Pilzköpfe der Beatles für eine neue Zeit standen? „Natürlich, gesellschaftliche Regeln ändern sich, Normen ändern sich – aber sie ändern sich in der Regel nicht, indem eine aggressive Minderheit versucht, der Mehrheit etwas aufzudrücken, was die nicht einsieht“, sagt Petersen. Seine Prognose ist eindeutig: „Ich glaube nicht, dass sich das Gendern durchsetzen wird.“ Denn im Gegensatz zu anderen Bewegungen fehle in diesem Fall der „Bodenkontakt“, die Verankerung in der Mitte. „Wir haben es beim Gendern mit einem intellektuellen Konstrukt zu tun“, sagt er. 

Die Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München ist einer jener Orte, an der die beiden Welten direkt aufeinanderprallen. Anders als an anderen Hochschulen sitzen hier Soldatinnen und Soldaten, angehende Offiziere, die große Mehrheit von ihnen sind Männer. Ein akademisches Umfeld trifft auf eine – im Durchschnitt – eher konservative Studentenschaft. Hier muss sich nicht erklären, wer auf das Gendern verzichtet, sondern wer es bewusst einsetzt. Hedwig Richter weiß das. Sie ist Professorin für Geschichte und wird des Argumentierens nicht müde, warum ihr wichtig ist, sowohl die männliche als auch die weibliche Form von Worten zu verwenden. „Ich finde, dass es inzwischen ein Affront ist, wenn jemand etwa nur von ,lieben Kollegen‘ spricht“, sagt sie. Richter ist geübt darin, ihre Haltung zu begründen und mit Fakten zu versehen, ihre Studentinnen und Studenten fordern sie heraus. „Viele psychologische Studien zeigen, dass Menschen nach wie vor nur an Männer denken, wenn in der Sprache die männliche Form benutzt wird“, sagt sie. Das könne jeder leicht im Selbstversuch nachvollziehen. 

Doch gerade als Geschichtsprofessorin weiß Richter eben auch: Frauen sind keineswegs immer automatisch „mitgemeint“, wie es so häufig behauptet wird. Sie können sich nicht auf Unausgesprochenes verlassen, mussten sich ihre Rechte, ihre öffentliche Sichtbarkeit erkämpfen. „Als Historikerin ist es für mich ein ganz großer Unterschied, ob von Bürgern die Rede ist oder von Bürgerinnen und Bürgern“, sagt sie. „Wenn ich Gesetzestexte aus dem 19. Jahrhundert lese, dann waren darin die Frauen eben nicht mitgemeint – deshalb ist es mir auch heute zu ungenau, wenn ich nur die männliche Form nutze.“

"Es ist ja kein Zufall, dass die Standardform von Worten männlich ist."

Geschichtsprofessorin Hedwig Richter


Wer sich für Bürgerrechte einsetzte, kämpfte in der Regel für Männerrechte – für Frauen waren sie nicht vorgesehen. Und das spiegelt sich bis heute wider: „Unsere Sprache kommt aus dem Patriarchat, sie ist patriarchalisch. Es ist ja kein Zufall, dass die Standardform von Worten männlich ist“, sagt Richter. Sprache präge den Alltag. Und wer darauf aufmerksam mache, rüttle eben indirekt auch an anderen Ungerechtigkeiten und mache auf Ungleichheiten aufmerksam. „Das ist unbequem, das stört“, sagt sie. Doch das Versprechen, dass alles beim Alten bleibe, sei eben eines, das vor allem Populisten bedienen würden. 

Hedwig Richter: "Populisten nach dem Maul reden"

Sprache verlange Disziplin. Eine Disziplin, die sich Hedwig Richter auch und vor allem von Politikern wünschen würde. „Ich finde es sehr verstörend, dass und wie in Bayern über ein Genderverbot diskutiert wird“, sagt Richter. „Das ist doch nichts anderes, als den Populisten nach dem Maul zu reden. Die Diskussion wird auf eine Weise geführt, wie sie am Ende unserer Demokratie schaden kann.“ Wie in jeder Debatte müsse es auch beim Thema Gendern um den Austausch von Argumenten gehen – und nicht um das Befeuern von Emotionen. 

Dass die bei vielen Menschen hochkochen, sei durchaus erklärbar. „Jede Gesellschaft ist tief geprägt von der Geschlechterordnung“, sagt die Historikerin. „Das ist eine Ordnung, die in aller Regel als natürlich empfunden wird. Wer hier etwas verändern will, sorgt für Unruhe.“ Vor der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland im Jahr 1918 habe es weltweit Vereine gegeben. Ihr Argument: Frauen seien nicht reif genug für das Wahlrecht, sie seien dafür bestimmt, sich voll auf ihre Männer und Familien zu konzentrieren. Wer politisierte, der wurde die Weiblichkeit abgesprochen. Wie immer unterstützten auch Frauen die alte Geschlechterordnung. „Das Patriarchat kann selbstverständlich nur mit Unterstützung von Frauen funktionieren. Das sind Frauen, die scheinbar vom Patriarchat profitieren“, sagt Richter. „Wer etwa entsprechend aussieht und sich entsprechend unterwirft, hat Vorteile.“ Doch wer es mit der Demokratie ernst meine, der müsse eben erkennen, dass sich dahinter nicht einfach die Herrschaft der Mehrheit verberge, sondern dass Demokratie auch den Willen ins Zentrum stelle, die Würde des Menschen zu achten. „Eine Sprache, die versucht, gerecht zu sein, entspricht unseren Werten doch viel mehr als der Wille, alles so zu lassen, wie es einmal war“, sagt sie. Genau das wird gerade in Krisenzeiten noch einmal schwieriger. Aufbruch wird als Zumutung empfunden. 

Aber vielleicht zeigt der ganze Streit, der ganze scheinbar so zermürbende Diskurs ja doch irgendwie auch, wie gut es uns geht. Dass Deutschland stark und wohlhabend genug ist, Zeit und Kraft für Genderdebatten und feministische Feinheiten zu finden. „Wenn ich in einer Gesellschaft lebe, in der es ums Überleben geht, um die Frage, ob man genug zu essen hat, dann herrscht das Recht des Stärkeren. Frauenrechte oder Minderheitenrechte entstehen in Gesellschaften, in denen es Rechtsstaatlichkeit gibt und auch die Idee von sozialer Gerechtigkeit“, sagt Richter.